Die Doppelgänger.

[74] In den glänzenden Salons der Fürsten Lieven, dieses weiblichen Talleyrand's der letzten Jahre, in der Straße Saint Florentin 2, bewegte sich die glänzende Versammlung in jener ungenirten Weise, der höchsten Circles von Paris. Es war der Abend allgemeinen Empfangs, und was die Weltstadt an Notabilitäten der Administration und Diplomatie, der Kunst, der Wissenschaft und der Börse, so wie von Fremden bot, begegnete sich auf diesen Parkets mit den Lions und Lionnes der Mode. Die Salons der Fürstin hatten in dieser Zeit ihre wichtige politische Bedeutung; denn alle Parteien fühlten sich hier gewissermaßen auf neutralem Felde, und bei der immer ernster sich gestaltenden Spannung zwischen den Höfen von Frankreich, England und Rußland bot sich hier eine Gelegenheit zu Besprechungen und Verhandlungen, die weniger für den offiziellen diplomatischen Verkehr geeignet, doch oft tief einschneidend und von weithin tragender Wichtigkeit waren. Die Fürstin, ganz geschaffen für die politische Intrigue, wußte mit dem ihr eigenen Tact die feindlichen Parteien zu beschäftigen und aus all' dem bunten und wechselnden Verkehr ihre Vortheile zu ziehen.

Jeder Fremde von durch Geburt, Rang, Reichthum oder Ruf ausgezeichneter Lebensstellung, der zu jener Zeit in Paris war, weiß, daß zugleich diese Soireen die reichhaltigsten und angenehmsten an geselligen Vergnügungen waren, die man finden konnte, und daß neben der politischen Intrigue hier manches geheimnißvolle und interessante Band der Herzen sich knüpfte, manches Rendezvous hinter dem Rücken des im Nebenzimmer verkehrenden Gatten oder der wachsamen Familie gegeben wurde. Bei den in dieser Beziehung[74] ohnehin laxen Sitten und Begriffen der pariser Gesellschaft, die nur auf gewisse äußere Gesetze der Schicklichkeit basirt ist, sind die Versammlungen der vornehmen Kreise oft der Kuppler für Verbindungen und Speculationen jeder Art.

In einem mit grünem Damast ausgeschlagenen, nur durch die erhobene Portiere von diesem getrennten Nebencabinet des großen Salons, in dem getanzt wurde, saßen auf einer üppigen Causeuse zwei Männer. Der Eine von ihnen, einige Jahre älter als der Andere und etwa sechs- bis achtundzwanzig zählend, trug die prächtig-phantasische Uniform eines Capitains der Garde-Zuaven, jenes Elitecorps aus den gewandtesten und verwegensten Kriegern Algeriens. Sein Gesicht war das männlich-schöne, muthige eines ächten französischen Soldaten mit Zügen, die jene Aristokratie der Geburt zeigen, welche Namen und Wappen nur bestätigen, nicht verleihen können. Auf der breiten Brust mit der silbergestickten blauen Jade prangte das Ritterkreuz der Ehrenlegion, von dem Janin unter Louis Philipp einst schrieb: Il est une honte, de l'avoir et de ne l'avoir, das seitdem aber wieder neue Würde gewonnen. Neben ihm, mit dem Lorgnon vor dem Auge, saß einer jener hocharistokratischen Flaneurs in den Modecirkeln von Paris, denen ihr vornehmer Name und ihre elegante Toilette trotz ihrer ruinirten Verhältnisse überall Eintritt verschafft, ja die mit einer scharfen und witzigen Zunge begabt, als Chronik des Tages überall willkommen oder gefürchtet sind. Am Spieltisch eben so zu Hause wie im Boudoir der Damen, an der Tafel des Ministers wie in den galanten Soireen der demi monde leben diese Männer ein rechenschaftsloses Leben des Genusses, das entweder an einem Degenstich im Gehölz von Boulogne oder an einer Pistolenkugel endet, die falsche Wechsel und den Arrestbrief des Gläubigers quittirt. Zuweilen auch, denn mit dem alten Namen voll legitimistischer Bedeutung verbindet sich oft Talent, Geist und Herz, reißt ein unerwarteter Schlag sie aus diesem Leben luxuriösen Müßigganges und wirft sie in eine Bahn, wo alle Eigenschaften des glänzenden französischen Geistes sich ehrenvoll entwickeln.

Alfred de Sazé, einer der Modekönige des Tages, gehörte zu den Leuten, denen es nicht an diesen höheren und besseren Eigenschaften fehlte, die aber nur wie Lichtblicke auftauchen aus dem tödtenden Firniß seiner modernen Erziehung.

Am anderen Ende der Causeuse, auf einen Sessel gestützt,[75] lehnte ein noch sehr junger Mann in russischer Uniform, dessen eigenthümlicher, wunderschön geformter Kopf sofort auffiel, während sein Auge unruhig und zerstreut umherschweifte und er nur hin und wieder auf die pikanten Plaudereien seines Nachbars zu hören schien. Braunes Haar in wirren Locken umgab ein Gesicht, das in kühnem Oval vorspringend eine überaus schöne leichte Beugung der Nase zeigte, während dunkle hochgezogene Brauen das glänzende Auge einrahmten. Die eigenthümlichste Schönheit dieses Gesichts bildeten jedoch Mund und Kinn, der erstere, von einer halb aufgeworfenen Oberlippe bedeckt, die in ihrer Mitte das glänzende Weiß der Zähne durchschimmern ließ; das Kinn, von kräftiger runder Contour und von jenem seltenen und stets einen energischen unbeugsamen Charakter voll mächtiger Gefühle oder Leidenschaften verrathenden Schnitt, welcher nicht im scharfen Winkel gegen den Hals zurücktritt, sondern bei dem die Linie des Halses am Vorderkinn selbst ihren Anfang zu nehmen scheint und gleichsam gewölbt nach der Brust zu sich herabsenkt. Das Gesicht, von jenem durchsichtig rothen Teint gefärbt, den man Blutteint zu nennen pflegt und der z.B. in jüngeren Jahren das ähnliche Antlitz der Königin Victoria auszeichnete, war zu auffallend, um je wieder vergessen zu werden, und hatte bei dem Mangel jeden Bartes zugleich ein Aussehen, das den Beschauer an stolze Frauenschönheit erinnerte.

»Sie sind aber auch der unaufmerksamste Zuhörer, den man sich denken kann, Fürst,« sagte lachend der Lion zu dem eben beschriebenen jungen Mann. »Seit einer halben Stunde bin ich bemüht, mit einem Pinsel, der dreist mit Hogart oder Cruickshank wetteifern kann, Ihnen die Silhouetten der werthen Gäste Ihrer noch wertheren Frau Tante zu geben. Was ich Ihnen da erzähle, würde das Glück eines Memoirenschreibers machen und von unseren Feuilletonisten verschlungen werden, aber Sie sind und bleiben zerstreut und scheinen selbst den Vicomte angesteckt zu haben. Er betrachtet Sie mit Blicken, als wären Sie die Fürstin, Ihre schöne Schwester, der er bekanntlich stark den Hof und die sich eben, wie ich sehe, von Oberst Wassilkowitsch zum Contretanz führen läßt.«

Er unterbrach sich lachend und sah die beiden Nachbarn neckend an.

»Ah, meine Herren, hab' ich endlich den rechten Punkt getroffen? – Sie sind ja Beide ganz roth und erregt. Wäre es[76] wahr, Fürst, daß Sie eifersüchtig sind auf Ihre Schwester wie ein Türke? und Sie, Mèricourt, kann dies starre lauernde Gesicht, das ich, valga me Dios! wahrhaftig auch nicht liebe, einen berühmten Krieger, wie Sie, so leicht in Harnisch bringen?«

Der Capitain legte ihm die Hand auf den Arm.

»Keine Scherze, de Sazé,« sagte er ernst, »der Gegenstand ist zu hoch dazu.«

»Bon! So wende ich mich zu einem geeigneteren Bilde. Sehen Sie, Fürst, dort jene lange hagere Gestalt mit der hohen fabelhaft weißen Cravatte? Daß es Einer unserer neuen Herzensalliirten ist, ein Exemplar, das uns Azincourt und Waterloo, Malplaquet und St. Helena vergessen machen soll, brauche ich nicht erst zu sagen. Man wittert den reisenden Briten auf hundert Schritt. Der Mann – Lord Scherkliffe, Parlamentsmitglied und Besitzer einiger solider Grafschaften – macht jetzt Aufsehen in unserer guten Stadt Paris, und wenn er das glattrasirte Kinn in die Loge der italienischen Oper steckt, wenden alle Damen die Gläser nach ihm. Wissen Sie, warum? Er ist ein Othello ganz neuer Art. Lord Scherkliffe ist einer der ersten Gemäldekenner unserer Zeit und beschäftigte vor etwa fünf Jahren einen jungen Maler in Rom, einen Italiener, der bereits durch seine Bilder auf allen Ausstellungen einen bedeutenden Namen erworben hatte. Der gute Lord besaß neben seinen Millionen eine blonde Lady, der aber der römische Künstler besser gefiel, als der langweilige Bildernarr, ihr Gemahl. Erst nach mehreren Monaten überzeugte sich dieser, daß er auch hier den Narren gespielt, empfahl sich höflich seinem Protegé, dem Maler, und reiste mit der verliebten Dame nach Hause, wo er sie manierlich ihren Eltern ablieferte, nachdem er ihr die in Rom gemachte Entdeckung mitgetheilt. Dann ging er auf Reisen und besuchte Deutschland, Rußland, Italien, und sammelte überall zu enormen Preisen Gemälde. Mit einem ganzen Wagen voll kam er nach Rom, besuchte seinen alten Freund und kaufte alten Freund und kaufte ihm die neuesten Werke seines Pinsels ab. Kaum war er im Besitz derselben, so verlangte er Genugthuung für seine Hahnreischaft und forderte den Erstaunten auf Pistolen. Man schlug sich, und mit dem ersten Schuß lähmte der Engländer dem Künstler den linken Arm. Nach einem halben Jahre kam er wieder und bestand auf einem zweiten Duell. Der Künstler mußte sich fügen und die Kugel des beleidigten Eheherrn traf sein rechtes Handgelenk, so[77] daß die Hand amputirt werden mußte. Als die Kur glücklich vorüber war, erschien der Lord am Krankenbett seines Feindes und sagte ihm gelassen: ›Ich habe jetzt meine Rache befriedigt. Sie sind als Künstler zu einem lebendigen Tode verdammt.‹ – ›Sie irren sich,‹ entgegnete der Unglückliche; ›meine Werke werden Ihre Bosheit überleben. Der Ruhm meiner Madonna in Paris, meiner Auferstehung in der Gallerie von Petersburg und zahlreicher anderer Werke vermögen Sie nicht zu vernichten. Ich kann nicht mehr malen, aber meine Bilder werden meinen Namen lebendig erhalten.‹ – Der Lord zeigte ihm ein Papier. ›Ist diese Liste Ihrer Bilder vollständig?‹ – Mit Staunen bejahte der Künstler. – ›So bin ich im Besitz aller Ihrer Werke, selbst die Skizzen habe ich nicht vergessen. Es hat mit viel Mühe gemacht und viel Geld gekostet, aber ich habe meinen Zweck erreicht. Wollen Sie mich nach Hause begleiten, um sich zu überzeugen? mein Wagen wartet.‹ – Der Unglückliche begriff und bat um Gnade. – ›Sie haben meinen ehelichen Frieden gestört, ich vernichte den Ihren,‹ sagte Scherkliffe eisig. ›Sie sollen das Gefühl mit sich umherschleppen, daß keine Spur Ihres Namens und Ihres Talents auf der Welt zurückbleibt.‹ – Nach einer Stunde brachte ein Diener dem Verstümmelten eine große Urne voll Asche, – sie enthielt Alles, was von seinen Werken auf der Welt übrig war.«

»Das ist teuflisch!« rief der Capitain.

»Ein Mann, der zu hassen und zu lieben versteht!« versetzte der junge Russe.

»Halt, mein Fürst!« plauderte Sazé weiter, »das verstehen wir wahrhaftig auch, nur auf andere Weise. Sehen Sie dort Marschall St. Arnaud? Die Fama bezeichnet ihn bereits als Commandeuer en chef, wenn Ihre Majestät unsern kleinen Neffen des großen Onkels im Invalidendom zum Äußersten zwingt. Der liebe Marschall scheint eine neue Intrigue des Prinzen zu wittern, der gern für seine Reputation einige nothwendige erste Lorbeeren pflücken möchte, und hofft ihr hier auf die Spur zu kommen. Wissen Sie, daß dieser unser lieber General vor kaum Jahresfrist seinem Busenfreund den Säbel durch den gestoßen hat, bloß weil dieser ihn bei Madame, seiner Frau, in zarter Situation genossen und aus dem Hause geworfen hatte?«

Méricourt lachte.

»Sie sind die boshafteste Zunge, die mir noch vorgekommen[78] Sazé,« sagte er. »Ich darf die Ehre der Armee durch Sie nicht so gefährden lassen.«

»Eh bien, mein lieber Vicomte, ich bin nicht schwierig. Gehen wir von der Armee zur Diplomatie über. Unser getreuer Verehrer der Rachel ist freilich nicht hier und intriguirt jenseits des Kanals, aber ich kann Ihnen Ersatz geben. Sehen Sie da den Herrn der eben mit Persigny spricht, Oberst Fleury geht gerade an ihm vorüber. Nun wohl! Der liebe Graf hat kürzlich sein diplomatische Probestück abgelegt und wird sicher Carriére machen. Sie kennen Madame Fontaille, unsere allerliebste Soubrette? Nicht? Auch gut; sie ist die Schönheit des Tages und unsere Börsenkönige ruiniren sich um sie. Der Graf ließ sich ihr im Zwischenakt der großen Oper vorstellen und bat um Erlaubniß, am nächsten Abend eine Tasse Thee bei ihr tête à tête trinken zu dürfen. Madame antwortete ungenirt: ›Ich nehme zu einer Tasse Thee ein Pfund Zucker, aber von dem, der zehntausend Francs das Pfund kostet. So theuren Zucker möchte ich Ihnen freilich nicht umsonst geben und mir doch auch nicht von Ihnen bezahlen lassen. Mir fällt ein Ausweg bei! Bringen Sie die zehntausend Francs in Banknoten mit und wir werden mit diesen die Flamme unter dem Theekessel heizen. Dann beweisen wir Beide gleiche Uneigennützigkeit.‹ – Der angehende Diplomat findet im Augenblick keinen passenden Rückzug und sagt zu, erzählt aber die Sache einigen Freunden, die diesen Thee allzu gezuckert finden. Ich selbst sagte ihm: Madame die zehntausend Francs geben, es ist theuer, aber es passirt! Sie verbrennen, das wäre Tollheit! Sie richten damit Ihre Carrière zu Grunde, denn kein Minister des Äußern wird einen Narren zu Ambassadeur machen! – Am anderen Abend begab sich der liebe Graf, mit dem Päckchen wohlgezählter Banknoten richtig zu der Schauspielerin. Man plaudert und erwartet den Thee. ›Sie bestehen also auf dem Autodafée?‹ – ›Gewiß und hier sind die Bankbillets.‹ – Der Graf übergiebt ihr zehn ächte Billets zu tausend Francs. Madame griff fieberhaft danach. ›Nicht wahr, es ist doch schade darum?‹ – ›Ei, so verbrennen Sie sie nicht.‹ – ›Nein, es ist ausgemacht, wir bleiben bei unserem Progamm!‹ und sie legt das Päckchen auf einen Tisch, der mit hunderterlei Nippsachen bedeckt ist. Der künftige Vertreter des Kaiserreichs spielt plaudernd mit diesen Kleinigkeiten, nimmt Eines und das Andere in die Hand und im Augenblick als[79] man den Thee bringt, ist die Escamotage, oder Prestidigitaton wie Houdin sagt, geschickt ausgeführt. Die Flamme des Weingeistes leckt mit ihrer blauen Zunge nach dem versprochenen Opfer; Madame ist äußerst erregt und lebendig, tanzt von einem Ort zum andern, erfaßt endlich das Päckchen, schwingt sich im Kreis umher und im Hui – wirft sie ein anderes in die Flamme, die sogleich die leichten Blätter verzehrt; das Pseudopäckchen aber ist geschickt in einer vorsichtig zwischen Blumen zurechtgestellten Vase verschwunden. – Kaum hört sie nach Mitternacht den Wagen des Glücklichen fortrollen, so eilt zu dem Versteck, das die geretteten zehntausend Francs bergen soll und zieht hervor – ein Päckchen jener den Banknoten so zierlich nachgeahmten Adreßkarten! – Es heißt, die Dame habe bittere Rache geschworen, Monsieur le Comte aber ist, wie Sie sehen, auf dem besten Wege.«

Méricourt und Fürst Iwan lachten.

»Der Graf ist kein Gentleman,« sagte der Letztere. »Man täuscht ein Weib nicht um solche Bagatelle.«

»Pah! Bagatelle!« entgegnete lustig Sazé. »Das man Fürst Oczakoff sagen, der seine Silber- und Goldminen im Ural besitzt und auf seinen Steppenländern die Bauern nach Tausenden zählt, aber nicht wir Franzosen, die höchstens im Börsenspiel noch Millionaire werden können. Doch da ist die Quadrille zu Ende, lassen Sie näher treten.«

Die drei jungen Männer erhoben sich und traten an den Eingangbogen zum Salon, durch den eben eine Dame am Arm ihres Tänzers hereinrauschte. Es war die Fürstin, Iwanowna Oczakoff, die Zwillingsschwester des vorhin Beschriebenen. Das Spiel der Natur hatte eine wahrhaft fabelhafte Ähnlichkeit zwischen beiden Geschwistern erzeugt. Nicht nur Wuchs und Gesicht, selbst Stimme und Minenspiel waren an den beiden zusammen erzogenen schönen Erscheinungen ganz dasselbe ja, man versicherte, daß diese Ähnlichkeit sich auf die kleinsten Details des Lebens, bis auf die Handschrift ausdehnte. Nur ein zarterer Alt-Accord unterschied die Stimme, das lange, üppige Lockenhaar, auf dem ein goldgestickter smyrniotischer Fez schwebte, den Kopf der jungen Fürstin von dem ihres Bruders. In den Augen der Dame lag der ganze that- und willenskräftige und dennoch hingebende Charakter ihres Bruders. Eine köstliche Robe von grünem Moirée hob die volle[80] Gestalt der nordischen Schönheit, die seit vier Monaten die junge Aristokratie von Paris zu ihren Füßen sah.

Es war in der That wohlthuend in dieser kalten pikanten Modewelt, in diesem Wogen herzloser Berechnung, politischer Intrigue und ehrgeiziger Gedanken, die aufrichtige Liebe und Herzlichkeit zu sehen, mit welcher das junge Mädchen den Arm ihres Begleiters verließ und auf den geliebten Bruder zueilte.

»Warum nicht beim Tanz, Iwan?« fragte sie zärtlich. »Sie machen sich eines Vergehens schuldig, meine Herren, indem Sie meinen Bruder von einem Vergnügen abhalten, das er sonst leidenschaftlich liebte. Aber freilich, seit einiger Zeit scheint er für alles Vergnügen ganz verloren, und ich weiß wirklich nicht, ob die hohe Politik oder welcher Dämon sonst ihn mir ganz verwandelt hat.«

»Apoll und Diana müssen doch durch Etwas unterschieden sein, gnädigste Fürstin,« sagte Sazé galant; »aber Sie haben Recht, auch mir ist heute seine Zerstreutheit aufgefallen. Wenn man die Königin der Schönheit als Schwester besitzt, so hat man nicht das Recht, sich selbst und seinen Launen anzugehören.«

»Marquis, Sie sind und bleiben der unnütze Schwätzer. Aber meine schwesterliche Liebe scheint Sie Alle in einer interessanten Unterhaltung gestört zu haben, denn auch der Herr Capitain spielt den Ernsten und ist nicht einmal so galant, mich an das Versprechen zu erinnern, das ich ihm gegeben.«

Der Offizier blickte sie an, ein rascher verstohlener Wink des Arges bedeutete ihn und er entgegnete mit einer Verbeugung:

»Ma Princesse thun mir Unrecht, Sie wissen, daß Sie keinen aufmerksameren Sclaven als mich haben.«

Iwanowna, den Arm in den ihres Bruders geschlungen, der mit ihrem Begleiter sprach, lächelte schelmisch.

»Ich will es für diesmal glauben, obschon der tapfere Zuavenführer und Löwentödter sich den Rang von einem nordischen Barbaren, wie Ihr Frankreich uns zu nennen beliebt, hat ablaufen lassen. Aber ich übe Großmuth und habe den nächsten Tanz für Sie aufbewahrt, wenn nicht Iwan etwa sein Vorrecht geltend machen will.«

»Ich tanze heute nicht, Iwanuschka,« sagte der Bruder zärtlich, »Du mußt mich dispensiren.«

»Da sehen Sie, thut der leidige jüngste Attaché nicht wirklich,[81] als hätte er das Gleichgewicht Europa's auf seinen zwanzigjährigen Schultern zu tragen? – Doch à propos, meine Herren, kann mir Einer von Ihnen Auskunft geben, wer der würdige Palikare ist, der heute im Salon meiner werthen Tante Aufsehen macht?«

»Wenn Sie als Belohnung Ihrem unterthänigsten Verehrer die Quadrille nach meinem Freund Méricourt versprechen wollen, Fürstin,« meinte Sazé, »so verrathe ich Ihnen das diplomatische Geheimniß seiner Vergangenheit.«

»Geschwind, geschwind; Sie sehen ja, ich sterbe vor Neugier.«

»Bemerken Sie wohl, gnädigste Fürstin,« plauderte der junge Mann, »daß Commandant Kalergis den Feß sorgfältig über das linke Ohr gezogen und deshalb trotz seiner französischen Sympathieen das griechische Costüm trägt. Seine jetzigen Alliirten, die Türken, schnitten das Ohr ihm ab, als er den Todten spielte nach der Schlacht am Pyräus, und das übriggebliebene kostet ihm baare 12,000 Piaster Lösegeld. Aber er hat die Summe reichlich wieder eingebracht in verschiedenen Münzsorten. Denn schon 1843, als Herr Kalergis von der Emeute des 15. September nach Hause zurückkehrte, hatte sich die russische Gesinnung, mit der das Haus Ihres Gesandten Katakasi verließ, in eine englische verwandelt. Er hatte wohl begriffen, daß er seine Rolle schlecht gespielt; der Zweck der Emeute gegen König Otto war verfehlt, die Rubel waren eingesteckt, es handelte sich jetzt darum, sich für englische Pfunde zu verkaufen. Großbritannien machte ihn zum Militair-Obercommandanten von Athen, aber der 4. August jagte ihn schmachvoll davon. Als der Lord-Ober-Commissar ihm später den kleinen Vorschuß von 10,000 Thalern nicht bewilligen wollte, um Coletti's Regierung zu stürzen, warf er sich Frankreich in die Arme. Man sagt, daß der Kaiser große Pläne mit ihm vor hat. Gegenwärtig hat er seinen Sohn hierher gebracht, den der Kaiser auf seine Kosten erziehen läßt.«

»Ein echter Grieche, – feil jedem Gebot!« sagte Méricourt.

»Entschuldigen Sie, Capitain,« bemerkte Wassilkowitsch; »Herr Kalergis ist ein Landsmann unserer schönen Freundin. Er ist Russe von Geburt, aus Taganrog, wo seine Mutter noch lebt. Seine erste Erziehung erhielt er in Petersburg, wo ihm noch reiche Verwandte, theils als Kaufleute, theils im kaiserlichen Dienst,[82] wohnen. Erst im Jahre 1821, beim Ausbruch der Erhebung, kam er nach Griechenland.«

»Also politischer Marodeur; jedenfalls verspricht der Charakter noch viel für die Zukunft.«

»Und der Herr im Fez mit dem großen Stern des Christusordens auf der Brust, mit dem Herr Kalergis eben spricht, wer ist das?«

»O, Sie irren, mein Lieber,« sagte de Sazé; »das ist nicht der Christusorden, sondern ein unbekanntes Gestirn aus dem Firmament von Tausend und Einer Nacht. Haben Sie denn aus unserm Constitutionel noch nicht von Leo, dem Prinzen von Armenien, dem von Rußland schnöde beraubten Thronerben des halben Vorder-Asiens, gehört? – Da sehen Sie die mysteriöse Person in Natura vor sich. Der Prinz von Korikos, défenseur de l'Eglise d'Orient, wie er sich in den Journalen nennen läßt, hat kürzlich in London eine etwas scandalöse Affaire gehabt, und die Rücksichtslosigkeit der Queens-Bench hat ihn bewogen, London mit seiner Abreise zu strafen. Ich weiß wirklich nicht, – wenn es nicht Herr Kalergis sein sollte, – wer die Unverschämtheit gehabt haben kann, diesen Herrn hier im Salon Ihrer Fürstin Tante vorzustellen, nachdem er so offenkundig etwas starke Proclamationen gegen Ihren Czaren und Ihre Regierung durch alle Welt verbreitet hat.«

Die ersten Streiche des Orchesters erklangen und machten dem Gespräche ein Ende; Méricourt bot der schönen Fürstin den Arm, sie in den Salon zu führen, während Sazé forteilte, noch eine Tänzerin in dem Kreis der Damen zu finden. Fürst Iwan und der Oberst blieben zurück.

Der Letztere war eine jener hageren Gestalten, die eben durch ihre Magerkeit groß erscheinen. Er zählte einige vierzig Jahre, sah aber wie ein Fünfziger aus; spärlicher, nur durch die Kunst der Toilette gefärbter Haarwuchs über der hoch-kahlen Stirn, ein graues, oft in's Grünliche spielendes Auge und ein aufgeworfener Mund über massivem glänzendem Gebiß machten den Eindruck lauernder Ruhe bei einem brutal-sinnlichen Charakter. Die Uniform war mit Orden beladen, da Graf Wassilkowitsch, zugleich durch Reichthum ausgezeichnet, zu verschiedenen politischen Missionen gebraucht worden. Er war einer der Begleiter des Fürsten Woronzoff, der zu dieser Zeit – im letzten Stadium vor dem Ausbruch des Zwiespalts – nach Paris gekommen war.[83]

Die beiden Russen standen am Eingang des Salons und schauten der Quadrille zu, Beide dasselbe Paar, wiewohl mit sehr verschiedenen Blicken und Gefühlen, verfolgend. Während Iwan träumerisch an der graziösen Schönheit der Schwester sich weidete, hing das Auge des Obersten verzehrend an der üppig-schönen Gestalt und wurde zum kalten Giftstrahl, wenn es sich auf ihren Tänzer wandte und die lebhafte Unterhaltung beobachtete, die Beide pflogen. Endlich kehrte er sich zu seinem Gefährten und sagte mit jener Höflichkeit, unter welcher oft der Hohn schlecht verborgen ist:

»Auf mein Wort, Fürst, ein herrliches Paar! Es wird den Kaiser, unsern Herrn, freuen, zu hören, daß die Fürstin Oczakoff dazu beiträgt, die Bande wieder fester zu knüpfen, deren Zerreißen uns in diesem Augenblicke eben nicht ganz angenehm wäre.«

»Wie meinen Sie das, mein Herr?« fragte, sich rasch nach ihm wendend, der junge Mann.

»Ei, mein Lieber, ich meine, was die ganze Welt spricht, daß unser französischer Freund auf dem besten Wege ist, Ihren Landsleuten in der Gunst Ihrer schönen Schwester den Rang abzugewinnen, ja, man behauptet, man dürfe der französischen Kaiserstadt bereits zur Gewinnung einer unserer ersten Erbinnen gratuliren. Der Vicomte soll ein Liebling des Kaisers sein.«

»Die Hand meiner Schwester ist kein Gegenstand der Politik,« sagte kurz und rauh der Fürst. »Die Fürstin Iwanowna Oczakoff wird nie ihr Herz einem Franzosen schenken.«

Wassilkowitsch lachte.

»Da scheint sie nicht den Geschmack ihres Bruders zu theilen. Herr von Méricourt erzählt wenigstens viel von der Vergötterung, die Fürst Iwan einer interessanten Grisette des Marais zu Theil werden läßt.«

Eine dunkle Röthe überflog das Gesicht des jungen Mannes, als er plötzlich so unerwartet sein innerstes sorgfältig bewahrtes Geheimniß dem Spott Fremder Preis gegeben sah. »Das ist erl – –« Der Fürst recollirte sich im eisigen Bild seines Gegners. »Das ist nicht möglich! Der Vicomte ist ein Ehrenmann!«

»Das kann er immerhin sein und doch den künftigen Schwager gern vor einer Mesalliance bewahren oder wenigstens der schönen Schwester sich dienstbar zeigen wollen, die, wie man sagt, eine gewisse Herrschaft über den Zwillingsbruder ausübt, bloß weil[84] sie die Erstgeborene ist. Doch ohne Scherz, Fürst, lassen Sie uns offen reden, ich bin Ihr Landsmann und uns verbinden gleiche Interessen gegen diese Fremden. Sie werden auf Ihren Wegen belauert.«

Der junge Mann faßte krampfhaft seinen Arm. »Beweise, Graf, Beweise!«

»Ei, die sollen Sie haben! Sie erinnern sich, Fürst, der letzten Soiree, die Herr von Kisseleff am Dienstag dem Fürsten Woronzoff und Herrn von Persigny gab. Ich war zufällig und ungesehen Zeuge des Auftrags, den Ihre schöne Schwester an Herrn von Méricourt ertheilte, Sie zu beobachten und zu erforschen, woher seit Kurzem Ihre seltsame Gemüthstimmung komme und was Ihre häufigen heimlichen Abwesenheiten zu bedeuten haben, deren Zweck Sie so sorgfältig zu verbergen suchen. Sie können denken, Fürst Iwan, daß ein so galanter Verehrer, wie dieser Franzose, mit Vergnügen Alles versprach und Wort gehalten hat.«

»Pest!«

»Erinnern Sie sich vorgestern nicht eines Ganges durch die Rue Montmartre zur Ecke der Straße Saint Joseph?«

»Sie haben Recht, ich begegnete dem Vicomte und vermochte mich kaum von seiner verwünschten Höflichkeit loszumachen.«

»Nun wohl, Fürst, Herr von Méricourt kennt die elegante Einrichtung des zweiten Stockes im Hause Nr. 10 der Rue Joseph sehr wohl und weiß, wer der vornehme Fremde ist, der die hübsche, nur – wie der Vicomte sagt – allzu leichtfertige Bewohnerin unterhält und Tag und Nacht bei ihr ist. Ich hörte ihn vorhin gegen Sazé darüber spötteln, ehe Sie erschienen. Blicken Sie hin und sehen Sie, wie angelegentlich und eifrig der Franzose sich mit Ihrer schönen Schwester unterhält. Ich wette tausend Imperials, daß er eben seinen Bericht abstattet.«

Der junge Mann erröthete und erbleichte abwechselnd vor innerer Aufregung. Der schöne und üppig geformte Mund zuckte. »Der Spion soll mir büßen!«

»Wissen Sie, was man sogar behauptet, Fürst? Sie sollen mit Ihrer kleinen Grisette verkleidet den bal mabille, ja sogar die grande chaumière frequentiren und ein flotter Tänzer dort sein.«

Diesmal war der Schlag zu arg, ein dunkler Purpur überzog das schöne Gesicht des jungen Mannes und der Zorn wich der Schaam; er schlug die Augen zu Boden.[85]

»Ei was,« lachte der Oberst, »wäre es wirklich wahr, Jugend muß austoben und es wäre ein Geniestreich, in den sich kein Unberufener zu mengen hat. Kommen Sie, Iwan, die Quadrille geht zu Ende und wir würden nur mit unserer Migraine die Conversation stören.«

Er nahm ihn am Arm und führte ihn durch einen Seitenausgang in die Nebenzimmer. An einem Büffet nahmen sie Champagner und traten dann auf des Grafen Vorschlag zum Spieltisch im benachbarten Salon. – – –

Die schöne Fürstin hatte keine Ahnung von dem Gift, das eben in des geliebten Bruders Ohr ausgegossen wurde. Dennoch bezog sich auch ihre Unterhaltung während der wechselnden Touren des Tanzes auf denselben Gegenstand. Das Verhältniß zwischen der Fürstin und dem tapferen Capitain war ein ganz anderes, als es die giftigen Worte des Russen angedeutet. Der Vicomte gehörte allerdings zu den eifrigsten Anbetern der nordischen Schönheit und wurde durch ihre Achtung und ihr Vertrauen ausgezeichnet vor der zahlreichen Schaar der Bewerber. Darauf hatte sich jedoch die Gunst der Fürstin bis jetzt beschränkt und wenn sein dunkles auf ihr ruhendes Auge, oder ein unbewachtes, aber tiefgefühltes Wort ihr auch längst verrathen hatten, daß seiner Huldigung eine wahre Liebe zum Grunde liege, daß er um sie werbe als den schönsten Preis des Lebens, so hatte doch das fragende Wort noch nicht seine Lippe überschritten, keine ernsteres Zeichen ihm die wohl selbst noch unklaren Gefühle ihres eigenen Herzens kund gethan. Doch verstanden sich Beide, wie sich kräftige und hohe Seelen immer verstehen.

»Haben Sie Gelegenheit gehabt, meine Bitte zu erfüllen, Herr von Méricourt?« fragte die Fürstin. »Sie verzeihen meiner Besorgniß, aber sie ist in den letzten Tagen nur noch vermehrt worden. Sie selbst haben gesehen, wie verändert der Fürst sich zeigt und nur mit großer Mühe konnte ich ihn bestimmen, mich heute zu begleiten.«

»Vergeben Sie, Fürstin,« erwiederte der Offizier, »wenn ich leider noch wenig Fortschritte in Ihrem Auftrag gemacht habe. Daß es an meinem Eifer nicht gelegen, werden Sie ohne meine Versicherung wissen. Aber der Fürst, Ihr Bruder, sonst so offen und zugänglich, ist nicht bloß für seine liebenswürdige Schwester, sondern auch für seine aufrichtigen Freunde jetzt ein verschlossenes[86] Buch. Vergebens machte ich ihm meinen Besuch, er war nicht zu Hause, und als ich ihm vor einigen Tagen in der Straße Montmartre zu Fuß begegnete und ihn zu einer vertraulichen Unterredung zu bewegen suchte, ließ er mich fast merken, daß ich ihm lästig sei und entfernte sich sobald als möglich von mir.«

»Und wissen Sie, wohin er ging? So viel ich gehört habe, ist der Stadttheil kein solcher, wo mein Bruder Geschäfte oder Freunde hat?«

»Dies ist allerdings möglich, doch kann ich der schönen Besorgten auch darüber keine Auskunft geben, da ich natürlich mit meinen Fragen nicht indiscret sein wollte und sogleich meinen Weg fortsetzte.«

»Hegen Sie denn gar keine Vermuthung, Vicomte, was diese häufige Abwesenheit, diese stets allein unternommenen Gänge zu bedeuten haben? Selbst dem treuen Wassili, der ihn von Jugend auf nie verlassen, hat er streng verboten, ihm zu folgen und ihm befohlen, sein Ausbleiben mir so viel als möglich zu verschweigen.«

Der Capitain lächelte.

»Ich glaube, Fürstin Iwanowna hegt allzugroße Besorgnisse. Paris ist der Ort so mancherlei Zerstreuungen und es wäre leicht möglich, daß irgend eine Liaison das lebenswarme und empfängliche Herz des Fürsten gefesselt hätte.«

»Aber warum denn dies geheimnißvolle, ihn aufreibende Treiben? Ich bin natürlich nicht seine Gouvernante und maaße mir nicht an, in das Thun Ihrer Männerwelt zu dringen. Doch wenn er der Schwester gegenüber auch schweigt, warum gegen seine Freunde? Ich habe mir sagen lassen, daß in solchen Herzensangelegenheiten die Herren nur allzu offenherzig gegen einander sind.«

»Das mag bei jenen Thorheiten der Fall sein, Fürstin, welche die Modewelt galante Verbindungen nennt, aber nie bei einer ernsten und wahren Neigung des Herzens. Es sollte mir leid thun, wenn eine solche schon sich seines jungen Gemüths bemächtigt hätte, denn bei seinem energischen und feurigen Charakter würde er sich ihr mit ganzer Seele hingeben. Und wie schwer eine solche selbst das erprobte Mannesherz verwunden, welche Schmerzen sie auf starke Seelen legen kann, das empfinde ich selbst zu tief, um meinen jungen Freund nicht davor bewahrt zu wünschen.«

Ein rascher wie fragender Aufschlag ihres schönen Auges traf jenes des Capitains, das mit Innigkeit auf dem schönen Mädchen[87] haftete. Eine leichte Röthe überflog Wangen und Stirn – – die Wogen des Tanzes unterbrachen das Gespräch.

Als der Vicomte sie zur Gruppe zurückführte, die sich um die Dame des Hauses gebildet und de Sazé nahte, die Fürstin an ihr Versprechen zu mahnen, neigte sie sich vertraulich zu ihm und bat:

»Versuchen Sie noch einmal heute Ihr Heil bei Iwan und sorgen Sie wenigstens für seine Zerstreuung. Die Gesellschaft, in der wir ihn vorhin verlassen, – und ich sehe Beide nicht mehr an dem vorigen Platz, – ist keine, die ich für ihn liebe. Gehen Sie, Vicomte, und denken Sie, daß ein Ritter der Ruhe seiner Dame alle Dienste leisten muß.«

Ein anmuthiger Wink des Fächers verabschiedete ihn; er ging, den Fürsten aufzusuchen, während Iwanowna sich dem Damenkreise anschloß. – –

Der nächste Contretanz war vorüber, am Arm ihres Tänzers de Sazé durchging die Fürstin den zum blühenden Garten umgewandelten Corridor, welcher die vorderen Salons mit dem hinteren Flügel verband. Plötzlich stockte der zierliche Fuß, kaum vermochte sie, die Hand erhebend, ihrem sie mit Galanterieen überschüttenden Cavalier zuzuflüstern: »Marquis, sehen Sie – um Gottes willen, was ist vorgegangen?«

Auf sie Beide zu, durch den Eingang, welcher zum Spielzimmer führte, kam der Zuaven-Capitain. Sein männlich schönes Antlitz war dunkel geröthet, das Auge blitzte, doch zeigte die ganze Gestalt eine ernste ruhige Fassung. Wenige Schritte hinter ihm aus einer Gruppe von Herren, welche sich um die Thür versammelten, folgte Fürst Iwan am Arme des Obersten, der ihn fest zurückhielt. Das Gesicht des jungen Russen zeigte jene Wachsbleiche, die leidenschaftliche Charaktere im Augenblick der höchsten Erregung zu befallen pflegt. Sein Auge irrte scheu umher, offenbar war er mit sich selbst unzufrieden, wenn auch der fest gekniffene Mund seine Entschlossenheit bekundete. Nur der Oberst bewahrte seine gemessene Haltung und ein boshafter Blick leuchtete aus seinen Augen, als er die Begegnung mit der Dame bemerkte, bei der die Herren an der Thür sich sofort in's Zimmer zurückzogen.

Sazé begriff im Augenblick, daß etwas von Wichtigkeit vorgefallen und führte die Fürstin zu einem der Sitze, die unter Rosen- und Camelienbüschen versteckt zu Lauben gestaltet waren. Der[88] Capitain trat auf ihn zu und während er mit einer Verbeugung die Dame begrüßte und sein Auge sichtlich das ihre vermied, das fragend und ängstlich auf ihm ruhte, sagte er mit fester Beherrschung der Stimme:

»Gestatten Sie, Durchlaucht, daß ich Ihnen für einen Augenblick Ihren Cavalier entführe, ich habe ihm nur eine kurze Bitte vorzutragen, und er ist sogleich wieder zu Ihren Befehlen.«

Der Fürst war herangekommen und trat zu seiner Schwester.

»Geniren Sie sich nicht, Herr von Sazé,« sagte er hochmüthig, »ich werde Sie bei meiner Schwester ersetzen.«

Er bot ihr den Arm, die junge Fürstin jedoch beachtete die Geberde nicht, sondern wandte sich zu den beiden Franzosen.

»Da der Zweck unseres Ganges erfüllt ist und ich meinen Bruder gefunden habe,« sprach sie verbindlich zu de Sazé, »so wären Sie allerdings Ihrer Ritterschaft ledig, Herr Marquis. Ich habe dagegen noch die Verpflichtung, Ihrem Freunde zu danken, der zuerst meinen Auftrag übernommen hat, und bitte ihn, mich zu der Fürstin, meiner Tante, zurückzuführen. Sie müssen mit seinem Vertrauen sich schon bis dahin gedulden.«

Damit legte sie die seine Hand auf den Arm des Vicomte und ging mit ihm voran. Sazé folgte und begriff rasch die Aufgabe, die ihm geworden, indem er das Paar von den beiden nachfolgenden Herren trennte. Dennoch waren sie zu nah, als daß die Fürstin eine Frage an ihren Begleiter hätte thun können. Aber das nervöse Zittern ihres Armes fühlte er in dem seinen und den leisen Druck, mit dem sie sich auf ihn stützte. Nur als sie durch den Eingang des Salons schritten und das Gedränge der Anwesenden sie für einige Augenblicke von den Folgenden schied, schlug Iwanowna rasch das Auge empor und flüsterte hastig:

»Was ist geschehen, Vicomte? ich muß Alles wissen, ich bin zu jeder Stunde für Sie morgen zu sprechen!«

Méricourt aber neigte sich wie dankend zu ihr nieder und entgegnete mit tiefbewegter Stimme:

»Leben Sie wohl, Fürstin, mein Traum ist vorüber.«

Einen Moment lang preßte er ihren Arm an seine Brust, dann zog er sich mit einer Verbeugung zurück und grüßte im Vorübergehen höflich und gemessen die beiden Russen. Die Fürstin sah, wie er auf dem Wege durch den Saal Sazé's Arm nahm[89] und mit ihm am Ausgang verschwand. Als sie sich beklommenen Herzens umwandte, bemerkte sie den höhnisch lauernden Blick des Grafen Wassilkowitsch auf sich ruhen.

Kaum eine Viertelstunde später ertönte am Portal der Ruf nach der Equipage der Fürstin Oczakoff. Fürst Iwan war schon vorher aus der Soiree verschwunden und allein nach Hause zurückgekehrt, um den Fragen der Schwester auszuweichen.


Es war in einer für die pariser Aristokratie noch frühen Stunde des nächsten Morgens, als in dem von dem Fürsten bewohnten Hôtel der Allée des Veuves vor der jungen, in weißem Morgenkleide auf der Bergère ihres eleganten Toilettenzimmers ruhenden Fürstin der Diener ihres Bruders, der Leibeigene Wassili, stand, herbeigerufen von seiner Schwester Annuschka, dem russischen Kammermädchen der Fürstin. Beide Geschwister, der Bruder um fünf, die Schwester um drei Jahre älter als das Zwillingspaar, das mit ihnen die Milch derselben Mutter getrunken, ein in Rußland noch überaus heilig gehaltenes Band, hatten demselben von Jugend auf gedient und dadurch eine entsprechende Erziehung genossen. Mit der aufopferndsten Treue hingen die Beiden an den fürstlichen Geschwistern.

Wassili, der Leibeigene, war ein hochgewachsener kräftiger Mann, wie sie das Innere von Rußland so häufig hervorbringt. In seinem markigen festen Gesicht spiegelte sich Zuverlässigkeit und entschlossene Hingebung. Hinter der Fürstin, ihm gegenüber, stand seine Schwester, hübsch und blauäugig, die langen blonden Zöpfe um den Kopf gewickelt, indem sie ihn mit lebhaften Geberden zur Rede antrieb, die er nur unwillig zu stehen schien.

»Also Dein Herr ist die ganze Nacht nicht zu Bett gewesen?«

»Nein, Mütterchen.«

»Und was hat er gethan während der Zeit?«

»Ich weiß es nicht, Mütterchen.«

»Glaube ihm nicht, dem schlechten Menschen, Durchlaucht,« mengte sich Annuschka in das Gespräch. »Er wäre ein schlechter Diener, und das ist Wassili nicht, wenn er sähe, daß sein Herr unruhig, und seine Augen hätten ihn nicht auf jedem Schritt verfolgt. Er will nicht sprechen, Durchlaucht, er hat mich schon früher[90] gescholten, wenn ich ihn in Deinem Auftrage fragte, und meint, das hieße seinen Herrn verrathen.«

Wassili schoß einen ärgerlichen Blick auf die Schwester, schwieg aber verstockt. Die Fürstin richtete sich auf.

»Höre, Wassili,« sagte sie ernst, »ich würde nicht in meines Bruders Geheimnisse zu dringen suchen, wenn es nicht sein eigenes Wohl gälte. Es ist Wichtiges vorgefallen, Du mußt mir Rede stehen und darfst bei allen Heiligen nicht das Geringste verheimlichen. Ich befehle Dir also, ich, Deine Herrin, mir zu sagen, was Iwan bis zum Morgen gethan hat.«

»Er hat mich zu Bett geschickt.«

»Aber Du hast gelauscht?«

Wassili kraute sich verlegen in den dichten Haaren.

»Er schrieb, Mütterchen,« sagte er endlich, »der Herr hat viel geschrieben.«

»Und dann?«

»Dann ist er unruhig umhergegangen und ...« Er zögerte.

»Wirst Du reden, Wassili!« fuhr ihn die Schwester an; »siehst Du nicht, wie Du die Herrin bekümmerst?«

»Ja, Annuschka,« sagte ausweichend der Russe, »ich kann doch bei meinem Schutzheiligen nicht dafür, daß der Fürst seine Pistolen aus dem Schrank genommen hat. Ich versichere Dich, er schloß sie richtig in seinen Schreibtisch ein, nachdem er sie lange betrachtet hatte.«

Die Fürstin winkte mit der Hand.

»Genug, genug! – Ist der Fürst jetzt allein?«

»Er war es, Mütterchen, aber – –«

»Was?«

»Ich sollte sagen, er schlafe noch, wenn Du nach ihm fragst, und dann, er sei ausgegangen.«

»Hat er Dir sonst einen Befehl gegeben?«

»Ja, Mütterchen. Der Herr erwartet Besuch, und ich soll ihn sogleich in das Zimmer führen, wo die vielen Bücher stehen.«

Die Fürstin erhob sich.

»Geh' auf Deinen Posten, Wassili, und achte sorgfältig auf Alles, was geschieht und wer aus- und ein geht bei meinem Bruder. Ich lade die Schuld auf Dein Haupt, wenn das Geringste vorgeht, das ich nicht sofort erfahre.«

Sie warf einen leichten Mantel um die Schultern, während[91] Wassili, von der Schwester zur Thür gewinkt, mit dem demüthigen, aber in seiner Einfachheit schönen Gruß der niederen Russen verschwand. Dann verließ sie durch eine andere Thür das Zimmer.

Die Fürstin nahm ihren Weg zu den Gemächern ihres Bruders, die, durch den gemeinschaftlichen Salon und die Nebenzimmer von den ihren getrennt, nach dem Garten hinauslagen. Eine kleine Tapetenthür, welche direkt in das Toilettzimmer des Fürsten führte und zur Unterhaltung des unbelästigten Verkehrs zwischen Bruder und Schwester bisher gedient hatte, fand Iwanowna jetzt von Innen verschlossen. Im Begriff, auf einem anderen Wege durch das eben von Wassili bezeichnete Zimmer zu gehen, hörte sie fremde Stimmen von Außen und sprang rasch hinter die Portiere eines angrenzenden Kabinets, deren Schnuren sie löste.

Die Falten bewegten sich noch, als Wassili mit einem Herrn eintrat. Die Fürstin erkannte durch die Öffnung des Vorhanges den Marquis de Sazé, was ihre Befürchtungen bestätigte und sie ihren Platz behaupten ließ.

Wassili ging, den Besuch zu melden, und augenblicklich erschien der Fürst und nöthigte seinen Gast, Platz zu nehmen. Er sah überwacht und blaß aus, beherrschte aber vollkommen seine Mienen.

»Sie werden errathen, Durchlaucht,« eröffnete der Marquis die Unterhaltung, sobald der Diener sich entfernt hatte, »in welcher unangenehmen Angelegenheit ich Ihnen so zeitig meinen Besuch aufdränge. Diese Zeilen des Herrn Capitain de Méricourt ertheilen mir unbeschränkte Vollmacht.«

Der Fürst lehnte mit einer Handbewegung höflich die Durchsicht ab und verbeugte sich zustimmend.

»Ich muß Ihnen gestehen, Fürst,« fuhr de Sazé fort, »ich begreife eigentlich das Vorgefallene nicht, und mein Freund, der Vicomte, eben so wenig. Wollen Sie sich herablassen, uns einige Erläuterungen zu geben, so wird sich das Mißverständniß gewiß aufklären, und Sie werden als Mann von Ehre nicht anstehen, meinem Freunde in Gegenwart eines der Zeugen der Beleidigung Ihre Entschuldigung zu machen.«

»Ich bedaure, Herr von Sazé,« sagte der Fürst.

Doch der Andere unterbrach ihn:

»Einen Augenblick noch, Durchlaucht, ehe Sie Ihre unwiderrufliche Meinung aussprechen. Sie wissen, daß es nicht Sitte der Franzosen ist, in einem Ehrenstreit die Hand zu bieten, und[92] namentlich eine solche Beleidigung, wie dem Capitain widerfahren, anders als durch Blut zu sühnen. Ich bitte, würdigen Sie also das wackere Benehmen Ihres Gegners, der in Berücksichtigung der bisherigen Verhältnisse mit jeder billigen Erklärung zufrieden sein will.«

Der Fürst entgegnete steif und frostig:

»Obschon noch sehr jung, mein Herr, bin ich doch vollständig mit den Gesetzen eines Edelmannes vertraut und würde gerade in Berücksichtigung der Verhältnisse dem Herrn Vicomte nicht zumuthen, mit einer Entschuldigung zufrieden zu sein, die ich ohnehin nicht zu machen gesonnen bin. Darf ich Sie um Ihre weiteren Aufträge bemühen?«

»Ich habe die Ehre, Ihnen die Forderung des Capitains de Méricourt zu überbringen.«

»Ich bin zum ersten Male in Paris und mit Ihren Gewohnheiten daher noch einigermaßen unbekannt. So viel ich weiß, pflegt man dergleichen Angelegenheiten rasch abzumachen?«

»Gewöhnlich ehe die nächste Sonne untergeht; sollten Sie jedoch Zeit wünschen ...«

Der junge Mann richtete sich steif empor.

»Ich bitte, Herr Marquis!«

»Also heute, eine Stunde vor Sonnenuntergang. Ihre Waffen?«

»Natürlich Pistolen, ich verstehe mich nur wenig auf Ihre Degen.«

»Ich werde die Ehre haben, mit Ihrem Secundanten das Weitere zu ordnen. Wollen Sie mir Ihre Befehle deshalb ertheilen?«

»Sie sind sehr freundlich, Herr Marquis. Graf Wassilkowitsch hat in Erwartung eines solchen Besuchs meine Vertretung bereits übernommen und wird die Ehre haben, Sie in seiner Wohnung zu empfangen.«

»So bleibt mir nur noch, mich Ihnen zu empfehlen, Durchlaucht. Leben Sie wohl; ich bedaure, diesmal sagen zu müssen, à revoir!«

Der Fürst zwang sich, zu lachen.

»Unter Freunden, Marquis, sollte man sich dergleichen Bedauern eigentlich übel nehmen. Wollen Sie nicht eine Cigarre? – Sie wissen, ich führe echte Manilla.«[93]

Der Marquis nahm die gebotene Cigarre und steckte sie in Brand, Fürst Iwan folgte seinem Beispiele und geleitete ihn nach einigen gleichgültig geplauderten Worten bis in's Vorzimmer. Als er hierauf rasch in sein Kabinet zurückgekehrt war und Wassili ihm wenige Augenblicke nachher folgen wollte, fand er in der Mitte des Zimmers die Fürstin, bleich, die Hand auf das klopfende Herz gedrückt. Sie hob den Finger drohend in die Höhe.

»Bei Deinem Leben, Wassili, keinen Laut, daß Du mich hier gesehen!«

Damit verschwand sie.


Capitain Méricourt bewohnte den Garten-Pavillon hinter dem Hause seines Schwagers in der Rue Avenue de Bourdonnaye, wenn er sich in Paris aufhielt. Ein Vorzimmer, ein kleiner Salon, mit Waffen aller Art und Jagdtrophäen, darunter mehreren riesigen Löwenhäuten, geschmückt, und zwei Kabinets nebst einem Gemache für den arabischen und französischen Diener des Vicomte, bildeten das Gelaß dieses Hauses, in dessen unmittelbarer Nähe eine Gartenpforte durch die Mauer nach einer kleinen Seitenstraße führte und so den Bewohnern des Pavillons den ungenirten Ein- und Ausgang gewährte.

Es war kaum eine Stunde nach dem obigen Rencontre, als ein Fiaker in der Seitenstraße vor dem Zugang des Gartens hielt und zwei tief verschleierte Frauen ausstiegen. Die Eine von ihnen läutete auf das Zeichen der Andern die Glocke und nach kurzem Harren öffnete Mulei, der junge arabische Diener des Capitains, die Pforte. Als er zwei Frauen vor sich sah, verneigte er sich nach maurischer Sitte und nöthigte sie, einzutreten.

»Ist Capitain de Méricourt zu sprechen?« fragte die Zweite der Verschleierten, anscheinend die Gebieterin.

»Der Bey befindet sich in seinem Zimmer, Herrin. Wen befiehlst Du, daß ich ihm verkünden soll?«

»Sage Deinem Herrn,« erwiderte die Verschleierte, »daß eine Dame ihn in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünschte, die keinen Aufschub gestattet. Ich würde ihm nur wenige Minuten rauben.«

Der Maure verneigte sich nochmals mit über die Brust gekreuzten Händen und bat die Frauen, ihm in das Vorzimmer zu[94] folgen. Dann verschwand er hinter dem schweren persischen Teppich, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück und nöthigte die Fremden in den Salon. Beide traten ein.

Das Gemach bildete ein nur mittelgroßes Achteck und empfing sein Licht von der Kuppel, von der ein schöner Bronceleuchter herabhing. Löwen- und Pantherfelle bildeten die Teppiche vor den orientalischen Divans, welche die vier Seitenwände einnahmen, die nicht durch Thüren unterbrochen waren. Prächtige orientalische Waffen, von der langen Luntenflinte des Arabers bis zum kostbaren Handjar von tunesischem Stahl, die Keule des Ashanten und der lange Bogen der Dayaks, mit dem wallenden Burnus und dem verschlungenen Turban des Kabylen, Antilopenhörner und Büsche von Straußfedern, die Schädelketten der Bewohner von Bornu mit mächtigen Elephantenzähnen, dazwischen Gruppen prachtvoller moderner und antiker europäischer Waffen, türkische Sättel und Zaumzeug mit prächtigen Teppichen und zahllosen fremdländischen Geräthschaften bildeten in einzelnen Gruppen-Decorationen an den Wänden den eigenthümlichen Schmuck des Gemachs. Auf den Tischen zur Seite standen und lagen zwischen Schaalen und tunesischen Kunsterzeugnissen türkische Pfeifen, Schibuks und Nargilehs in buntem Gemisch.

Nach wenigen Augenblicken trat der Capitain aus dem Nebengemach ein. Ein weites orientalisches Gewand von weißer Wolle diente ihm zum Morgenrock und fiel, von einem mit Gold durchwirkten tunesischen Shawl um die Hüfte gehalten, über die faltigen Beinkleider von Purpurwolle, während ein Burnus von gleichfalls weißer Farbe mit Gold durchwirkt um seine Schultern hing. Das weite faltige Costüm kleidete die Heldengestalt des Offiziers und den kräftigen männlich schönen Kopf bewundernswerth.

»Entschuldigen Sie, meine Damen,« sagte der Vicomte höflich, indem er sie einlud, Platz zu nehmen, »daß ich Sie noch in Morgen-Toilette empfange, ich wollte Sie jedoch nicht warten lassen und stehe deshalb zu Befehl.«

Die Eine der beiden Frauen hob den dichten schwarzen Schleier, der ihr Gesicht verhüllte.

»Die Fürstin! – Mein Gott – Sie hier?«

Iwanowna wandte sich zu ihrer Begleiterin.

»Verlaß uns auf einige Augenblicke, Annuschka, ich stehe unter dem Schutz der Ehre des Herrn Vicomte.«[95]

Die Milchschwester der Fürstin verschwand in das Vorgemach.

Méricourt ergriff die Hand der Dame und führte sie zum Divan. Die seine zitterte lebhaft, die Röthe hoher Erregung lag auf seinem schönen Gesicht.

»So viel Glück und so viel Schmerz in einem Moment, Fürstin, es ist zu viel, selbst für eine Männerbrust.«

Das Antlitz des jungen Mädchens war bleich, aber eine aufopfernde feste Entschlossenheit lag in jeder Miene, selbst ihre Stimme zitterte nicht.

»Sie wissen, Vicomte, warum ich komme.«

Der Franzose beugte sich mit schmerzlichem Lächeln auf ihre Hand, die er gefaßt hielt.

»Sie werden sich noch heute mit Iwan, meinem Bruder, schlagen?«

Eine leichte Neigung des gesenkten Hauptes gab ihr die Antwort.

»Méricourt, Sie werden es nicht thun, – um meinetwillen.«

»Es ist unmöglich, Fürstin, mein Leben steht zu Ihren Diensten, nicht meine Ehre als Edelmann. Ihr Bruder verweigert jede Erklärung.«

»Ich weiß es, ich war ungesehen Zeuge seiner Unterredung mit Herrn de Sazé. Sagen Sie mir – wie kam es dahin?«

»Bei meiner Ehre, Fürstin,« sagte der Offizier aufathmend und seinen Blick zu dem Mädchen erhebend, »ich bin schuldlos daran, ich weiß es selbst nicht, und daß mir noch auf Erden das Glück zu Theil geworden, Ihnen mündlich das sagen zu dürfen, was Sie morgen durch den kalten Buchstaben meiner Abschiedsworte an Sie erfahren hätten, – das erfüllt den geheimsten Wunsch meines Herzens. Ein böser Dämon muß Ihren Bruder regiert haben. Seine Worte, seine Beleidigungen sind mir unerklärlich. Ich fand ihn mit dem Obersten beim Spieltisch und geselle mich zu ihm. Der Fürst war offenbar sehr aufgeregt und als ich ihn fragte, ob ich ihn am Morgen zu einem Spazierritt abholen dürfe, wie wir früher verabredet, entgegnete er heftig: er werde allein reiten, er brauche weder einen Vormund, noch – –«

»Sprechen Sie!«

»– noch einen Spion!«

»Mein Gott!«

»Ich war im ersten Augenblicke so bestürzt, daß mir fast die[96] Fassung fehlte. Einige Gesichter wandten sich gegen uns – man weiß, Fürstin, daß ich keine Memme bin und bei Beleidigungen ruhig bleiben darf. Ihr Bild, Iwanowna, stand vor mir. – ›Sie reden irre, Fürst,‹ sagte ich und faßte seinen Arm, ›Sie haben mich wahrscheinlich nicht verstanden. Kommen Sie, lassen Sie uns plaudern.‹ – Ihr Bruder riß sich los. ›Ich habe Sie sehr wohl verstanden, mein Herr,‹ sagte er barsch, ›und wenn Sie meine Worte nicht verstehen wollen, so werden Sie vielleicht Das verstehen.‹ – Fürstin, er – –«

»Zu Ende, zu Ende!«

»Er hob die Hand gegen mich, einen Moment zwar nur, aber – er hob die Hand!«

Der Capitain war bleich geworden bei der Erzählung.

»Der Unglückliche!«

Diesmal war es die Dame, die das Haupt vor dem Manne in unsäglichem Schmerz beugte.

Der Capitain schwieg, das Gefühl der schweren Beleidigung machte dem innigen Mitleiden Platz bei dem Blick auf das erschütterte Mädchen.

»Ich wiederhole Ihnen, Fürstin,« sagte er endlich, »ich weiß noch immer nicht, was dieses Benehmen Ihres Bruders hervorgerufen hat, nur ein Mißverständniß oder eine Verleumdung kann die Veranlassung sein, doch leider ist die Sache nicht mehr zu ändern. Sie kennen selbst das Weitere.«

»Das ist Wassilkowitsch's Werk!« rief die Fürstin; »jetzt ist mir Alles klar und mein Widerwille vor diesem Manne hat mich nicht betrogen. Ich weiß, Vicomte, wie edel, wie großmüthig Sie gehandelt haben! Ich weiß, daß nach den Gesetzen der Ehre unter Militairs eine solche Beleidigung nur durch den Tod des Beleidigers gesühnt werden kann, und dennoch haben Sie dem Unglücklichen die Hand zur Sühne geboten und nur seine Entschuldigung verlangt, Sie, der tapfere Offizier, der Spiegel stolzen Rufs für alle Soldaten ...«

»Ich bin es nicht mehr, Fürstin,« unterbrach sie Méricourt. »Heute Morgen habe ich Herrn von Saint Arnaud meine Entlassung eingereicht.«

»Wie, Sie haben – –«

»Es war nöthig, Fürstin, der Offizier konnte jene Sühne unmöglich bieten. – Es war Ihr Bruder, Iwanowna!«[97]

»Und dennoch Alles vergeblich, – ich kenne seinen eisernen Sinn von Kindheit auf, er würde sich eher zerreißen lassen, als durch eine Entschuldigung selbst das erkannte Unrecht gut machen.«

Sie hatte sich erhoben und ging leidenschaftlich im Salon umher.

Der Vicomte schwieg und folgte ihr mit trauerndem Blick.

Plötzlich blieb die Fürstin vor ihm stehen, ihre großen Augen voll und klar auf ihn gerichtet.

»Das Duell darf nicht vor sich gehen, es darf nicht! – Er ist mein einziger Bruder, der Letzte aus dem Hause der Oczakoff, einer der neun Familien, die von Ruriks Stamme sind, edler selbst als die Romanoffs. Ich darf ihn nicht sterben lassen! – Eugen,« es war das erste Mal, daß sie ihn bei diesem Namen nannte und es durchzuckte den jungen Mann wie ein electrischer Strahl, – »Eugen, werden Sie zum Engel des Erbarmens an uns, wie Sie bereits zum Helden geworden sind. Fliehen Sie das Duell – weigern Sie dem Thoren, ihn zu strafen, kommen Sie, fliehen Sie mit mir. – Eugen, ich liebe Sie, und jeder Athemzug meines Lebens soll Ihrem Glück gewidmet sein!«

Der junge Offizier sank vor ihr nieder, er preßte stöhnend im bittern Kampf ihre zarten Hände auf sein brennendes Gesicht.

»Sie verlassen Ihr Frankreich,« fuhr Iwanowna fort, »Sie gehen mit mir in das herrliche Land, wo mildere, süßere Lüfte wehen, als hier, wo der Oleander blüht und die Orange sich in den blauen Fluthen des Meeres spiegelt. Nach Taurien folgen Sie mir – nicht blos der Kaiser hat dort seine erhabene Phantasie, das Paradies Orianda, – an den Felsenvorsprüngen der Yaila-Alpen prangen noch viele Stätten eben so herrlich, eben so schön, von deren Klippenhöhe vielleicht Iphigenia einst hinüberschaute zum fernen Vaterlande, wo Orestes die Schwester von der grausen Pflicht befreite. O, mein Freund, werfen Sie es von sich das Vorurtheil dieser sogenannten Civilisation, die von Ihnen verlangt, das Blut Ihres Bruders zu vergießen, des einzigen Wesens, was gleich Ihnen mir theuer ist – –«

Der Vicomte hatte sich emporgerichtet, auf der ehernen Stirn stand der eherne Männerentschluß.

»Sein Sie ruhig, Iwanowna, diese Hand wird nicht geröthet sein von dem Blute Ihres Bruders!«

»Sie gehen mit mir, Sie opfern mir Alles, Alles, Eugen?«[98]

»Ich gebe Ihnen Alles, was ich habe, Iwanowna, nur Eines bewahren Sie mir, das ist, den unbefleckten Namen der Méricourt, den Namen meines Vaters. Es giebt noch ein anderes Mittel, – bei meiner Liebe zu Ihnen, Ihr Bruder wird unverletzt von dannen gehen!«

Die Fürstin stürzte auf ihn zu.

»Was sinnen Sie? – Das ist Mord an Ihnen selbst! Meinen Sie denn, daß der thörichte Knabe Ihren Edelmuth würdigen wird? Sein Leben wäre Ihr Tod – geht das Duell vor sich, so oder so – sind wir auf ewig getrennt.«

Der Capitain wandte sich ab.

»Es ist kein anderer Weg – Sie haben einen Namen zu vertheidigen, Iwanowna, auch der meiner Väter ist mir heilig und darf nicht entehrt werden, selbst um den himmlischen Preis nicht, den Sie mir gezeigt haben.«

Sie warf sich schluchzend am Divan nieder; er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand in die seine.

»Warum trauern, Iwanowna,« sagte er freundlich, »nachdem Sie mich so unaussprechlich glücklich gemacht? Warum trauern, daß uns ein persönliches Mißgeschick trennt, wo uns das Geschick der Völker in jedem Augenblick unwiderruflich zu trennen drohte. – Denken Sie, wie unendlich leichter es mir sein wird, jetzt der Kugel Ihres erbitterten Bruders die Brust zu bieten für Sie, als wenn das eherne Geschick der Schlachten uns gegenüber gestellt und die kalte Berechnung der Politik Ihres Kaisers und seiner Nesselrode's und Kisseleff's den Freund dem Freunde, den Bruder dem Bruder den Stahl in's Herz stoßen hieße!«

Die Worte, die Namen, schienen die Fürstin berührt zu haben, – einen Augenblick schwieg sie wie nachdenkend, dann raffte sie sich rasch empor. Sie schien ihre volle, eine kurze Zeit von der doppelten Aufregung gestörte Energie wiederzugewinnen.

»Wann soll das unglückliche Duell vor sich gehen?«

»So viel ich weiß, gegen Abend, – um sechs Uhr.«

»Eugen, wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?« sie hob die Hände gegen ihn.

»Jede, die sich mit meiner Ehre verträgt.«

»Sie ist auch die meine und wird unverletzt aus Allem hervorgehen.« Sie drängte ihn freundlich zum Seitentisch, auf dem das Schreib-Necessaire stand. »Schreiben Sie an Herrn de Sazé,[99] nur einige Zeilen, daß das Duell erst morgen früh um dieselbe Stunde stattfinden könne, – nehmen Sie irgend einen Vorwand – die Ordnung Ihrer Angelegenheiten –«

»Aber ich darf nicht – ich kann nicht – Sie sinnen eine List ...«

»Bei dem Grabe meiner Mutter, ich sinne Nichts gegen Ihre Ehre! Ist das Leben zweier Menschen nicht einen kurzen Aufschub von zwölf Stunden werth? – Galt Ihnen das Geständniß meiner Liebe so wenig?«

Er reichte ihr die Hand.

»Es ist unnöthig, daß ich schreibe, – der Marquis hat versprochen, in einer halben Stunde hier zu sein und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihr Wille erfüllt werden soll, daß Arrangement wird sich leicht treffen oder ändern lassen, ohne aufzufallen. – Fürstin, ich ahne Ihren Grund – Sie wollen Ihren Bruder bewegen – möge Gott seinem Engel zu dem Werke des Friedens helfen. Ich werde glücklich sein, diese Lösung von Ihrer Hand annehmen zu können.«

Sie sah ihm trübe lächelnd in die heiterer gewordenen Augen.

»Meinen Dank, mein Freund, meinen innigen ewigen Dank! – und jetzt – mein Lebewohl!«

Sie wandte sich rasch nach der Thür, er eilte ihr nach, aber sie selbst kehrte sich an dieser noch einmal zu ihm. Ihre Hände faßten die seinen – ihre Augen hafteten auf den seinen, Minuten lang, innig und zärtlich, und doch wie unter dem Flor einer tiefen Traurigkeit. Er zog sie näher, – unwillkürlich – im stummen Glück – ruhten ihre Lippen einen Moment auf den seinen voll und heiß – dann rauschte die Portiere hinter ihr zusammen – sie war verschwunden!

Der Vicomte trat in's Seitenzimmer, die theure Gestalt noch ein Mal zu sehen; eben eilte sie mit Annuschka, von dem Araber begleitet, durch die Pforte – im nächsten Augenblick rollte der Wagen davon. –

Als der Fiaker in die Rue de Grenelle gebogen war, befahl Annuschka dem Kutscher:

»Nach der Faubourg St. Honoré 33, Hotel der russischen Gesandten.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Fürst Iwan, – durch ein Billet des Grafen Wassilkowitsch[100] von der veränderten Bestimmung des Rendezvous in Kenntniß gesetzt, – hatte eben seinen gewöhnlichen Besuch im Palais und Büreau der Gesandtschaft gemacht und wollte sich entfernen, als Herr von Kisseleff, der damalige Vertreter Rußlands in Paris, ihn in sein Kabinet rufen ließ. Etwas beunruhigt folgte er dem Boten, sah sich aber in seiner Besorgniß getäuscht, da der Gesandte ihn auf's Freundlichste empfing, mit keiner Sylbe ein Kenntniß des vorgefallenen Zwistes an den Tag legte und ihn einlud, mit ihm en deux zu speisen, da mehrere geheime Depeschen zu erledigen wären, wegen deren er für die nächsten Stunden seiner Hülfe in Anspruch nehmen müsse.

Im Ganzen war es dem jungen Mann nicht unlieb, einen Vorwand zu finden, der ihm erlaubte, nicht in sein Hotel zurückzukehren und so den Fragen der Schwester auszuweichen. Vor Abend hatte er ohnehin keine Bestimmung über seine Zeit getroffen, und die Stunden vor einem Duell allein zu verbringen, ist eben für Keinen angenehm. So fügte er sich also gern und die Arbeit zerstreute ihn. Aber Stunde auf Stunde verrann, der Gesandte, der von Zeit zu Zeit das Kabinet verließ und ihn bei der Arbeit einschloß, häufte immer neue Manuscripte vor ihm, und die Zeit nahete, zu der er versprochen hatte, an einer anderen Stelle zu sein.

Abgespannt und ärgerlich warf er endlich die Papiere zur Seite. Die Depeschen waren vollendet und er nahm seinen Hut, um sich zu entfernen. Die Uhr im Kabinet zeigte eben halb Zehn, als Herr von Kisseleff wieder eintrat und die letzten Unterschriften vollzog.

»Ich muß Sie noch einen Augenblick bemühen, Fürst,« sagte er artig; »die Secretaire haben bereits das Hotel verlassen und ich bitte Sie, die Papiere zu couvertiren.«

Der Fürst gehorchte. Der Gesandte legte noch eine eigenhändige Depesche dazu und das Briefpacket wurde fertig gemacht. Herr von Kisseleff schellte.

»Ist der Wagen bereit?« fragte er den eintretenden Jäger.

»Zu Befehl, Excellenz.«

Der Diener trat ab.

»Jetzt, Fürst, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Depeschen, wie Sie sich selbst überzeugt haben, von der höchsten Wichtigkeit sind. Den Telegraphen können wir in dieser[101] Angelegenheit nicht benutzen, die Gründe liegen auf der Hand. Sie werden daher auf Ihr Ehrenwort dieses Paket nicht von Ihrer Seite lassen, bis Sie es dem Herrn Staatskanzler selbst übergeben haben.«

»Wie? ich – –?«

»Allerdings, Sie selbst. Ich bin genöthigt, Sie damit als Courier nach Petersburg zu schicken, da ich augenblicklich Niemand weiter zur Disposition habe, dem ich so wichtige Interessen anvertrauen könnte. Sie werden mit dem Zug um eilf Uhr nach Brüssel abreisen.«

»Aber Excellenz – das ist unmöglich! Ich bin nicht im Geringsten vorbereitet.«

»Das ist unnöthig, – es ist Alles gethan; die Fürstin, Ihre Schwester, hat für Alles gesorgt und wird Sie begleiten.«

Er öffnete die Seitenthür, Iwanowna trat ein im Reisekleide.

Dem jungen Manne schwirrte und dunkelte es vor den Augen. Das Blut schoß in Strömen ihm zum Kopf, er fühlte, daß er überlistet worden.

»Ich werde Paris nicht verlassen, mein Herr! Ich habe morgen früh eine Ehrenverpflichtung und will nicht das Spielwerk einer Intrigue sein, die ich durchschaue.«

Iwanowna eilte auf den Bruder zu, sie hing sich an seinen Hals.

»Iwan, bedenke, was Du thust!«

Der Gesandte trat dicht an ihn heran.

»Fürst Oczakoff, ich befehle Ihnen im Namen des Kaisers, ohne Widerrede zu gehorchen. Sie werden auf der Stelle abreisen. Denken Sie an Sibirien!«

Der junge Mann knirschte. Er wand sich in den umschlingenden Armen der Schwester.

Herr von Kisseleff legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in freundlicherem Tone:

»Es ist unbedingt nöthig, daß Sie reisen, Fürst, um Ihrer selbst willen. Ich weiß Alles; Sie haben eine bittere Übereilung begangen und wollen dieselbe durch ein Verbrechen wieder gut machen. Der Kaiser würde Ihnen nie verzeihen, wenn in diesem kritischen Augenblick, wo Alles auf dem Spiele steht, Ihre thörichte Heftigkeit einen Eclat mit dem französischen Kabinet herbeiführte. Ihre Ehre und Ihr Name müssen gewahrt werden, und deshalb zwinge ich Sie im Namen des Kaisers, abzureisen. Ihr Secundant[102] hat bereits Stubenarrest; ich selbst werde Ihre Entschuldigung und Rechtfertigung bei Ihrem ehrenwerthen Gegner übernehmen.«

Der Fürst beugte das Haupt. Er sah, daß ihm jeder Ausweg abgeschnitten war und er sich fügen müsse.

»Ich werde reisen, hätte aber von Euer Excellenz mehr Rücksicht erwartet.«

»Sie sind ein thörichter junger Mensch,« sagte der Gesandte achselzuckend. »Danken Sie der Aufopferung Ihrer schönen Schwester, daß Sie mit so vieler Rücksicht behandelt und aus jeder Ihrer unwürdigen Stellung hier mit Ehren gezogen werden.« Er hob warnend den Finger »Übrigens könnten Sie leider bald Gelegenheit erhalten, Ihre Rauflust vielleicht selbst an Ihrem heutigen Gegner, den ich achte und schätze, auf einem würdigeren Felde zu kühlen.«

»Haben Euer Excellenz noch Etwas zu befehlen oder bin ich entlassen?«

»Nichts weiter. Ich habe Ihr Ehrenwort, daß Fürst Oczakoff diese Depeschen richtig und ohne Zeitverlust in Petersburg abliefern wird?«

»Mein Ehrenwort!«

»Fürstin! Sie sind mir Zeuge und Bürge für Ihren Herrn Bruder. Ich wollte Sie erst selbst zum Bahnhof begleiten, verlasse mich aber ganz auf Sie.«

»Die Ehre meines Bruders ist die meine. Leben Sie wohl, mein Herr, und genehmigen Sie nochmals meinen innigen Dank.«

»Auf glückliche Reise also, Fürst, und ohne Groll. Ich muß Sie verlassen, denn ich habe Berichte zu empfangen. Es ist etwas Wichtiges vorgegangen; man hat heute Abend ein Attentat auf den Kaiser Napoleon entdeckt und es sollen viele Verhaftungen in der komischen Oper vorgekommen sein. – Leben Sie wohl!«

Er reichte Beiden die Hand, die Fürst Iwan schweigend und zögernd annahm, und geleitete sie bis zum Vorsaal. Diener des Fürsten standen hier bereit, im Hofe des Palais harrte eine Chaise.

»Wir finden unseren Reisewagen bereits auf dem Bahnhofe, Iwan,« sagte die Fürstin freundlich; »Wassili und Annuschka werden uns allein begleiten, die Anderen folgen.«

Der Fürst verharrte noch immer in mürrischem Schweigen,[103] während der Wagen durch die Straßen rollte. Plötzlich als er auf den Place de la Madeleine bog, faßte er die Hand seiner Schwester.

»Iwanowna,« sagte er zärtlich, »ich habe mich in den Willen des Gesandten und in Deinen Wunsch gefügt, und ich schwöre Dir, willig abzureisen, ohne einen Versuch in Betreff des Ehrenhandels zu machen, den Dein Scharfsinn und Deine Liebe entdeckt und verhindert hat. Aber ich habe eine Bitte an Dich, von deren Erfüllung mein Leben abhängt.«

»So habe Vertrauen zu mir; Du weißt, wie das meine nur in dem Deinen besteht.«

Der Fürst zeigte seine Uhr.

»Es ist zehn Uhr,« sagte er; »um Eilf geht der Zug. Wir haben noch eine volle Stunde Frist. Gieb sie mir – ich kann nicht scheiden von Paris, ohne eine andere Verpflichtung gelöst, ohne Jemand, wenn auch nur einen einzigen Augenblick, gesprochen zu haben, der mich zu dieser Stunde bereits erwartet.«

»Iwan, Du hintergehst mich!«

»Bei dem Grabe unserer Mutter – nein! Aber ich schwöre Dir eben so, daß keine Macht der Welt mich lebendig aus Paris bringt, wenn Du mir diese Bitte verweigerst. Schwester – ich will – ich muß sie noch ein Mal sehen!«

Die Fürstin schaute ihn an – ihr Herz gedachte der eigenen Liebe, die sie vielleicht auf Nimmerwiedersehen verlassen.

»Wann wirst Du am Bahnhof sein?«

»Eine Viertelstunde vor der Abfahrt. Bei der Unbeflecktheit unseres Namens! ich vertraue Dir diese Papiere an, Du kennst ihre Wichtigkeit und was sie mich kosten. Und jetzt – jede Minute ist verloren. – Dank, Iwanowna, tausendfachen Dank. Du rettest mich vor Verzweiflung.«

Er rief den Kutscher, der Wagen hielt, Iwan öffnete den Schlag.

Die Fürstin hielt ihn zurück.

»Noch einen Augenblick! Iwan, Du gehst nur zu einer Dame?«

»Bei meiner Seligkeit! Meine Ehre ist Dir und dem Gesandten verpfändet.«

Er verschwand im Gedränge an der Kreuzung der Straßen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[104]

Auf dem Nordbahnhof wogte das Leben und Treiben der Reisenden, der Commissionaire, Beamten und Packträger.

Die große Uhr am Hauptgebäude hatte drei Viertel auf Eilf geschlagen. Die Fürstin saß im Coupé mit Annuschka, Wassili stand am Schlage, alle Drei schauten aufmerksam nach den Eingängen, mit jedem anrollenden Wagen den Fürsten erwartend.

Die Glocke läutete zum ersten Male. Es war zehn Minuten vor Eilf.

Das schöne Gesicht der Fürstin begann sich zu verfinstern, in der kleinen Falte zwischen den Brauen, im Strahl des Auges lag der Unwille, gepaart mit der ängstlichen Besorgniß.

Wassili und Annuschka bemühten sich, diese durch allerlei Vermuthungen zu zerstreuen.

Wagen auf Wagen rollte heran – keiner brachte den Fürsten. Die Minuten schienen mit Windeseile zu entfliehen.

Es litt die Fürstin nicht länger im Waggon, – sie trat auf den Perron; die Uhr in ihrer Hand zitterte vor der innern Aufregung.

Drei Minuten vor Eilf!

Eine eisige Entschlossenheit, jener Zug unendlicher Willenskraft, der um den herrlichen Mund lag, verbreitete sich über das ganze Gesicht. Sie winkte Wassili heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Höre wohl an, was ich Dir sage. Es handelt sich um Tod und Leben, – um die Ehre der Oczakoff! – Ich kann nicht glauben, daß Fürst Iwan sein Wort gebrochen – ich kenne ihn, sein Wort ist ihm heiliger, als das Leben. Kommt er nicht, so muß ein unvorhergesehener Zufall, ein Unglück geschehen sein. Der Zug geht ab, ich mit ihm. Das Wort und die Ehre der Oczakoff müssen rein bleiben im Vaterlande!«

Ihr Busen hob sich keuchend, sie rang mit der Erregung – Wassili, der leibeigene Milchbruder, horchte schweigend den Worten.

»Hier ist meine Börse, Wassili – für's Erste genug. Du bleibst hier und weichst nicht aus Paris, bis Du Iwan ermittelt und gefunden. Ich kenne Dich, Wassili, und weiß, daß sein Leben das Deine ist. Sage ihm, er solle rasch und heimlich folgen, ich hätte unterdeß seine Ehre gewahrt. Kein Wort im[105] Hotel, Wassili, von dem Verschwinden des Fürsten – bei Deinem Leben! bei dem Leben Deiner Schwester: Iwan ist abgereist mit mir!«

Die Glocke erklang zum dritten Male – kein Iwan zu sehen! – sie sprang in den Waggon, – mit gekreuzten Armen stand der Diener vor der Thür, die der Conducteur eben schloß.

»Lebe wohl! Treu und verschwiegen!«

– Dahin brauste der Zug! – –

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 1, Berlin 1856, S. 74-106.
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