DER KRIEG


[27] ...WEM DAS GEWISSEN DROHE

MIT EIGNER ODER FREMDER SCHANDE DRUCKE

EMPFINDET DEINE WORTE WOL ALS ROHE.


DEM OHNGEACHTET HALT DICH FREI VON SCHMUCKE

UND GANZ ERÖFFNE DAS VON DIR GESCHAUTE.

LASS ES GESCHEHN DASS WEN ES BEISST SICH JUCKE.


WENN AUCH BESCHWERLICH WERDEN DEINE LAUTE

BEIM ERSTEN KOSTEN: WIRD LEBENDIGE ZEHRUNG

MAN DRAUS ENTNEHMEN WENN MAN SIE VERDAUTE.

DANTE · GÖTTLICHE KOMÖDIE · HIMMEL XVII


Wie das getier der wälder das bisher

Sich scheute oder fletschend sich zerriss

Bei jähem brand und wenn die erde bebt

Sich sucht und nachbarlich zusammendrängt:

So in zerspaltner heimat schlossen sich

Beim schrei DER KRIEG die gegner an .. ein hauch

Des unbekannten eingefühls durchwehte

Von schicht zu schicht und ein verworrnes ahnen

Was nun beginnt ... Für einen augenblick

Ergriffen von dem welthaft hohen schauer

Vergass der feigen jahre wust und tand

Das volk und sah sich gross in seiner not.[28]


Sie kamen zu dem Siedler auf dem berg:

›Liegst du noch still beim ungeheuren los?‹

Der sprach: dies frösteln war das edelste!..

Was euch erschüttert ist mir lang vertraut ·

Lang hab ich roten schweiss der angst geschwizt

Als man mit feuer spielte .. meine tränen

Vorweg geweint .. heut find ich keine mehr.

Das meiste war geschehn und keiner sah ..

Das trübste wird erst sein und keiner sieht.

Ihr lasst euch pressen von der äussern wucht ..

Dies sind die flammenzeichen · nicht die kunde.

Am streit wie ihr ihn fühlt nehm ich nicht teil.


Nie wird dem Seher dank .. er trifft auf hohn

Und steine · ruft er unheil – wut und steine

Wenn es hereinbrach. Angehäufte frevel

Von allen zwang und glück genannt · verhehlter

Abfall von Mensch zu Larve heischen busse ..

Was ist IHM mord von hunderttausenden

Vorm mord am Leben selbst? Er kann nicht schwärmen

Von heimischer tugend und von welscher tücke.

Hier hat das weib das klagt · der satte bürger ·

Der graue bart ehr schuld als stich und schuss

Des widerparts an unsrer söhn und enkel

Verglasten augen und zerfeztem leib.[29]


SEIN amt ist lob und fem · gebet und sühne ·

Er liebt und dient auf seinem weg. Die jüngsten

Der teuren sandt er aus mit segenswunsch ..

Sie wissen was sie treibt und was sie feit ..

Sie ziehn um keinen namen – nein um sich.

IHN packt ein tiefres grausen. Die Gewalten

Nennt er nicht fabel. Wer begreift sein flehn:

›Die ihr die fuchtel schwingt auf leichenschwaden ·

Wollt uns bewahren vor zu leichtem schlusse

Und vor der ärgsten · vor der Blut-schmach!‹ Stämme

Die sie begehn sind wahllos auszurotten

Wenn nicht ihr bestes gut zum banne geht.


Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein ·

Nur viele untergänge ohne würde ..

Des schöpfers hand entwischt rast eigenmächtig

Unform von blei und blech · gestäng und rohr.

Der selbst lacht grimm wenn falsche heldenreden

Von vormals klingen der als brei und klumpen

Den bruder sinken sah · der in der schandbar

Zerwühlten erde hauste wie geziefer ..

Der alte Gott der schlachten ist nicht mehr.

Erkrankte welten fiebern sich zu ende

In dem getob. Heilig sind nur die säfte

Noch makelfrei versprizt – ein ganzer strom.[30]


Wo zeigt der Mann sich der vertritt? das Wort

Das einzig gilt fürs spätere gericht?

Spotthafte könige mit bühnenkronen ·

Sachwalter · händler · schreiber – pfiff und zahl.

Auch in verbriefter ordnung grenzen: taumel ·

Dann drohnde wirrsal .. da entstieg gestüzt

Auf seinen stock farblosem vororthaus

Der fahlsten unsrer städte ein vergessner

Schmuckloser greis .. der fand den rat der stunde

Und rettete was die gebärdig lauten

Schliesslich zum abgrundsrand gebracht: das reich ..

Doch vor dem schlimmren feind kann er nicht retten.


›Fehlt dir der blick für solch ein maass von opfern

Und kraft der allheit?‹ Diese sind auch drüben.

Das nötige werk der pflicht bleibt stumpf und glanzlos

Und opfer steigt nicht in verruchter zeit ..

Menge ist wert · doch ziellos · schafft kein sinnbild ·

Hat kein gedächtnis – Was fragt sich der Weise?

Sie troff im schwatz von wolfahrt · menschlichkeit

Und hebt nun an das greulichste gemetzel.

Nach speichel niedrigster umwerbung: geifer

Gemeinsten schimpfs!.. und was sich eben hezt

Umkröche sich geschmiegt wenn sich erhöbe

Furchtbar vor ihm das künftige gesicht.[31]


Und was schwillt auf als geist! Solch zart gewächs

Hat fernab sein entstehn ... Wie faulige frucht

Schmeckt das gered von hoh-zeit auferstehung

In welkem ton. Wer gestern alt war kehrt nicht

Jezt heim als neu und wer ein richtiges sagt

Und irrt im lezten steckt im stärksten wahn.

Spricht Aberwitz: ›Nun lernten wir fürs nächste‹

Ach dies wird wiederum anders!.. dafür rüstet

Nur vollste umkehr: schau und innrer sinn.

Keiner der heute ruft und meint zu führen

Merkt wie er tastet im verhängnis · keiner

Erspäht ein blasses glühn vom morgenrot.


Weit minder wundert es dass soviel sterben

Als dass soviel zu leben wagt. Wer schritthielt

Mit dem Jahrhundert darf heut spuk nur sehn.

Der hilft sich · kind und narr: ›Du hasts gewollt‹

Alle und keiner – heisst das bündige urteil.

Der lügt sich · schelm und narr: ›Diesmal winkt sicher

Das Friedensreich.‹ Verstrich die frist: müsst wieder

Ihr waten bis zum knöchel bis zum knie

Im most des grossen Keltrers .. doch dann schoss

Ein nachwuchs auf · der hat kein heuchel-auge:

Er hat das schicksalsauge das der schreck

Des ehernen fugs gorgonisch nicht versteint.[32]


In beiden lagern kein Gedanke – wittrung

Um was es geht ... Hier: sorge nur zu krämern

Wo schon ein andrer krämert .. ganz zu werden

Was man am andren schmäht und sich zu leugnen

›Ein volk ist tot wenn seine götter tot sind‹

Drüben: ein pochen auf ehmaligen vorrang

Von pracht und sitte · während feile nutzsucht

Bequem veratmen will .. im schooss der hellsten

Einsicht kein schwacher blink · dass die Verpönten

Was fallreif war zerstören · dass vielleicht

Ein ›Hass und Abscheu menschlichen geschlechtes‹

Zum weitren male die erlösung bringt.


Doch endet nicht mit fluch der sang. Manch ohr

Verstand schon meinen preis auf stoff und stamm ·

Auf kern und keim .. schon seh ich manche hände

Entgegen mir gestreckt · sag ich: o Land

Zu schön als dass dich fremder tritt verheere:

Wo flöte aus dem weidicht tönt · aus hainen

Windharfen rauschen · wo der Traum noch webt

Untilgbar durch die jeweils trünnigen erben ..

Wo die allblühende Mutter der verwildert

Zerfallnen weissen Art zuerst enthüllte

Ihr echtes antlitz .. Land dem viel verheissung

Noch innewohnt – das drum nicht untergeht![33]


Die jugend ruft die Götter auf .. Erstandne

Wie Ewige nach des Tages fülle .. Lenker

Im sturmgewölk gibt Dem des heitren himmels

Das zepter und verschiebt den Längsten Winter.

Der an dem Baum des Heiles hing warf ab

Die blässe blasser seelen · dem Zerstückten

Im glut-rausch gleich .. Apollo lehnt geheim

An Baldur: ›Eine weile währt noch nacht ·

Doch diesmal kommt von Osten nicht das licht.‹

Der kampf entschied sich schon auf sternen: Sieger

Bleibt wer das schutzbild birgt in seinen marken

Und Herr der zukunft wer sich wandeln kann.[34]

Quelle:
Stefan George: Das Neue Reich. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 9, Berlin 1928, S. 27-35.
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