Zunftrecht

[163] Welch ein launisch-wildes Wetter!

Aber, sieh! es warf dazwischen

Gottes Auge, unsre Sonne,

Einen wonnig milden Blick und –

Und aus einer rothen Wolke[163]

Hagelte es rasselnd, prasselnd:

Große, süße Zuckererbsen!


»Dank Dir, Himmel! Dank, Gott Schtille!«

(Welcher nebenbei dem Amt des

Wind- und Wettermachens vorstand).

»Dank Dir, güt'ger Gott der Ordnung!«

Rief das Volk, begierig sammelnd

In Geschirren und in Körben,

Was dies meteorologisch-

Ungesetzliche Ereigniß

Seiner Armuth freundlich darbot.


Aber schon am selben Abend

Stürmten alle Zuckerbäcker,

Demüthigst petitionirend,

In das Schloß des Ober-Mufti's,

Und nach dreimal dreißig Wochen

(Daß sich die Behörden hierorts

Keine Zeit zur ruh'gen Prüfung

Eingegangner Bitten lassen,

Fand ich immer unverzeihlich!

Hab' es aber nie geäußert.)
[164]

Kam ein muftiger Erlaß schon

An des Reiches Zuckerbäcker,

Wörtlich also lautend:

»Schafe!

Nach gewissenhafter Sitzung

Meines zopf'gen Mufti-Rathes

Und nach dessen Anerkennung

Der Gerechtigkeit der Klage,

Welche ihr Mir übergeben,

Habe Ich dem Standbild Ego's

In das linke Ohr gerufen,

Daß die Zuckerbäckerei sei

Euer gutes, alt-ehrwürd'ges

Monopol und Zunftrecht, ergo

Er, der große Gott der Götter,

Schtille'n, seinem Gott der Ordnung,

Gnädigst möge anbefehlen:

Niemals wieder Zuckererbsen

Auf das Volk herabzuhageln,

Und dadurch den Zuckerbäckern,

Welche concessionirt sind,

Frechlichst in's Gewerb' zu pfuschen,

Und – da Schtille's Zuckererbsen[165]

Feiner, süßer als die ihren

Und herabgefallen gratis –

Sie, die guten Zuckerbäcker

So an Nahrung, wie an Ehre

Zu beschäd'gen und verletzen:

Widerigenfalls genöthigt

Ich und fest entschlossen wäre

Ihn auf zehn Jahr abzusetzen!


Denn zwar, rief Ich zürnend weiter

In das linke Ohr Gott Ego's,

Ist Herr Schtille Gott der Ordnung,

Und wer ehrte mehr als Mufti's

Hier die alte feste Ordnung?

Aber das ist keine Ordnung,

Plötziglich sich zu erfrechen

Das Gewohnte durchzubrechen,

Und zum Vortheil und Vergnügen

Der gesammten Volkesmasse,

Welche ewig gier und leckern:

Unsern edeln Zuckerbäckern

So an Ehre, wie an Kasse

Schweren Nachtheil zuzufügen!«

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 163-166.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verkehrte Welt
Die Verkehrte Welt: Eine Komisches Gedicht (German Edition)

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

554 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon