Schwing dich auf zu deinem Gott

[235] 1.

Schwing dich auf zu deinem Gott,

Du betrübte Seele!

Warum liegst du, Gott zum Spott,

In der Schwermutshöhle?

Merkst du nicht des Satans List?

Er will durch sein Kämpfen

Deinen Trost, den Jesus Christ

Dir erworben, dämpfen.


2.

Schüttle deinen Kopf und sprich:

Fleuch, du alte Schlange!

Was erneust du deinen Stich,

Machst mir angst und bange?

Ist dir doch der Kopf zerknickt,

Und ich bin durchs Leiden

Meines Heilands dir entzückt

In den Saal der Freuden.


3.

Wirfst du mir mein Sünd'gen für?

Wo hat Gott befohlen,

Daß mein Urteil über mir

Ich bei dir soll holen?

Wer hat dir die Macht geschenkt,

Andre zu verdammen,

Der du selbst doch liegst versenkt

In der Höllen Flammen?
[235]

4.

Hab ich was nicht recht getan,

Ist mirs leid von Herzen;

Dahingegen nehm ich an

Christi Blut und Schmerzen.

Denn das ist die Ranzion

Meiner Missetaten.

Bring ich dies vor Gottes Thron,

Ist mir wohl geraten.


5.

Christi Unschuld ist mein Ruhm,

Sein Recht meine Krone,

Sein Verdienst mein Eigentum,

Da ich frei in wohne

Als in einem festen Schloß,

Das kein Feind kann fällen,

Brächt er gleich davor Geschoß

Und Gewalt der Höllen.


6.

Stürme, Teufel und du Tod,

Was könnt ihr mir schaden?

Deckt mich doch in meiner Not

Gott mit seiner Gnaden.

Der Gott, der mir seinen Sohn

Selbst verehrt aus Liebe,

Daß der ewge Spott und Hohn

Mich nicht dort betrübe.


7.

Schreie, tolle Welt, es sei

Mir Gott nicht gewogen,

Es ist lauter Täuscherei

Und im Grund erlogen.

Wäre Gott mir gram und feind,

Würd er seine Gaben,

Die mein eigen worden seind,

Wohl behalten haben.
[236]

8.

Denn was ist im Himmelszelt,

Was im tiefen Meere,

Was ist Gutes in der Welt,

Das nicht mir gut wäre?

Weme brennt das Sternenlicht?

Wozu ist gegeben

Luft und Wasser? Dient es nicht

Mir und meinem Leben?


9.

Weme wird das Erdreich naß

Von dem Tau und Regen?

Weme grünet Laub und Gras?

Weme füllt der Segen

Berg und Tale, Feld und Wald?

Wahrlich, mir zur Freude,

Daß ich meinen Aufenthalt

Hab und Leibesweide.


10.

Meine Seele lebt in mir

Durch die süßen Lehren,

So die Christen mit Begier

Alle Tage hören.

Gott eröffnet früh und spat

Meinen Geist und Sinnen,

Daß sie seines Geistes Gnad

In sich ziehen können.


11.

Was sind der Propheten Wort

Und Apostel Schreiben

Als ein Licht am dunklen Ort,

Fackeln, die vertreiben

Meines Herzens Finsternis

Und in Glaubenssachen

Das Gewissen fein gewiß

Und recht grundfest machen?
[237]

12.

Nun, auf diesen heilgen Grund

Bau ich mein Gemüte,

Sehe, wie der Höllenhund

Zwar dawider wüte;

Gleichwohl muß er lassen stehn,

Was Gott aufgerichtet,

Aber schändlich muß vergehn,

Was er selber dichtet.


13.

Ich bin Gottes, Gott ist mein:

Wer ist, der uns scheide?

Dringt das liebe Kreuz herein

Mit dem bittern Leide,

Laß es dringen, kommt es doch

Von geliebten Händen,

Bricht und kriegt geschwind ein Loch,

Wenn es Gott will wenden.


14.

Kinder, die der Vater soll

Ziehn zu allem Guten,

Die gedeihen selten wohl

Ohne Zucht und Ruten.

Bin ich denn nun Gottes Kind,

Warum will ich fliehen,

Wenn er mich von meiner Sünd

Auf was Guts will ziehen?


15.

Es ist herzlich gut gemeint

Mit der Christen Plagen:

Wer hier zeitlich wohl geweint,

Darf nicht ewig klagen,

Sondern hat vollkommne Lust

Dort in Christi Garten

(Dem er einig recht bewußt)

Endlich zu gewarten.
[238]

16.

Gottes Kinder säen zwar

Traurig und mit Tränen,

Aber endlich bringt das Jahr,

Wonach sie sich sehnen;

Denn es kommt die Erntezeit,

Da sie Garben machen,

Da wird all ihr Gram und Leid

Lauter Freud und Lachen.


17.

Ei, so faß, o Christenherz,

Alle deine Schmerzen,

Wirf sie fröhlich hinterwärts,

Laß des Trostes Kerzen

Dich entzünden mehr und mehr,

Gib dem großen Namen

Deines Gottes Preis und Ehr,

Er wird helfen. Amen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 235-239.
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