Der 27. Psalm
Gott ist mein Licht, der Herr mein Heil

[254] 1.

Gott ist mein Licht, der Herr mein Heil,

Das ich erwählet habe;

Er ist die Kraft, dahin ich eil

Und meine Seele labe.

Was will ich mich doch fürchten nun?

Und wer kann mir doch Schaden tun

Auf dieser ganzen Erden?


2.

Wann mich die böse Rott anfällt

Und mein Fleisch will verschlingen,

So kann sie dieser starke Held

Gar leicht zu Boden bringen.

Wann sich auch gleich ein ganzes Heer

Legt um mich her, was ists denn mehr?

Mein Gott kann sie bald schlagen.
[254]

3.

Eins bitt ich nur, das hätt ich gern,

Wenn mirs Gott wollte geben,

Daß ich bei ihm, als meinem Herrn,

Stets wohnen sollt und leben

Und alle meine Tag und Jahr

In seinem Hause bei der Schar

Der Heiligen vollbringen.


4.

Da wollt ich meine Herzensfreud

An seinen Diensten sehen

Und rühmen, wie zur bösen Zeit

Mir so viel Guts geschehen,

Da er mich fleißig hat verdeckt

In seiner Hütten und versteckt

In einem starken Felsen.


5.

Und also wird er ferner noch

Mich wissen zu regieren;

Er wird mich schützen und sehr hoch

In sichre Örter führen;

Mein Haupt wird über meine Feind

Ob sie gleich hoch erhaben seind,

Allzeit erhöhet bleiben.


6.

Dafür will ich denn wiederum

Gott auf das best erhöhen;

Sein Ruhm soll in dem Heiligtum

Aus meinem Munde gehen;

Ich will ihm opfern Dank und Preis,

Ich will sein Lob, so gut ich weiß,

Vor allem Volke singen.


7.

Herr, mein Gott, höre, wie ich schrei

Und seufz in meinem Sinne;

Gib, daß mein Bitten kräftig sei[255]

Und dein Herz eingewinne.

Mein Herz hält dir, o treuer Hort,

Beständig vor dein eigen Wort:

Ihr sollt mein Antlitz suchen.


8.

Nun such ich jetzt, ach laß mich nicht

Entgelten meiner Sünden!

Ich suche, Herr, dein Angesicht,

Das laß mich gnädig finden.

Verstoße ja nicht deinen Knecht,

Denn du bists, der mir hilft zu recht

Und bringst aus allen Nöten.


9.

Mein Vater, Mutter und was hier

Sonst ist von guten Leuten,

Das ist zu schwach und können mir

Nicht treten an die Seiten.

Ich bin entsetzt von aller Welt,

Gott aber nimmt mich in sein Zelt,

Da find ich alle Gnüge.


10.

Herr, mache mir gerade Bahn,

Halt mich in deiner Gnade

Und nimm dich meiner herzlich an,

Daß mir kein Feind nicht schade;

Denn viel die reden wider mich

Und zeugen, das sie ewiglich

Nicht können überweisen.


11.

Noch dennoch hab ich guten Mut

Und glaube, daß ich werde

Im Lebenslande Gottes Gut

Dort sehn und auf der Erde.

Frisch auf, getrost und unverzagt!

Wers nur mit Gott im Glauben wagt,

Der wird den Sieg erhalten.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 254-256.
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