Auf dem Stubenberge bei Gernrode

[282] Seht nur umher die Gegend an,

Wie schön ist sie, wie schön!

O! wer das nicht empfinden kann,

Mag immer wieder gehn.

Er wäre doch für uns kein Mann,

Und würd' uns nicht verstehn.

Sey fröhlich, oder sey betrübt,

Komm spät hieher, komm früh:

Wenn sonst dein Auge Schönheit liebt,

So heb' es auf, und sieh!

Das Vorrecht, zu erfreun, vergibt

Sich diese Höhe nie.[283]

Die reinste Freud' auf dieser Welt

Gewährt uns die Natur.

Dem Herzen, welchem sie gefällt,

Vertraun wir ohne Schwur.

Doch wer sich heuchelnd nur so stellt,

Der mache Fürsten Cour.

Kann Liebe jemals ohne Pein,

Kann Freundschaft ohne Schmerz,

Kann Reichthum ohne Sorge seyn,

Ohn' Angst ein Mutterherz?

Ach! Hefen führt der beste Wein,

Und Gift das reinste Erz.

Doch sehen wir noch tausendmal

Die Sonn' hier untergehn,

So sagen wir zum letzten Strahl':

Leb' wohl, auf Wiedersehn!

Und können ohne Reu' und Qual

Wie sie zur Ruhe gehn.

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 282-284.
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