Pfingstlied
Zeuch ein zu deinen Toren

[89] 1.

Zeuch ein zu deinen Toren,

Sei meines Herzens Gast,

Der du, da ich geboren,

Mich neu geboren hast,

O hochgeliebter Geist

Des Vaters und des Sohnes,

Mit beiden gleichen Thrones,

Mit beiden gleich gespeist.


2.

Zeuch ein, laß mich empfinden

Und schmecken deine Kraft,

Die Kraft, die uns von Sünden

Hilf und Errettung schafft.

Entsündge meinen Sinn,

Daß ich mit reinem Geiste

Dir Ehr und Dienste leiste,

Die ich dir schuldig bin.
[89]

3.

Ich war ein wilder Reben,

Du hast mich gut gemacht,

Der Tod durchdrang mein Leben,

Du hast ihn umgebracht

Und in der Tauf erstickt,

Als wie in einer Flute,

Mit dessen Tod und Blute,

Der uns im Tod erquickt.


4.

Du bist das heilig Öle,

Dadurch gesalbet ist

Mein Leib und meine Seele

Dem Herren Jesu Christ

Zum wahren Eigentum,

Zum Priester und Propheten,

Zum Könge, den in Nöten

Gott schützt vom Heiligtum.


5.

Du bist ein Geist, der lehret,

Wie man recht beten soll,

Dein Beten wird erhöret,

Dein Singen klinget wohl.

Es steigt zum Himmel an,

Es steigt und läßt nicht abe,

Bis der geholfen habe,

Der allen helfen kann.


6.

Du bist ein Geist der Freuden,

Von Trauern hältst du nicht,

Erleuchtest uns im Leiden

Mit deines Trostes Licht.

Ach ja, wie manchesmal

Hast du mit süßen Worten

Mir aufgetan die Pforten

Zum güldnen Freudensaal.
[90]

7.

Du bist ein Geist der Liebe,

Ein Freund der Freundlichkeit,

Willst nicht, daß uns betrübe

Zorn, Zank, Haß, Neid und Streit;

Der Feindschaft bist du feind,

Willst, daß durch Liebesflammen

Sich wieder tun zusammen

Die voller Zwietracht seind.


8.

Du, Herr, hast selbst in Händen

Die ganze weite Welt,

Kannst Menschenherzen wenden,

Wie es dir wohlgefällt:

So gib doch deine Gnad

Zum Fried und Liebesbanden,

Verknüpf in allen Landen,

Was sich getrennet hat.


9.

Ach, edle Friedensquelle,

Schleuß deinen Abgrund auf

Und gib dem Frieden schnelle

Hier wieder seinen Lauf.

Halt ein die große Flut,

Die Flut, die eingerissen

So, daß man siehet fließen,

Wie Wasser, Menschenblut.


10.

Laß deinem Volk erkennen

Die Vielheit seiner Sünd,

Auch Gottes Grimm so brennen,

Daß er bei uns entzünd

Den ernsten bittern Schmerz

Und Buße, die bereuet,

Des sich zuerst gefreuet

Ein weltergebnes Herz.
[91]

11.

Auf Buße folgt der Gnaden,

Auf Reu der Freuden Blick,

Sich bessern heilt den Schaden,

Fromm werden bringet Glück.

Herr, tus zu deiner Ehr,

Erweiche Stahl und Steine,

Auf daß das Herze weine,

Das böse sich bekehr.


12.

Erhebe dich und steure

Dem Herzleid auf der Erd,

Bring wieder und erneuere

Die Wohlfahrt deiner Herd!

Laß blühen wie zuvorn

Die Länder, so verheeret,

Die Kirchen, so zerstöret

Durch Krieg und Feuerszorn.


13.

Beschirm die Polizeien,

Bau unsers Fürsten Thron,

Daß er und wir gedeihen,

Schmück, als mit einer Kron,

Die Alten mit Verstand,

Mit Frömmigkeit die Jugend,

Mit Gottesfurcht und Tugend

Das Volk im ganzen Land.


14.

Erfülle die Gemüter

Mit reiner Glaubenszier,

Die Häuser und die Güter

Mit Segen für und für.

Vertreib den bösen Geist,

Der dir sich widersetzet

Und was dein Herz ergötzet,

Aus unserm Herzen reißt.
[92]

15.

Gib Freudigkeit und Stärke,

Zu stehen in dem Streit,

Den Satans Reich und Werke

Uns täglich anerbeut,

Hilf kämpfen ritterlich,

Damit wir überwinden

Und ja zum Dienst der Sünden

Kein Christ ergebe sich.


16.

Richt unser ganzes Leben

Allzeit nach deinem Sinn,

Und wenn wirs sollen geben

In Todes Rachen hin,

Wenns mit uns hie wird aus,

So hilf uns fröhlich sterben

Und nach dem Tod ererben

Des ewgen Lebens Haus.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 89-93.
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