An Madam Mumsen und Madam Voß

[247] Im Oktober 1778.


Ihr wünschet, mich zu kennen?

Wär' Hamburg nur von hier

Drei Meilen, wollt' ich rennen,

Daß kaum, selbst ein Courier

Mir sollte folgen können.

Allein, weil Euch von mir

Sechs Herren Länder trennen,

So würden schon fürwahr

Die Sohlen wacker brennen,

Durchstreift' ich nur ein Paar.

Ich könnte freilich reiten;[248]

Doch ach! mein einzig Pferd

Ist grade jetzt bei Leuten,

Die es so lieb und werth,

Als ihre Seele, halten.

Denn wißt, als ich damit

Vor kurzem nach Trialten,

Ein Dorf bei Eger, ritt;

Da fuhren zehn Husaren

Wie Teufel auf mich ein!

Ich, mit gesträubten Haaren,

Jagt' über Stock und Stein,

Allein die Herren waren

Noch schneller hinter drein.

Da ließ ich durch ihr Schrein:

»Halt Schurke!« mich erbitten,

Und stellte selbst mich dar,

Eh' ich nach wenig Schritten

Dazu gezwungen war.

Wer hat, sprach ein Husar,[249]

Den Gaul Euch zugeritten?

Der Hundsfott wäre werth,

Daß er am Galgen hinge!

Mein Seel'! ein braves Pferd!

Wenn's unter mir – der Blitz! –

Nur ein acht Tage ginge.

Euch ist's den Teufel nütz!

Steigt drum nur immer ab!

Ich will's schon Mores lehren! –

Kaum war ich denn mit Ehren

Von meinem Pferd' herab,

Als er die Sporn ihm gab,

Und, ohne Abschied, husch!

War er damit im Busch'.

Bringt er es zugeritten

In meinen Stall zurück,

Will ich den Augenblick

Bei Euch zu Gast mich bitten.

Allein es lernt vielleicht[250]

Wohl erst in vielen Jahren

Die Schule, vom Husaren:

Drum wäre, wie mich deucht,

Das sicherste: zu fahren,

Eh' noch die Zeit verstreicht.

Denn ach! ihr lieben Frauen!

Wenn's manchem gleich so glückt,

Wer kann dem Uhrwerk' trauen,

Das uns im Herzen pickt?

Ihr wißt ja, wie der Zeiger

An unsers Lebens Seiger

So hurtig weiter rückt!

Man flickt daran und flickt,

Bis daß die Zeit die Räder

Mit einmal stehen heißt,

Und, Knall und Fall! die Feder

Zerspringt, die Kette reißt!

Wohlan! da aufgeschoben[251]

So gut als aufgehoben

Für einen Pilger ist,

Dem, über dem Besinnen,

Der Rost gemach von innen

Das Triebwerk mürbe frißt:

So muß ich wahrlich eilen,

Ein Herz mit Euch zu theilen,

Das bald in Staub zerfällt;

Und sechs und dreißig Meilen

Ist ja nicht aus der Welt!

Die fahr' ich und mein Kober

Voll schmaler Reisekost,

Im spätesten Oktober

Auf einer offnen Post,

Und leid' auf meinem Sitze

Dabei so ruhig Frost,

Als einst auf seinem Rost'

Der heil'ge Lorenz Hitze.[252]

Durch einen Kuß wird Euch

Es leicht seyn, liebe Frauen,

Wär' ich auch Eis, sogleich

Mich wieder aufzuthauen.

Der Kuß ist mir genug,

Um Sporenstreichs zu kommen;

Allein, wird mein Besuch

Auch Euch, ihr Damen, frommen?

Erwartung macht uns größer,

Als wir am Ende sind.

Daß sie nicht viel gewinnt,

Wenn ihr die Schenken Schlösser,

Und auf der See zwei Fässer

Von fern zwei Schiffe sind,

Ist klar; drum thu' ich besser,

Ich schick' Euch selbst von Haus

Den Maßstab gleich voraus.

So fragt Euch denn nur immer:[253]

»Je! sollt' er das wohl seyn?«

Tritt künftig in das Zimmer

Ein Mann im Frack' hinein.

Die Wahrheit Euch zu sagen:

Er hat nur einen Rock.

Müßt' ihn der Kuckuck plagen,

Auf Reisen den zu tragen,

Als hätt' er noch ein Schock.

Auch schiebt es auf das Reisen,

Wird man an seinem Haar'

Von einem Kräuseleisen

Kaum eine Spur gewahr;

Doch hatt' er es im Grunde

Schon immer an der Art,

Daß er die Viertelstunde

Gern für die Freude spart.

Man sagt, es sey zu lesen

Auf seiner Stirn' gewesen:[254]

Fort mit der Narrenbrut!

Nur hat, das müßt ihr wissen,

Sein Weibchen nicht geruht,

Bis daß sie unter Küssen

Die Aufschrift abgerissen;

Was eine Frau nicht thut!

Doch würd' er auch, ihr Lieben,

Vom Kopfe bis zum Schuh',

Euch von Gestalt beschrieben,

Von Wesen noch dazu;

Ja! wenn er selbst da stünde:

Was wär' er? Nun! ein Ding

Gleich jedem Menschenkinde,

Das je im Fracke ging;

Denn, einen Sonderling

Haßt er wie seine Sünde.

Kann etwas, ihn genau

Zu schildern, ja noch taugen,[255]

So sind es seine Augen,

(Wenn ich nicht irre, blau,

Doch meinethalb auch grau,)

Worin er, was ihn rühret,

Und mißfällt, sehr genau

Gleich selber registriret.

Doch sollte so ein Mann

Im Frack', mit solchem Auge,

Gleich von der Thürschwell' an,

Mit einer ganzen Lauge

Von Witz und Reimerei

Euch weidlich übergießen,

So könnt Ihr sicher schließen,

Daß das nicht Göckingk sey.

Denn der wird sicher warten,

Wovon Ihr lieber sprecht:

Von Liedern oder Karten?

In eines Freundes Garten[256]

Ist jede Blum' ihm recht.

Doch, wenn nach einer Stunde

Mein Mann noch immer schweigt,

Wenn dann auf seinem Munde

Sich noch kein Lächeln zeigt:

So wird sich's nimmer zeigen,

Und er ist nicht für Euch!

Denn das ist ihm so eigen,

Gleichgültig still zu schweigen,

Wo Sympathie nicht gleich

Die Herzen paart mit Herzen.

An Freundlichkeit und Scherzen

Wird er nur dann erst reich,

Wenn sie der Etikette

Den Marschallsstab zerbricht,

Und ehe noch ein Licht

Verbrannt ist, um die Wette

Sich Rosenkränze flicht.[257]

Sonst ist er es für Fürsten,

Und sollt' er ewig dürsten,

Selbst bei Tokaier nicht.

Sagt nur mit einem Blicke:

»Mann! du gefällst uns wohl!«

Wer ist, der dann im Glücke

Sich ihm vergleichen soll?

Denn was ist Glück? Als Freude,

Die einem Mann' im Frack'

Zuflüstert: diese Beide,

Könnt' in dem reichsten Kleide,

Kein Narr, mit seinem Sack'

Voll Gold, ihn hochzuschätzen,

Gewinnen; aber du,

Darfst dich geradezu

An ihre Seite setzen.

O seliges Gefühl,

Den Edlen zu gefallen!

Du bist das große Ziel,[258]

Nach dem wir alle wallen!

Dich haben, ist schon viel!

Dich auch verdienen, ist

Das seligste von allen!

Wem du gegeben bist,

Der siehet von dem Baum'1

Der Krämer Schiff' im Hafen,

Wird aber, ohne Traum

Von Schiffen, ruhig schlafen.

Wer dich hat, beugt dem Wagen

Mit Sechsen, willig aus,

Doch ist's umsonst, ihn fragen:

»Sah nicht der Fürst heraus?«

Wer dich hat, wahrlich dem

Sitzt sein Gewissen, – treibe

Das Glück sein Spiel! – bequem,

Wie mir mein Frack am Leibe.[259]

Glück, ist der Klugheit Loos,

Der Weisheit Loos, ist Freude!

Ich sitze nicht im Schooß'

Des Glücks, doch weil ich Beide

Nicht gut vereinen kann,

So halt' ich's mit der Freude.

Bin ich nun Euer Mann?

Fußnoten

1 Das bekannte Baumhaus in Hamburg.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte.Teil 1–4, Teil 1, Frankfurt a.M. 1821, S. 247-260.
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