DER DICHTER IN ZEITEN DER WIRREN


[35] Dem Andenken des

Grafen Bernhard Uxkull


Der Dichter heisst im stillern gang der zeit

Beflügelt kind das holde träume tönt

Und schönheit bringt ins tätige getrieb.

Doch wenn aus übeln sich das wetter braut

Das schicksal pocht mit lauten hammerschlägen

Klingt er wie rauh metall und wird verhört ..

Wenn alle blindheit schlug · er einzig seher

Enthüllt umsonst die nahe not .. dann mag

Kassandra-warnen heulen durch das haus

Die tollgewordne menge sieht nur eins:

Das pferd · das pferd! und rast in ihren tod.

Dann mag profeten-ruf des stammgotts groll

Vermelden und den trab von Assurs horden

Die das erwählte volk in knechtschaft schleppen:

Der weise Rat hat sichreren bericht

Verlacht den mahner · sperrt ihn ins verlies.

Wenn rings die Heilige Stadt umzingelt ist[36]


Bürger und krieger durcheinander rennen

Fürsten und priester drin sich blutig raufen

Um einen besenstiel indes schon draussen

Das stärkste bollwerk fällt: er seufzt und schweigt.

Wenn der erobrer dann mit raub und brand

Hereinstürmt und ins joch zwingt mann und weib

Ein teil wutschäumend seine eigne schuld

Abwälzend auf den andren lädt · ein teil

Entbehrungsmüd sich um die brocken balgt

Die ihm der freche sieger vorwirft · johlend

Und tanzend sich betäubt · am riste leckt

Der tritt und schlägt: Er fernab fühlt allein

Das ganze elend und die ganze schmach.


Geh noch einmal zum berg zu deinen geistern

Und bring uns tröstlicheren spruch der löse

Aus dieser trübsal!.. also spricht ein greis ...

Was soll hier himmels stimme wo kein ohr ist

Für die des plansten witzes? was soll rede

Vom geiste wo kein allgemeiner trieb ist

Als der des trogs? wo jede zunft die andre

Beschimpfend stets ihr leckes boot empfiehlt

Das kläglich scheiterte · heil sucht in mehrung

Ihr lieben tandes? wo die klügsten fabeln

Vom frischen aufbau mit den alten sünden[37]

Und raten: macht euch klein wie würmer dass euch

Der donner schont der blitz euch nicht gewahrt ...

Der ganze stamm der lebenden der hinfuhr

Durch lange irrsal wird vor seinen götzen

Die ihn in staub und niedrigkeit geworfen

So oft sie lügen immer weiter räuchern

Hat seines daseins oberstes gesetz

Hat was ihm den bestand verbürgt vergessen

Glaubt an den Lenker nicht · braucht nicht den Sühner

Will sich mit list aus dem verhängnis ziehn.

Noch härtre pflugschar muss die scholle furchen

Noch dickrer nebel muss die luft bedräun ..

Der blassest blaue schein aus wolkenfinster

Bricht auf die Heutigen erst herein wenn alles

Was eine sprache spricht die hand sich reicht

Um sich zu wappnen wider den verderb –

Gleichviel ob rot ob blau ob schwarz die fahlen

Verschlissnen fahnenfetzen von sich schüttelt

Und tag und nacht nur an die Vesper denkt.


Der Sänger aber sorgt in trauer-läuften

Dass nicht das mark verfault · der keim erstickt.

Er schürt die heilige glut die über-springt

Und sich die leiber formt · er holt aus büchern

Der ahnen die verheissung die nicht trügt[38]

Dass die erkoren sind zum höchsten ziel

Zuerst durch tiefste öden ziehn dass einst

Des erdteils herz die welt erretten soll ..

Und wenn im schlimmsten jammer lezte hoffnung

Zu löschen droht: so sichtet schon sein aug

Die lichtere zukunft. Ihm wuchs schon heran

Unangetastet von dem geilen markt

Von dünnem hirngeweb und giftigem flitter

Gestählt im banne der verruchten jahre

Ein jung geschlecht das wieder mensch und ding

Mit echten maassen misst · das schön und ernst

Froh seiner einzigkeit · vor Fremdem stolz ·

Sich gleich entfernt von klippen dreisten dünkels

Wie seichtem sumpf erlogner brüderei

Das von sich spie was mürb und feig und lau

Das aus geweihtem träumen tun und dulden

Den einzigen der hilft den Mann gebiert ..

Der sprengt die ketten fegt auf trümmerstätten

Die ordnung · geisselt die verlaufnen heim

Ins ewige recht wo grosses wiederum gross ist

Herr wiederum herr · zucht wiederum zucht · er heftet

Das wahre sinnbild auf das völkische banner

Er führt durch sturm und grausige signale

Des frührots seiner treuen schar zum werk

Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.[39]

Quelle:
Stefan George: Das Neue Reich. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928, S. 35-41.
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