Mycon

[104] Von Miletus kamen wir, Milon und ich, Apollen unser Opfer zu bringen. Schon sahn wir von ferne den Hügel, auf dem der Tempel auf glänzenden Säulen aus dem Lorbeerhain hoch in die blaue Luft emporsteht; und weiter hinaus flimmerte, dem Auge endlos, die Aussicht ins Meer. Mittag wars, und der Sand brannte unsre Solen, und die Sonne die Scheitel; so gerade stand sie über uns, daß die Locken an der Stirne ihre Schatten das ganze Gesicht herunter warfen. Die Eidexe schlich lächzend im Farrenkraut am Weg, und die Grille und die Heuschrecke zwitscherten unter dem Schatten der Blätter im gesengeten Grase. Von jedem Tritt flog heisser Staub auf, und brannte die Augen, und saß auf die gedörreten Lippen. So giengen wir schmachtend:[104] Aber wir verlängerten die Schritte, denn vor uns sahn wir am Wege dicht emporstehende Bäume; schwarz war der Schatten unter ihnen wie Nacht. Mit schauerndem Entzücken traten wir da in die lieblichste Kühlung. Entzückender Ort, der so plötzlich mit jeder Erquickung uns übergoß! Die Bäume umkränzten ein grosses Beth, worein die reinste, die kühleste Quelle sich ergoß. Die Äste hiengen ringsum zu ihr herunter, mit reifen Äpfeln und Birnen behangen, und zwischen den Stämmen der Bäume flatterten fruchtbare Gesträuche, Krauselbeeren und Brombeeren, und die Erbselstaude. Aber die Quelle rauschte aus dem Fuß eines Grabmals hervor, das Geißblatt und die schlanke Winde, und schleichender Epheu umwanden. Götter, so rief ich, wie lieblich ist dieser Ort der Erquikung! Heilig und gesegnet sey mir, der diese Schatten so gutthätig gepflanzt hat; vielleicht ruht seine Asche hier. Hier, sprach Milon, hier an der Vorderseite des Grabmals sehe ich unter den Ranken von Geißblatt eingegrabene Züge; vielleicht sagen uns die, wer er ist, der so für des Wandrers Erfrischung sorgt. Und jetzt hob er die Ranken mit seinem Stab, und las:

Hier ruhet die Asche des Mycon! Gutthätigkeit war sein ganzes Leben. Lange nach seinem Tod wollt' er noch gutes thun, und leitete diese Quelle hieher, und pflanzte diese Bäume.

Gesegnet sey deine Asche, du Redlicher, so sprach ich; gesegnet die Deinen, die du zurückliessest! Und da kam jemand unter den Bäumen hervor; ein schönes Weib wars, von schlanker Gestalt und edlem Ansehn. Einen Wasserkrug trug sie am Arm, und so kam sie zu der Quelle. Seyd mir gesegnet in diesen Schatten, so redte sie mit holder Freundlichkeit; ihr seyd Fremde; vielleicht, vielleicht hat ein zuweiter Weg bey der Sonnenhitze euch ermüdet. Sagt, kann zu eurer Erfrischung noch etwas euch dienen, als was ihr hier findet?

Sey uns gesegnet, so erwiederten wir, gutthätiges Weib. Wir bedörfen keiner andern Erfrischung; süß hat uns diese[105] Quelle, süß diese Früchte und dieser Schatten erquickt. Ehrfurcht erfüllt uns für den Redlichen, dessen Asche hier ruhet, der so für die Bedürfnisse des Wandrers sorgte. Du bist von dieser Gegend, du kanntest den Mann; sag uns, indeß dieser heilige Schatten uns kühlt, sag uns wer er war?

Jetzt stellte die Frau ihren Wasserkrug auf den Fuß des Grabmals, lehnte sich drauf, und sprach mit freundlichem Lächeln:

Mycon, so hieß er, der die Götter ehrte, dessen süsseste Wollust war, andern Gutes zu thun. In dieser ganzen Gegend wird kein Hirt seyn, der nicht mit Freundschaft und Dankbarkeit sein Andenken ehrt; keiner der nicht Geschichten seiner Redlichkeit und seiner Güte mit Freudenthränen erzählt. Ich selbst, ich danks ihm, daß ich das glücklichste Weib bin, – – hier glänzten Thränen in ihren Augen – – das Weib seines Sohns. – – Mein Vater war gestorben; in kummervoller Armuth ließ er ein redliches Weib und mich zurück. In häuslicher Stille, von unsrer Arbeit und frommer Gutthätigkeit genährt, lebten wir, und Tugend und Frömmigkeit war unser einziger Reichtum. Zwo Ziegen gaben uns ihre Milch, und ein kleiner Baumgarten seine Früchte. Nicht lange lebten wir in dieser Ruhe; auch meine Mutter starb, und hinterließ mich trostloses Kind. Aber Mycon nahm mich in sein Haus, und übergab mir häusliche Geschäfte, und war mehr mein Vater als mein Herr. Sein Sohn, der beste und schönste Hirt der ganzen Gegend, sah meine redliche Geschäftigkeit, und meine aufmerksame Sorge meines Glükkes werth zu seyn; er sah es und liebte mich, und sagt' es mir, daß er mich liebte. Was in meinem Herzen ich empfand, wollt' ich mir selbst nicht gestehn. O Damon, Damon! Vergiß deine Liebe! Ich armes Mädchen bin glücklich genug, die Dienstmagd deines Hauses zu seyn. So fleht ich ihm immer, aber er vergaß seine Liebe nicht. Eines Morgens war ich eben im Vorhaus beschäftigt, die Wolle der Heerde zur Arbeit zu rüsten: Da trat Mycon herein, und setzte sich neben mir an die Morgensonne; lange sah er mit freundlichem Lächeln[106] mich an. Kind, so sprach er jetzt, deine Frömmigkeit, deine Geschäftigkeit, dein ganzes Betragen gefallen mir so wohl; du bist das beste Kind, und ich will, geben die Götter das Gedeyen, ich will dich glücklich sehn! Könnt' ich, mein bester Herr, könnt' ich glücklicher seyn, als wenn ich deiner Gutthaten würdig bin! So antwortete ich, und Thränen der Dankbarkeit flossen von meinen Augen. Kind, sprach er, ich möchte das Andenken deines Vaters und deiner Mutter ehren; ich möcht' in meinem Alter meinen Sohn und dich glücklich sehn. Er liebt dich; kannst du, sage mirs, kannst du durch seine Liebe glücklich seyn? Jetzt entsank die Arbeit meiner Hand; zitternd, erröthend stand ich vor ihm. Er nahm meine Hand; und, kannst du, so sagt er, kannst du durch seine Liebe glücklich seyn? Ich fiel vor ihm nieder, drückte im stummen Entzücken seine Hand an mein bethräntes Gesicht; und von selbigem Tag an bin ich das glücklichste Weib. Jetzt trocknete sie ihre Augen. Das war der Mann, der hier ruhet, so fuhr sie fort: Aber wie er diese Quelle hieher geleitet, und diese Schatten gepflanzt hat, das wünscht ihr noch zu wissen, und ich wills euch erzählen:

Gegen dem Ende seines Lebens gieng er oft, und setzte sich hier an der Strasse, grüßte freundlich den Wandrer, und bot dem Armen und dem Müden Erquickung. Wie, wenn ich einen kühlen Schatten von fruchtbaren Bäumen hier pflanzte, und eine kühle Quelle in diesen Schatten leitete? Weither ist keine Quelle und kein Schatten. So erquick ich, wenn ich lange nicht mehr bin, den Müden, und den der an der Sonnenhitze schmachtet. So sprach er, und ließ vom Feld her die kühleste Quelle leiten, und pflanzte fruchtbare Bäume umher, die früher und später reifen. Die Arbeit war vollendet; und jetzt gieng er zum Tempel des Apoll, opferte und bat: Laß, was ich pflanzte, gedeyen; so kann der Fromme, der fernher zu deinem Tempel geht, im kühlen Schatten sich erfrischen.

Der Gott hatte seine Bitte gnädig erhört. Den folgenden[107] Morgen erwacht' er frühe, und sah aus seinem Fenster nach der Strasse. Da sah er, wo er die Sprößlinge pflanzte, hochaufgewachsene Bäume. Götter, so rief er, was seh ich! Kinder, sagt mirs, täuscht mich ein Traum? Ich sehe, was ich gestern gepflanzt, zu Bäumen emporgewachsen. Voll heiligen Erstaunens giengen wir jetzt unter den Schatten; in vollestem Wuchse standen die Bäume da, und streckten die starken Äste weit umher; die Last der reifen Früchte bog sie herunter zum blumigten Gras. O Wunder, so rief der Greis, ich Alter soll selbst noch in diesen Schatten wandeln! Und wir dankten und opferten dem Gotte, der so gnädig noch mehr als seine Wünsche erfüllte. Aber ach! Er wandelte nicht lange mehr in diesen Schatten; er starb, und wir begruben ihn hier; daß der, welcher in diesen Schatten ruhet, dankbar seine Asche segne.

So erzählte sie. Gerührt segneten wir die Asche des Redlichen. Süß hat uns die Quelle, süß der Schatten erquickt; aber mehr noch, was du uns so freundlich erzähltest; sey uns gesegnet!

So sprachen wir, und giengen voll frommer Empfindung zum Tempel des Apoll.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 104-108.
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