Sechs und zwanzigster Brief.
[275] Fortsetzung und Beschluß.

Eine Uebersetzung der Schauspielkunst des jüngern Riccoboni macht den Anfang des zweyten Stücks. Die Verfasser bedienen sich einer artigen Wendung, um wahrscheinlich zu machen, daß unsere Schauspieler noch etwas aus dieser Schrift lernen können. »Vielleicht, sagen sie, trifft es sich von ohngefähr, daß irgend einer unter ihnen, etwa aus Neugierde, um zu sehen, wie die Uebersetzung gelungen sey, sie lieset, und bey der Gelegenheit ein halb verloschner Begriff wieder erwacht, eine neue Begierde entsteht, nochmals zu versuchen, wie man sich, nach Gründen der Erfahrung, dieser Regeln mit Nutzen bedienen könne.«

»Es geht uns so in der Religion und Moral, wenn[275] wir unvermuthet über ein gutes Buch gerathen, das wir schon vor vielen Jahren gelesen oder vergessen hatten: warum denn nicht eben so wohl in den Künsten und Wissenschaften?« –

Wie ich auf diese Stelle kam, mußte ich lachen. Wahrhaftig, dachte ich, es hätte dieser Complimente nicht gebraucht, um unsern Acteurs und Actrizen zu sagen, daß sie noch etwas zu lernen haben. Wenn sie jemals erträglich werden wollen, müssen sie, fürchte ich, noch viel weiter als zum Riccoboni zurückgehen.

II. Kritik über die Caliste, ein Trauerspiel des Herrn Colardeau, übersetzt von der Jungfer Biehl.

Die Schwierigkeiten, das große Ideal der Tragödie zu erreichen, werden aus Erfahrungen der Griechen, Römer, Italiener, Engländer, Franzosen und Deutschen aus einander gesetzt.

»Griechenland, das seinem sanften Himmelsstriche die lebhaftesten Empfindungen des Schönen und Rührenden zu danken hatte, konnte doch kaum zwey oder drey Dichter hervorbringen, die dieses Ideal erreicht hätten.«

»Das an Genien sonst so fruchtbare Rom war, aller Aufmunterungen und angestrengten Versuche ungeachtet, an tragischen Genies gänzlich unfruchtbar.«

»Bey den Italienern findet man, außer einigen glücklichen Nachahmungen des griechischen Theaters, wenig Erhebliches von dieser Art, wenn man nicht etwa die Werke des Abts Metastasio hieher rechnen will, der jedoch einen großen Theil seines Ruhms der Correction des Ausdrucks und einer auf Nebenzüge eingeschränkten blühenden Einbildungskraft zu danken hat.«

»Die Engländer bleiben wohl die einzigen, die sich rühmen können, nach den Griechen einen eignen Weg zum wahren Tragischen ausgefunden zu haben; und auch sie erkennen dem ungeachtet unter den großen Geistern, die auf diesem Pfade einhergetreten sind, nur einen einzigen für genuin; und auch dieser einzige ist Shakespear, der sich zu oft und zu sehr von einem wilden Triebe hinreißen[276] ließ, etc. Allen übrigen fehlt immer noch ein gewißes Etwas, das sie stufenweise unter Shakespearn erniedrigt. Um nur einiger Neuern unter ihnen zu erwähnen, so ist es bekannt, daß Thomson durch seine bilderreiche und chargirte Affecten-Malerey nicht selten den wahren Ton fürs Herz verfehlt, und ihn noch mehr würde verfehlt haben, wenn er nicht in der Anlage seiner Situationen desto glücklicher gewesen wäre. Young ist prächtig und erhaben; aber sein Meisterstück bleibt doch immer gerade dasjenige Trauerspiel, das er nach Shakespears großem Model ausgearbeitet hat. Addison kann einem Zusammenflusse politischer Umstände den guten Erfolg seines Cato verdanken; er selbst gestand seinem Freunde Swift, daß es ihm Angstschweiß auspresse, wenn er die unruhigen Britten immer am unrechten Orte, niemals aber da, wo er die Natur getroffen zu haben wünschte, klatschen hörte. Congreve ist ein besserer komischer, als tragischer Dichter. Einige andere, z. E. Lee und Dryden, haben mehr Bombast, als Pathos. Der einzige Otway nimmt sich unter ihnen aus; doch hatte er bey allen seinen Werken Shakespearn zu sehr vor Augen, dessen Manier er oft sklavisch nachahmte. Von Rowe reden wir im Folgenden.«

Alle diese Anmerkungen sind viel zu allgemein, und ich wollte nicht gerne, daß unsre dänischen Theater-Scribenten sich ihrentwegen der Mühe überhöben, diese brittischen Dichter näher kennen zu lernen. Daß Dryden mehr Bombast als Pathos habe, scheint mir eine genauere Untersuchung zu verdienen. Ob ihn gleich die Engländer selbst nur von der Seite der Versification anzupreisen pflegen; so hat er doch in der That weit größere Verdienste, und ich wünsche von ganzem Herzen, unserer Nation recht bald zu einem Dryden, nur zu einem Dryden, Glück wünschen zu können. Lee hat viel Fustian, es ist nicht zu läugnen: aber, lieben Landsleute, verachtet Lee nicht; ihr könnt in den zärtlichen Scenen der Liebe unendlich viel von ihm lernen. Otway fing an mit Nachahmungen;[277] allein, er hörte mit Werken auf, die allerdings original genannt zu werden verdienen; die sanftern weiblichen Leidenschaften, die Shakespear fast gar nicht bearbeitet hatte, waren sein Fach, und wenige sind ihm darinn gleich gekommen.

Von den Franzosen wird gesagt, – was Sie leicht errathen können.

»Corneille suchte gemeiniglich ein falsches Erhabne; seine Werke sind sehr ungleich, oft müßig, und voller Declamation: Racine steht weit unter ihm; zwar haben seine Charakter auf der einen Seite mehr Natur, aber auf der andern desto weniger Ideal, u.s.w. Voltaire hat von den Engländern gelernt, etc. etc.«

Das Urtheil der Verfasser von den deutschen tragischen Dichtern wird Ihnen interessanter seyn. Ich glaube, daß die Verfasser überhaupt nicht unrichtig denken; nur wünschte ich, daß sie sich hin und wieder etwas deutlicher erklärt hätten.

»Leßings Miß Sarah ist eine vortreffliche Nachahmung der englischen Manier; allein, es bleibt doch immer Nachahmung.«

(Das ist wahr; die mechanische Einrichtung dieses Trauerspiels ist brittisch; nicht weniger wahr ist es, daß Herr Leßing der Kenntniß des brittischen Theaters einen großen Theil seiner Ausbildung zu danken hat: aber, wie ein berühmter Kunstrichter sagt, Genies können nur von Genies entzündet werden; und der Dichter, der eine Miß Sarah schreiben konnte, mußte eigne Talente haben.)

»Sein Philotas hat mehr Original-Charakter, aber zu wenig Interesse, und ist hin und wieder ziemlich in Shakespears Geiste gedacht.«

(Ich habe Sie schon längst um Ihre Meynung vom Philotas gebeten. Lassen Sie mich meine Bitte nicht umsonst wiederholen.)

»Cronegks bestem Trauerspiele fehlt der letzte Act.«

(Aus einem einzelnen Trauerspiele, dem noch dazu ein Act fehlt, läßt sich freylich nicht viel schließen.)[278]

»In Weißens Trauerspielen sind viele große Eigenschaften der Engländer und Franzosen vereinigt: hin und wieder noch zu viel Declamation, die Situationen nicht immer von gleicher Güte.«

Die Verfasser hatten damals den Atreus noch nicht gesehen; vermuthlich würden sie geurtheilt haben, daß er auch große Eigenschaften der Griechen und Römer mit jenen zu vereinigen gewußt. Wirklich scheint mir dieses Stück eins der merkwürdigsten, die das deutsche Theater aufweisen kann.

Vom sel. Schlegel wird gesagt, »er habe die Deutschen zuerst gelehrt, wie man in Racinens Geschmack versificiren müsse.« Gar nichts mehr in Racinens Geschmack? –

»Unter unsern Landsleuten« –

Leider! ein ödes unbebautes Feld, wo kein Saamenkorn aufsprost. Aber Geduld! man muß nicht zu viel auf einmal erwarten.

Auf diese allgemeinen Betrachtungen folgt eine umständlichere Vergleichung der Caliste von Colardeau mit der Fair Penitent von Rowe. Ich glaube mich hiebey ein wenig aufhalten zu müssen, da die Vergleichung, so viel ich weis, neu ist.

»Herr Colardeau (S. 81) hat den gegründeten Ruhm, daß er nach Voltaire der correcteste und edelste Versificateur sey; der Engländer Rowe, von dessen Fair Penitent die französische Caliste eine Nachahmung ist, hat kein geringeres Lob der Versification und des Ausdrucks: es wird also eine nicht unangenehme Parallele seyn, die beyden Dichter in den übrigen wesentlichern Theilen der Tragödie gegen einander zu halten.«

»Die Fabel ist in beyden Trauerspielen die nämliche: nur daß der Franzos einige Neben-Umstände verändert, und die seinige durch einen Zusatz von Politik für sein Theater feyerlicher zu machen gesucht hat.«

»Voraus ist zu bemerken, daß die Engländer die Abtheilung der Scenen in einem andern Verstande nehmen,[279] als die Franzosen. Jene deuten damit eine Veränderung der Bühne, diese aber nur eine Veränderung der Personen an, wozu die Engländer kein besonderes Kunstwort haben. Wir können nicht umhin, hiebey zu wünschen, daß wir nach dem Beyspiel aller übrigen Nationen die Ausdrücke Act und Scene statt Optog (Aufzug) und Optrit (Auftritt) beybehalten wollten; diese unbequemen Worte sind ohne Noth von den Deutschen eingeführt worden, und drücken die Sache schlecht oder vielmehr gar nicht aus: denn in den wenigsten tragischen Stücken findet der Aufzug des Vorhanges statt, und ein Auftritt ist sehr oft ein bloßer Abtritt

Mit dem weitläuftigen Auszuge der schönen Bußfertigen und dem noch weitläuftigern der Caliste verschone ich Sie, da ich voraussetze, daß Sie beyde im Original gelesen haben. Der Kunstrichter hat die Haupttheile, lehrreich genug, unter einen einzigen Gesichtspunkt gebracht, und die wichtigsten Stellungen angedeutet.

»Ueberhaupt (fährt er hierauf fort) von der Anlage dieser beyden Trauerspiele zu urtheilen, fällt es gleich in die Augen, daß der Engländer seinen Gegenstand viel simpler behandelt, und weit mehr Zutrauen zu der Natur seiner Fabel geäußert habe, als der Franzos, der sie nicht interessant genug gefunden zu haben scheint, wenn er sie nicht politisch und heroisch nach dem Model der Merope, in deren Geiste alle Zusätze imaginirt sind, umarbeitete.«

»Dieß geht so weit, daß die zweyte Scene im vierten Act eine offenbare Copie einer Scene in der Merope geworden ist. Wir wollen nicht entscheiden, ob hier der Ort war, kriegerische Züge einzumischen: das Große und das Kleine macht einen allzu starken Contrast, daß Leser von zarter Empfindung nicht bald den Zwang bemerken sollten, der, so sehr ihn der Dichter zu verbergen gesucht hat, doch immer ein künstliches Flickwerk verräth.«

»Niemand glaube, daß wir Willens sind, das Englische Trauerspiel auf Kosten des Französischen zu erheben. Wir sind vielmehr mit dem Ausspruche eines einsichtsvollen[280] brittischen Kunstrichters vollkommen einig, daß Rowes Genie mehr delicat und zart, als stark und pathetisch gewesen, daß seine Werke uns mehr in einer angenehmen Schwermuth unterhalten, als sie das Herz mit der lebendigen Angst des tragischen Mitleids erfüllen. Seine Unglücksfälle gründen sich alle auf den Affect der Liebe. Seine Tragödien sind mehr Declamation, als Dialog, und seine Charakter sind zu allgemein, und ohne innere Verschiedenheit. Der Todtenkopf, die Leiche, die schwarzbezogne Bühne, sind blos mechanische Mittel, eine Versammlung zu rühren. Kurz, seine Stücke sind zwar tonvolle und einnehmende Poesien, aber müßige und unpathetische Trauerspiele. – Wir fügen hinzu, daß Rowe ein Nachahmer von Otway ist, ihn aber mehr in Tiraden, als in solchen Zügen erreicht, welche die Natur enthüllen, und unmittelbar aufs Herz treffen; wovon vornehmlich diese Tragödie ein Beyspiel ist. Caliste müßte ganz anders gezeichnet seyn, wenn sie dem Titel entsprechen sollte. Wildheit, Stolz, weiblicher Eigensinn und Heucheley stechen in ihrem Bilde weit mehr hervor, als die Reue, die reine Symptomen eines matten, scheuen und niedergeschlagenen Herzens zu wirken pflegt. Lothario ist ein wahrer Rake, aber sehr ungleich mit sich selbst, und ohne besonderen Humor. Altamont wäre ein erträglicher Charakter in einem Romane, zur Haupt-Person auf der Bühne aber taugt er nichts. Lucile ist eine bloße Vertraute von der moralisirenden Gattung. Horatio hat wieder zu wenig Charakter; inzwischen sind seine Unterredungen mit Lavinia sehr rührend, wiewohl mehr elegisch als tragisch rührend. Sciolto intereßirt am meisten; überhaupt aber ist sein Charakter doch nicht eigenthümlich genug, und von dem Charakter anderer edelmüthigen Väter zu wenig verschieden.«

(Eine noch umständlichere Kritik der Charaktere und der ganzen Fabel in diesem Trauerspiele finden Sie in der Clarissa, Vol. VII. Let. 47, der dritten Ausgabe von 1750.)[281]

»Wie viel wäre also einem Colardeau zu verbessern übrig geblieben, wenn er seine Nacheiferung weniger auf eine blühende Versification, und einen mit der Natur des Gegenstandes fast streitenden Heroismus, als auf den Ausdruck des wahren Pathos eingeschränkt hätte! Die meisten Fehler des Engländers finden sich auch bey dem Franzosen. Lothario ist hier ein noch viel zweydeutigerer Charakter, als dort. Für einen solchen Bösewicht hätte Caliste sich gar nicht intereßiren sollen. Auf der Bühne selbst ist er zu unwirksam; und so fürchterlich ihn uns der Dichter in der Vorbereitung abmalt, so lärmt er doch nur, statt zu handeln. Die französische Regelmäßigkeit, die Colardeau diesem Stücke anzumessen gewußt, rechnen wir ihm zu keinem Verdienste an, da nichts leichter ist, als alle mögliche Gegenstände unter die Methode der Einheiten zu bringen, wenn man die Stücke des Ganzen nicht zu Rathe ziehen will.«

Der übrige Theil dieser Kritik betrifft den Detail:

»Und hier, sagen unsere Kunstrichter, zeigt es sich, daß der Franzos noch declamatorischer sey, als der Engländer, allein im eigentlichen Pathos, wovon der letztere vortreffliche Stellen hat, ihm bey weitem nicht gleich komme. Unterdessen haben doch Tiraden auf der andern Seite wieder ihre großen Schönheiten, und die von unserm Colardeau verdienen wegen des lebhaften poetischen Feuers, das sie beseelt, eine mehr als flüchtige Aufmerksamkeit.«

Es werden deren einige angeführt, die Sie ohne Zweifel, nebst noch mehrern, selbst im Lesen ausgefunden haben. Der Traum der Caliste wird mit einem Traume des Mustapha in Weißens Beytrag zum Deutschen Theater verglichen, und dem letztern, in Betracht der malerischen Phantasie, der Vorzug zuerkannt. Diesen französischen Tiraden werden hienächst rührende englische Stellen entgegengesetzt, und die Kritik mit folgender Anmerkung geschlossen.

»Die Engländer nehmen den Stoff ihrer Trauerspiele gemeiniglich aus ihrer eigenen Geschichte, welches wir den[282] künftigen Dichtern unsers Vaterlandes zur Nachahmung anpreisen, indem es gewiß ist, daß unsere alte Historie an großen Revolutionen, sonderbaren Begebenheiten reicher ist, als die Geschichte der meisten andern Völker. Fügen wir hiezu die rauhe und dem tragischen Geiste recht angemessene Scene dieser Begebenheiten, imgleichen den kühnen, stolzen und edlen Charakter unserer Vorfahren etc., so muß gewiß der Fehler am Dichter selbst liegen, wenn er bey einem so großen einheimischen Schatze dennoch nöthig findet, seine Zuflucht zu der Geschichte fremder Völker zu nehmen.«

Anmerkungen über Herrn Schlegels Abhandlung von den Vortheilen und Mängeln der dänischen Sprache in Vergleichung mit der Deutschen und Französischen.

Diese Anmerkungen sind sehr lesenswürdig; da sie aber blos die Dänische Sprache angehen, so bin ich außer Stande, Ihnen mehr davon zu sagen.

Eine Kritik über eine poetische Erzählung, Kleon betitelt, überhüpfe ich gleichfalls, weil sie Sie schwerlich intereßiren würde. Die Verfasser wünschen unter andern, daß man in Dännemark nicht beym didaktischen Gedichte stehen bliebe. –

Der Versuch einer freyen Poesie in Dänischer Sprache wird nach Verdienst getadelt.

Aus der schönen Abhandlung vom Gebrauche veralteter und neuer Worte kann ich nicht umhin, Ihnen die Grundsätze mitzutheilen, nach denen die Gesellschaft diese Streitfrage zu entscheiden verlangt.

»1. Ein Wort, das im Schwange ist, muß nicht aus der Gewohnheit kommen, noch ein fremdes an dessen statt eingeführt werden.«

(Ich setze hinzu, wenn das Wort an sich etwas taugt. So sagt man im Dänischen Staldbroder anstatt Gespiele, welches in Werken, wo es auf Delicatesse der Begriffe ankömmt, keinesweges zu brauchen ist.)

»2. Ein Wort, das aus der Sprache des gemeinen[283] Lebens verdrängt zu werden anfängt, muß wieder zurückgerufen, und einem fremden vorgezogen werden.«

(Es kann aber durch ein besseres einheimisches verdrängt werden; und dann ist nichts dawider einzuwenden.)

»3. Ein Wort, das nur, weil es einem oder anderm Ohre nicht klingen will, verdrängt wird, muß, wenn es in der Sprache des gemeinen Lebens üblich, und nicht unanständig ist, lieber beybehalten, als gegen ein fremdes vertauscht werden.«

(Es ist gut, daß der gemeine Mann seine Sprache behalte, damit ein stehender Fond bleibe, der die zu große Wandelbarkeit lebender Sprachen aufstütze, und ihr einheimisches Gepräge dauerhaft erhalte: Da aber die Scribenten-Sprache vermöge des Bedürfnisses ihrer Begriffe in neue Nüancen in der Bedeutung vieler Wörter macht und machen muß, so kann von jener nicht sicher auf diese geschlossen werden.)

»4. Ein Wort, das aus dem Brauche geht, vornehmlich aber dem gemeinen Mann wenigstens eben so verständlich ist, als das fremde, muß vor diesem den Vorzug behalten.«

»5. Imgleichen, wenn das fremde dem gemeinen Mann eben so unverständlich ist, als das verdrängte einheimische.«

»6. Wenn ein alterndes Wort nicht anders als durch Umschreibungen ersetzt werden kann, so muß es beybehalten werden.«

»7. Ein Wort, das mit gutem Grunde aus einheimischen Worten gebildet werden kann, muß, wenn es einem Mangel abhilft, und eben so bedeutend, als ein fremdes ist, das Bürgerrecht haben.«

»8. So auch ein neues Wort, das in einer verwandten Sprache üblich ist, vorzüglich vor einem fremdern.«

»9. Jedem Worte muß seine feste Bestimmung beygelegt werden, damit es, wo möglich, seine Eindeutigkeit behalte.«

»10. Wenn weder unsere noch eine verwandte[284] Sprache ein verständliches Wort hat, Begriffe, vornehmlich in Wissenschaften und Künsten, die später bey uns als bey andern bekannt worden, hinlänglich zu bezeichnen, da muß der Mangel der Sprache durch ein fremdes ersetzt werden, dem man, so gut man kann, eine dänische Endigung giebt.«

Kritik einiger Gelegenheits-Gedichte bey Feyerlichkeiten des Hofes – ist Ihnen entbehrlich.

Fortsetzung der Abhandlung, die vermeynten Synonymen zu bestimmen – enthält abermals ein ansehnliches Verzeichniß solcher Worte, die durch beygefügte Erklärungen berichtigt worden.

Ich eile zum dritten und letzten Stücke, um meinen langen Brief endlich einmal zu schließen.


  • I. Uebersetzung der Abhandlung vom Trauerspiele im 1. B. der Bibl. der schönen W. und fr. K.
  • II. Popens Versuch über die Iliade. Zwey schätzbare Stücke.
  • III. Kritik des Gedichts, der Tod Abels, aus dem Deutschen Herrn Geßners übersetzt von der Jungfer Biehl.

Die dänische Uebersetzung wird mit der französischen von Huber verglichen, und erhält in mancherley Absicht, besonders der Genauigkeit, den Preis vor der letztern. Dagegen ist die Colorite des Originals in jener wenigstens eben so sehr verblichen, und die kleine Detaillen-Malerey noch öfterer vernachläßigt, als in dieser.


  • IV. Kritik über eine Katheder-Rede Herrn Prof. Schytte in Soroe.

Nur eine einzige Anmerkung will ich Ihnen daraus abschreiben.

»Im Grunde würde die Wohlredenheit bey weitem keinen so ansehnlichen Rang verdienen, wenn sie nichts als die verächtliche Kunst wäre, einen ganz kleinen Gedanken, wie eine Seifenblase mit allerley bunten Färbchen, so lange aufzudunsen, bis er platzt; eine Kunst, worinn jedermann gar leicht eine gewisse Vollkommenheit erreichen kann: ihr göttlicher Theil ist das Genie, und der läßt sich nicht mit [285] locis, exornationibus oder amplificationibus einflößen; auch kann keine Schule auf Erden uns einen so beredten Mann, als Rousseau, bilden, da es hingegen manchem jungen Rector ein Leichtes ist, ihn in den lenociniis und veneribus sermonis weit hinter sich zu lassen. – Wohlredenheit und Schönredenheit sind noch immer von der Beredsamkeit unendlich verschieden; ja wir glauben sogar, daß die letzte der beyden erstern ohne Nachtheil ihres innern Vorzuges gerne entbehren kann.« –

Dieß ist ein ziemliches Paradox; Sie mögen versuchen, ob Sie es verdauen können.

Ein paar Briefe, worinn Vorschläge enthalten sind, junge Leute auf öffentliche Kosten fürs Theater zu erziehen; ferner eine Uebersetzung des ersten Briefes aus der Tanzkunst des Herrn Noverre; und schließlich eine Fortsetzung von Synonymen empfiehlt Ihrem eigenen geneigten Erwägen

Ihr u.s.w.


Fortsetzung der neuen Edda.1


Ich sah unzählige solche Ketten, die an ihren äußersten Enden jede Minute durch neue Glieder, welche die Göttinn abwog, verlängert wurden; den Anfang derselben konnte ich aber nicht wahrnehmen. Der Geist sagt mir, ihre Strecke sey unendlich, ihr erster Vorsprung gliche der Feinheit der Strahlen, und sie laufen oben alle in einem unendlich kleinen Punkt zusammen, der das Centrum des blauen Himmels sey, wo Alfaders Thron erbauet ist. Der Glanz dieses Throns, sagte er, ist so groß, daß ihn niemand ertragen kann, als nur die lichten Geister, die im innersten Himmel wohnen. Das Licht, welches du hier siehst, ist ein Schimmer seines schwächsten Strahls, gegen den die Sonne selbst und alle Sterne ihren Schein verlieren, und die ganze Natur eine dichte Finster niß seyn würde. Ich habe dich bis an den Vorhof dieser prächtigen Stadt geführt, die eure Dichter Valoskialf nennen, und die manchen Sonnenkreis in sich faßt. Im Mittelpunkte derselben steht der bebende Thron, von welchem Alfader die ganze Welt übersieht: aber kein Sterblicher kann weiter kommen, als bis an den Kreis des Schicksals. Ich will dir andre Dinge zeigen, die deinem itzigen Zustande angemessener sind.

[286] Plötzlich verschwand das Licht vor meinen Augen. Der Körper fühlte seine vorige Schwere wieder. Meine Füße ruheten auf Etwas, hart wie Erde; ich spürte eine Luft um mich her, gleich der Mittags-Luft: allein, sehen konnte ich nicht. Das himmlische Licht, sagte der Geist, hat dich geblendet: er rührte meine Augen an, und ich sah. Ich stand auf einem Berge, wie der war, von dem er sich mir genähert hatte, und ich glaubte, in mein Reich zurückgekommen zu seyn. Ich habe dich, hub mein himmlischer Führer an, zu einer der Wohnstätte geführt, die unter allen in der weiten Luft ausgestreuten derjenigen, die du verlassen hast, am ähnlichsten ist. Die Einwohner haben mit den Menschen nicht allein die äußerliche Bildung, sondern auch alle natürliche Kräfte gemein. Der größte Unterschied zwischen ihnen und euch ist so wenig wesentlich, als die Ungleichheit unter Leuten von verschiedenen Ständen und Geschlechtern seyn mag. Diejenige Art von Geschöpfen, die ihr Menschen nennt, und von denen ihr euch beredet, daß sie euch nicht anders als gleich seyn können, haben eine natürliche Fähigkeit zu mancherley Dingen. Im Anfange ihres Daseyns sind sie wie eine Materie ohne Form, ein weiches Wachs, das unzähliger Bildungen fähig ist. Sollte die menschliche Natur in allen den Abänderungen, die ihr möglich sind, und die sie, ohne ihr Wesen zu zerstöhren, annehmen kann, wirklich seyn; so würde die Anzahl dieser Art von Geschöpfen groß genug seyn, viele Sonnenkreise zu bewohnen. Ihr könnt es schon aus dem, was ihr auf der Erde bemerkt, abnehmen. Ein Mensch bringt nichts auf die Welt, als eins bloße Fähigkeit; er hat der Natur wenig mehr zu danken, als die menschliche Gestalt: Denkungskraft, Neigungen, und alle Grade der Kräfte seiner Seele und seines Leibes beruhen auf den Wirkungen der äußern Dings und den Einflüssen, die ihr durch Erziehung, Gewohnheit, Umgang, Gesetze, Regierung und andere von Zeit und Ort abhängige Umstände empfanget. Diese Eigenschaften, welche ganz und gar zufällig sind, seht ihr für wesentlich und unwandelbar an, und urtheilt von der menschlichen Natur nach demjenigen Zustande, worinn ihr sie selbst findet. Jedes Zeitalter, jedes Folgegeschlecht mißt das ganze menschliche Geschlecht nur nach sich allein; man hält nichts für wahr oder natürlich, als was man in sich selbst bemerket, da doch die Verschiedenheiten im Denken, die auf eurer Erde wirklich sind, genug seyn könnten, euch zu überzeugen, daß eure meisten Begriffe mehr von der Gewohnheit, als von der Natur herrühren. So einleuchtend aber diese Verschiedenheiten auch sind, so müssen sie doch unter Menschen Eines Stammes, die auf Einer Erde wohnen, wo gewisse Arten zu denken, gewisse Arten der Neigungen durch den Umgang allgemein werden, weniger abstechen, als unter Einwohnern ganz andrer Welten. Denkart und Schickung ganzer Völkerschaften hängt bey euch sehr[287] oft von einem einzigen Menschen ab; ihr erbt den Hang eurer Väter; ihr leidet für ihre Verbrechen; ihr denkt, begehrt und handelt, wie einige wenige unter euch es für gut finden. Unter diesen Wenigen giebt es hundert eigennützige Betrüger gegen Einen aufgeklärten Menschenfreund. Andre sind es nicht sowol deswegen, weil sie es seyn wollen, als weil sie selbst betrogen worden, oder weil die, mit denen sie zu thun haben, betrogen zu werden verlangen. Gewohnheit und Vorurtheile täuschen die größten Seelen; und wenn einige derselben stark genug sind, diese Hülle von sich abzuwerfen, so hält Eigennutz und Furcht sie davon zurück. Du bist Einer der Wenigen auf der Erde, die Herz genug haben, ohne Eigennutz zu lieben, Stärke genug, selbst zu denken, Muth genug, nach eigner Einsicht zu handeln, und Macht genug, zu thun, was du willst. Um noch mehr Gutes in deiner Regierung zu bewirken, als alle Könige, die ihr groß nennt, ihres ganzes Leben hindurch haben bewirken können, fehlt dir nur Eins: die Kenntniß des Menschen, die Kenntniß deiner selbst. Es giebt nicht Viele auf der Erde, die diese Kenntniß besitzen, und die Einzelnen, denen sie gegeben war, unterstanden sich nicht, dir davon zu sagen. Du redetest zwar sehr vortheilhaft von Weisheit und Freyheit: aber diese Denkungsart war unter den Mächtigen der Erde so selten, daß sich Niemand gänzlich auf deine Worte verlassen konnte. Der Höchste allein sah, daß sie mit deinen Gedanken übereinstimmten; er sandte mich ab, dich in dem zu unterrichten, was du in deinem Zustande nicht begreifen konntest: wie der Mensch von Natur beschaffen sey; – in wie weit seine Art zu denken, seine Begierden und seine Glückseligkeit von dem Zustande abhangen, worein er durch andre gesetzt wird. – Du kennst viel Menschen auf Erden; deine Skalden haben dir allerley von ihren Sitten und Einrichtungen erzählt; allein, sie beurtheilten sie nach allgemeinen Begriffen, die nur die Gewogenheit unter euch veranlaßt hatte. Sie haßten alles, was nicht mit ihrem Eignen übereinkam. Befand sich unter den Auswärtigen eine Nation, die sich durch irgend ein Verdienst, oder auch zufälliger Weise eine Art von Achtung erworben hatte: sogleich lobten sie jede Unternehmung dieser Nation bis auf ihre Fehler und Schwachheiten. Sie untersuchten nicht, wie tief diese Erscheinungen in der Natur des Menschen gegründet seyn möchten; sie betrachteten nicht ihre Folgen in Absicht auf die Glückseligkeit der Menschen. Es war ihnen genug, sie zu erzählen; sie fanden ein Vergnügen an dem Ungewöhnlichen, und verachteten, was nicht mit derjenigen Denkungsart, wozu sie waren erzogen worden, noch mit den Mustern übereinstimmte, die sie vor Augen hatten. Redeten sie von den Thaten andrer Könige, so schmückten sie alle ihre Fehler, und vergrößerten jede Tugend, die ihnen die Aufmerksamkeit[288] deines persönlichen Charakters zu beschäfftigen schien. In solchen Umständen sich selbst zu kennen, erforderte größere Kräfte, als je eine Creatur in allen Welten, wo menschlich gebildete Thiere wohnen, besessen hatte. Ich mußte dich daher Millionen Meilen von der Erde hinweg an einen Ort führen, wo eine andre Richtung im Denken gilt, und wo du selbst nicht mehr bist, was du warst. Vergiß auf eine kurze Zeit, daß du König bist; unterjoche die Triebe der Erde, und verwirf die Meynungen, die du ohne hinreichende Untersuchung angenommen hast. Reise unbekannt in diesem Lande umher; rede frey mit einem Volke, das nicht gewohnt ist, etwas anders zu sagen, als was es denkt, und das keine Ursache hat, dir die Wahrheit zu verbergen. Dieser Erdball, wo du dich itzt befindest, läuft neuntausendmal in seinem Kreise herum, unterdeß der deinige seinen Kreislauf einmal zurücklegt. Ein Jahr ist hier nicht länger, als eine Stunde bey euch, und doch ist diese Stunde den Einwohnern eben so lang, als euch ein Jahr. Sie verrichten in dem Raume derselben so viel, als ihr in einem tausendfach größern. Der Höchste hat dir die Gabe beygelegt, die Schnellkraft deiner Gedanken mit der Geschwindigkeit der Zeit wetteifern zu lassen. Bediene dich der Gelegenheit, deine Begriffe aufzuklären, einer Gelegenheit, die keiner deiner Väter gehabt; nutze jeden Augenblick weislich; er kömmt nie wieder zurück. Wenn du diese dir nöthige, und von dir erbetene Erläuterung eingezogen hast, so will ich dich in dein Reich zurückführen. Du wirst größer seyn, als deine Väter, und dein Volk so glückselig, als Menschen es werden können.

1

S. die 2. Sammlung S. 317 und 330.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 275-290.
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