An Rosenstiel, in Berlin

[68] Den 4. Dezember 1778.


O wohl mir, daß mein Weib und Sohn

Mich nur lebendig wieder haben!

Vier Wochen später, war ich schon

In deiner Königsstadt begraben.

Zwar, säh' die Göttin Sparsamkeit,

Gleich mir, wie ihr so gastfrei seyd:

Sie müßte schier für sich erröthen!

Doch grade diese Gastfreiheit

Würd' einen Fremden endlich tödten.

Nie, nie vergißt der Königsstadt

Und ihrer Großen, ihrer Weisen,

Dein Freund. So lang er Athem hat,[69]

Wird er, der nichts fast lobt, sie preisen.

Und dennoch: stände gleich die Wahl

In meiner Macht; zum zweitenmal

Würd' ich wohl nach Berlin nicht reisen.

Wer weiß, wer weiß! wann, eh' ich nur

Die erste Fahrt dahin, verwinde!

Denn, außer daß ich meine Flur,

Trotz eurem Park'1, so schön noch finde,

Als eh' ich neulich sie verließ,

Erfriert dein Freund fast bei dem Winde,

Vor dem, so rauh er immer bließ,

Sonst kaum von seinem Blut' ein Tröpfchen

Erstarrt'; und ach! aus seinem Näpfchen

Schmeckt süßer Rohm ihm nicht mehr süß.

Nicht, weil mein Gaumen, den Poeten

Der Bouillon2 gleich, nach Wildpasteten

Und euren Zandern lüstern ist;[70]

Nein! doch mein Magen lebt, zur Strafe

Des spätern Schwärmens, mit dem Schlafe

Noch immerfort in argem Zwist'.

Gottlob! daß ich nicht mehr, wie dort,

Auf Federn von gewundnem Stahle,

In Kutschen sitze; mit dem Nord'

Die Zorga3 rauschen hör' im Thale;

Wie sonst, vom Berg' ein Abendroth

Auf schwarzen Wald kann brennen sehen;

Wie sonst, sobald mein Butterbrod

Verdaut nur ist, zu Bette gehen,

Wenn eure Köche noch den Koth,

Am Feuer, aus der Schnepfe drehen.

Nun, hoff' ich, soll mein Magen wohl

Bald mit dem Schlafe sich versöhnen,

Der eine wieder sich an Kohl,

Der andr' an Glocke zehn gewöhnen.[71]

Zwar haben eure Leckerbissen,

Und eure Weine weiß und roth,

Mir nicht den süßen Schlaf entrissen,

Weil dort kein Wirth so lange droht,

Daß wohl die Gäste trinken müssen;

Wer aber denkt noch an den Leib,

Da, wo er seltne Weisheit höret?

Und wer vergißt nicht gern den Becher,

Da, wo der Witz zum Zeitvertreib'

Mit leichter Hand den vollen Köcher,

Als wenn es Pfeile schneite, leeret?

Doch, Wochen lang, um Mitternacht

Gerad' ins Bett vom Schmause fahren:

Dafür mag mich das Glück bewahren!

Denn aller Weisen Weisheit macht

Doch nicht gesund im Krankenbette;

Entschläft man gar: Ach! wer erwacht

Von eines Lucians Gespötte?

Und wahrlich! Ich war nah daran,[72]

Zu Tode mich bei Euch zu wachen,

Ja, Willens schon, dir, lieber Mann!

Mein Weib und Kinder zu vermachen.

Denn erst geschlafen hab' ich kaum

In dreißig Nächten, dreißig Stunden,

Doch oft den Rest der Nacht, im Traum',

Mich ängstlich wie ein Wurm gewunden.

Oft war's, als griff' ein Räuber mir

Mit: Steh du Hund! schon nach der Krause,

Doch fand sich's bald, daß vor der Thür'

Von eures Commandanten Hause,

Die Schildwach' und die Ronde, nur

Gerufen hatten. – Bald bedräuten

Im Traum', Erdbeben, der Natur

Den Untergang; hu! wie von weiten

Der Donner rollt! die Mauren beben,

Die Balken brechen, schrecklich schweben

Sie knackend über meinem Haupt'! –

Was ist's nun, das die Ruh' mir raubt?[73]

Zehn Kutschen fahren spät vom Schmause,

Vor meinem Fenster durch, nach Hause.

O wohl mir! daß mit Weib und Kind

Ich Tisch und Bett kann wieder theilen!

Denn unsre Schildwach' sind die Eulen

Und unser Kutschgerassel – Wind!

Mit beiden bin ich schon vertraut;

Drum komm, o Schlaf! wie eine Braut

In künftger Nacht mich zu umfangen;

Denn glaube, Sapho konnte schier

Nicht mehr nach Phaon, als nach dir

Mein schweres Augenlied verlangen.

Und wahrlich! Sancho selbst hat dich

Nicht mehr geliebt, als ich dich liebe;

Und dennoch, Lieber, flohst du mich?

Sahst meine Stirn und Augen trübe,

Und meine Rosen so verblühn?

Und sahst mit an, wie in Berlin,

Mein Witz, Champagner gleich, verrauchte,[74]

Und das zu einer Zeit, wo ihn

Dein Freund am nöthigsten gebrauchte?

Doch, alles das sey dir verziehn!

Nur stelle dich auf deinen Socken

Heut' Abend, mit dem Schlage Neun,

Ganz leis' in meiner Kammer ein,

Und laß dich nicht durch Morgenglocken,

Durch Uhrgepick und Reimerein

Von Bav und Mäv, erst lange locken.

Auch auf die Träume gib wohl Acht,

Daß sie nicht mit herein sich stehlen;

Und wollten sie mich diese Nacht

Zum Coadjutor Cöllns erwählen,

Ja wahrlich! kämen sie sogar

Auf Adlern vor mein Bett geritten,

Und sprächen: Steig auf einen Aar!

Es geht dem Monde zu! – Fürwahr!

Ich müßt' es dennoch itzt verbitten.[75]

Wie? spielt da schon mein Glockenspiel?

So ist es Zehn! das ist mein Zeichen!

Schon hör' ich meinen Liebling schleichen:

Drum gute Nacht, Freund Rosenstiel!

Fußnoten

1 Der Thiergarten.


2 Die bekannte Herzogin dieses Namens.


3 Ein Fluß bei Ellrich.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 2, Frankfurt a.M. 1821, S. 68-76.
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