Der 30. Psalm
Ich preise dich und singe, Herr

[303] 1.

Ich preise dich und singe,

Herr, deine Wundergnad,

Die mir so große Dinge

Bisher erwiesen hat;

Denn das ist meine Pflicht,

In meinem ganzen Leben

Dir Lob und Dank zu geben,

Mehr hab und kann ich nicht.


2.

Du hast mein Herz erhöhet

Aus mancher tiefen Not,

Den aber, der da gehet

Und suchet meinen Tod[303]

Und tut mir Herzleid an,

Den hast du weggeschlagen,

Daß er sich meiner Plagen

Mit nicht erfreuen kann.


3.

Herr, mein Gott, da ich Kranker

Vom Bette zu dir schrei,

Da ward mein Heil mein Anker

Und stund mir treulich bei;

Da andre fuhren hin

Zur finstern Todeshöhle,

Da hieltst du meine Seele

Und mich noch, wo ich bin.


4.

Ihr Heiligen, lobsinget

Und danket eurem Herrn,

Der, wenn die Not herdringet,

Bald hört und herzlich gern

Uns Gnad und Hilfe gibt;

Rühmt den, des Hand uns träget

Und, wenn er uns ja schläget,

Nicht allzusehr betrübt.


5.

Gott hat ja Vaterhände

Und strafet mit Geduld,

Sein Zorn nimmt bald ein Ende,

Sein Herz ist voller Huld

Und gönnt uns lauter Guts.

Den Abend währt das Weinen,

Des Morgens macht das Scheinen

Der Sonn uns gutes Muts.


6.

Ich sprach zur guten Stunde,

Da mirs noch wohl erging:

Ich steh auf festem Grunde,[304]

Acht alles Kreuz gering;

Ich werde nimmermehr,

Das weiß ich, niederliegen;

Denn Gott der kann nicht trügen,

Der liebt mich gar zu sehr.


7.

Als aber dein Gesichte,

Ach Gott, sich von mir wandt,

Da war mein Trost zunichte,

Da lag mein Heldenstand;

Es war mir angst und bang,

Ich führte schwere Klagen

Mit Zittern und mit Zagen:

Herr, mein Gott, wie so lang?


8.

Hast du dir vorgenommen,

Mein ewger Feind zu sein?

Was werden dir denn frommen

Die ausgedorrten Bein

Und der elende Staub,

Zu welchem in der Erden

Wir werden, wenn wir werden

Des blassen Todes Raub?


9.

So lang ichs Leben habe,

Lobsing ich deiner Ehr,

Dort aber in dem Grabe,

Gedenk ich dein nicht mehr;

Drum eil und hilf mir auf

Und gib mir Kraft und Leben;

Dafür will ich dir geben

Meins ganzen Lebens Lauf.


10.

Nun wohl, ich bin erhöret,

Mein Seufzen ist erfüllt,[305]

Mein Kreuz ist umgekehret,

Mein Herzleid ist gestillt,

Mein Grämen hat ein End;

Es ist von meinem Herzen

Der bittern Sorgen Schmerzen

Durch dich, Herr, abgewendt.


11.

Du hast mit mir gehandelt

Noch besser, als ich will;

Mein Klagen ist verwandelt

In eines Reigens Spiel,

Und für das Trauerkleid,

In dem ich vor gestöhnet,

Da hast du mich gekrönet

Mit süßer Lust und Freud.


12.

Auf daß zu deiner Ehre

Mein Ehre sich erhüb

Und nimmer stille wäre,

Bis daß ich deine Lieb

Und ungezählte Zahl

Der großen Wunderdinge

Mit ewgen Freuden singe

Im güldnen Himmelssaal.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 303-306.
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