Die Flucht aus dem Lager vor Prag

[117] Als ein Heer die letzten Kräfte

Auf dem Ziskaberge wagte,

Und noch Bomben oder Kugeln

In dem nahen Lager tobten;[117]

Als ich noch der Kugel fluchte,

Die mir meinen Prinzen raubte,

Kam, mit schnellen Taubenflügeln,

Amor in mein Zelt geflogen.

Dreister, sprach der Gott der Liebe,

Dreister, kanst du hier verweilen?

Hier, wo die verwegnen Menschen

Tödten, und sich tödten lassen;

Hier, wo die erzürnten Götter,

Auch die besten Helden tödten?

Ist dein Prinz nicht schon getödtet?

Falscher, geh, dein Mädchen weinet,

Geh, eh dich die Kugeln tödten,

Geh, was machst du bei den Helden,

Geh, ich kan nicht länger sehen,

Wie dein armes Mädchen weinet!

Liebster, sprach ich, lieber Amor,

Kömst du ietzt von meinem Mädchen?

Aber er verschwieg die Antwort,

Und ergrif den Stab im Zelte,

Der die Leinwand unterstützet,

Und der Stab ward weis wie Silber,

Und das Zelt fing an zu fallen,

Und er trieb mich, mit dem Stabe,

Aus dem Zelt und aus dem Lager.

Hätten Krieger zugesehen,

Als mich Amor mit dem Stabe,

Zornig aus dem Lager iagte;

O wie hätten sie gelachet!

Doch, es läßt der Gott der Liebe

Sich von keinem Krieger sehen.[118]

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke, Leipzig 1885.
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