An Gleim

[163] Ellrich, den 1. Mai 1776.


Du hast mich zwar

Seit einem Jahr'

Wohl zwanzigmal

Besuchen wollen;

Doch, Berg und Thal

Möcht' eher sich

Zusammen rollen,

Als du und ich,

Uns, wie es scheint,

Hier küssen sollen.

Wir aber, Freund,

Trotz unsrer Liebe!

Sind nicht gemeint,

Dem Aufgeschiebe[164]

So nach zu sehn;

Versprechen halten,

Das steht bei Alten,

Und jungen, schön,

Entschuldigungen

Sind, wie du weist,

Dir oft gelungen;

Doch nun zerreißt

Der Frau Geduld

Am Spinnerädchen,

Das letzte Fädchen,

Ob deiner Schuld.

Zwar, wenn ich recht

Es überlege:

Die Felsenwege

Sind herzlich schlecht;

Man wird im Wagen

So braun und blau,

Wie manche Frau[165]

Vom Mann', geschlagen.

Fürwahr! so was

Verlangt der Haß

Und nicht die Liebe;

Ja! wär' ich Gleim,

Ich selber bliebe

Wohl hübsch daheim.

Doch steht geschrieben:

Die böse Sieben

Hypochondrie,

Aus Kreuz und Magen

In einem Huy!

Heraus zu jagen,

Sey in der Welt,

Wem's sonst gefällt,

Kein besser Mittel,

Als solch Geschüttel.

Nun wollt' ich gern

Den lieben Herrn[166]

Canonicus,

Der immer sitzen,

Bei Acten schwitzen

Und doctern muß,

Recht frisch und munter

Im Frühling' sehn:

Drum laß es gehn

Berg auf, Berg unter,

Dem Harz hinein!

Denn die Gewässer

Sind wieder klein,

Die Wege besser,

Die Luft so rein!

Der Nachtigallen

Gesänge schallen

In Lahra's1 Hain;

Und Blumen düften[167]

Auf jeder Höh',

Die Herr Linnee

In seinen Schriften,

So viel er kennt,

Nicht alle nennt;

Und Felsen schimmern

Hoch auf dem Harz

Besonnt, und flimmern

Von Spath und Quarz;

Und hohe Schlösser,

Die manchen Fresser

Und Dieb genährt,

Stehn da verheert,

Stehn und dociren

Den Spruch von fern,

Daß strenge Herrn[168]

Nicht lang regieren!

Und froh und süß

Spielt auf bejahrten

Verfallnen Warten,

Wo die Trompete

Zur Schlacht sonst bließ,

Die Schäferflöte

Zum Tanz' der Lämmer;

Der dumpfe Schlag

Der Eisenhämmer,

Ist wieder wach2;

Und in der Weite

Schläft nach und nach

Der Felsenbach

Und das Geläute

Der Herden ein3;[169]

Und in dem Hain',

Wo die Druiden4

In gutem Frieden

Kramm'tsvögelein

Für sich gebraten,

Und fromm und fein,

Wie itzt Prälaten,

Nie Layen baten,

Ihr Gast zu seyn:

Da springt im Quelle

Die Lachsforelle

Für meinen Gleim;

Da zirpet nun,

Leis' und geheim,

Das Haselhuhn[170]

Für meinen Gleim;

Da ätzt das Reh

Vom jungen Klee

Den ersten Keim

Für meinen Gleim;

Da holt nunmehr

Der Bienen Heer

Schon Honigseim,

Zur süßen Beute

Für meinen Gleim;

Da hasch' ich heute

Schnell Reim auf Reim

Für meinen Gleim!

Zu solchem Feste,

Für Dich nur klein,

Doch mir das größte,

Lad' ich Dich ein,

Und zapfe Wein

Vom Mutterfasse,[171]

Und trink', und lasse

Mit Gleimen gern

Die großen Herrn

Mit langen Ohren,

Langöhrigt seyn;

Denn wer kann Thoren

Zu Weisen schrein?

Wohlan denn! Munter,

Berg auf, Berg unter,

Zum Harz hinein!

Fußnoten

1 Lahra, eine Göttin der alten Deutschen, die auf dem Berge, wo itzt noch das alte Schloß und jetzige Amthaus Lohra oder Lahra, zwei Meilen von Ellrich steht, einen Tempel hatte. Eine sehr waldige und romantische Gegend.


2 Das Triebwerk der Eisenhütten friert gewöhnlich im Winter zu.


3 Alle Rinderherden im Harz, tragen Glocken am Halse.


4 Bei Druidenstein oder Drudenstein, wie man es itzt nennt, einem Dorfe auf dem Wege von Blankenburg nach Ellrich, in dessen Walde die Druiden sonst wohnten.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte.Teil 1–4, Teil 1, Frankfurt a.M. 1821, S. 163-172.
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