Sechster Auftritt


[125] Märten. Schnaps.


SCHNAPS hereinsehend. Seid Ihr allein, Vater Martin?

MÄRTEN. Nur herein!

SCHNAPS einen Fuß hereinsetzend. Görgen sah ich gehen; ist Röse nach?

MÄRTEN. Ja, Gevatter Schnaps. Wie immer.

SCHNAPS. Da bin ich.

MÄRTEN. Ihr seid vorsichtig.

SCHNAPS. Das ist die erste Tugend.

MÄRTEN. Wo kommt Ihr her?

SCHNAPS. Hm! Hm!

MÄRTEN. Seit acht Tagen hat man Euch nicht gesehen.

SCHNAPS. Ich glaub es.

MÄRTEN. Habt Ihr auswärts eine Kur verrichtet?

SCHNAPS. Vater Martin! – Ich habe kurieren gelernt.

MÄRTEN. Gelernt? – Als wenn Ihr noch was zu lernen brauchtet.

SCHNAPS. Man lernt nie aus.

MÄRTEN. Ihr seid bescheiden.

SCHNAPS. Wie alle große Männer.

MÄRTEN. Nun, was die Größe betrifft! – Ihr seid ja kleiner als ich.

SCHNAPS. Vater Martin, davon ist die Rede nicht. Aber hier! hier! Auf die Stirn deutend.

MÄRTEN. Ich verstehe.

SCHNAPS. Und da gibt's Leute in der Welt, die das zu schätzen wissen.

MÄRTEN. Ohne Zweifel.

SCHNAPS. Da findet man Zutrauen –

MÄRTEN. Ich glaub's.

SCHNAPS. Da erfährt man –

MÄRTEN ungeduldig. Was denn? Sagt!

SCHNAPS. Und erhält Aufträge.[125]

MÄRTEN. Geschwind! Was gibt's?

SCHNAPS bedeutend. Man wird ein Mann von Einfluß.

MÄRTEN. Ist's möglich?

SCHNAPS. In wenig Tagen erfahrt Ihr's.

MÄRTEN. Nur gleich! Nur heraus damit!

SCHNAPS. Ich kann nicht. Schon das ist genug gesagt.

MÄRTEN bedenklich. Gevatter Schnaps –

SCHNAPS. Was gibt's?

MÄRTEN. Seht mich an!

SCHNAPS. Nun?

MÄRTEN. Gerad in die Augen!

SCHNAPS. So?

MÄRTEN. Scharf!

SCHNAPS. Zum Henker! Ich seh Euch ja an. Mich wundert's, daß Ihr meinen Blick ertragen könnt.

MÄRTEN. Hört.

SCHNAPS. Was soll's?

MÄRTEN. Wäre das, was Ihr zu erzählen habt –

SCHNAPS. Wie meint Ihr?

MÄRTEN. Nicht etwa wieder so eine Historie?

SCHNAPS. Wie könnt Ihr so denken?

MÄRTEN. Oder –

SCHNAPS. Nicht doch, Vater Martin!

MÄRTEN. Oder von den vielen Schnäpsen, Euren hochansehnlichen Vorfahren?

SCHNAPS. Das war Scherz, lauter Scherz! Nun fängt's an, Ernst zu werden.

MÄRTEN. Überzeugt mich.

SCHNAPS. Nun denn! Weil Ihr's seid.

MÄRTEN. Ich bin äußerst neugierig.

SCHNAPS. So hört! – Sind wir auch sicher?

MÄRTEN. Ganz gewiß! Görge ist aufs Feld, und Röse zu ihm.

SCHNAPS mit Vorbereitung. Sperrt die Ohren auf! Sperrt die Augen auf!

MÄRTEN. So macht denn fort!

SCHNAPS. Ihr habt oft gehört – Es lauscht doch niemand?[126]

MÄRTEN. Niemand.

SCHNAPS. Daß die berühmten Jakobiner – es ist doch niemand versteckt? –

MÄRTEN. Gewiß nicht.

SCHNAPS. Gescheite Leute in allen Ländern aufsuchen, kennen, benutzen.

MÄRTEN. So sagt man.

SCHNAPS. Nun ist mein Ruf – ich höre jemand!

MÄRTEN. Nein doch!

SCHNAPS. Mein Ruf über den Rhein erschollen –

MÄRTEN. Das ist weit.

SCHNAPS. Und man gibt sich schon seit einem halben Jahre alle erdenkliche Mühe –

MÄRTEN. So fahrt nur fort!

SCHNAPS. Mich für die Sache der Freiheit und Gleichheit zu gewinnen.

MÄRTEN. Das wäre!

SCHNAPS. Man kennt in Paris meinen Verstand –

MÄRTEN. Ei! Ei!

SCHNAPS. Meine Geschicklichkeit.

MÄRTEN. Kurios!

SCHNAPS. Genug, die Herren Jakobiner sind seit einem halben Jahre um mich herumgeschlichen, wie die Katze um den heißen Brei!

MÄRTEN. Ich kann mich nicht genug verwundern!

SCHNAPS. Bis man mich vor acht Tagen in die Stadt bestellte.

MÄRTEN. Ihr solltet einen Fremden kurieren, der das Bein gebrochen hatte. So sagtet Ihr.

SCHNAPS. So hatte man mir gesagt.

MÄRTEN. Wir wunderten uns.

SCHNAPS. Ich auch.

MÄRTEN. Ob's denn nicht auch in der Stadt Chirurgen gäbe.

SCHNAPS. Genug, ich wunderte mich – und ging.

MÄRTEN. Da habt Ihr wohlgetan.

SCHNAPS. Ich finde meinen Patienten.

MÄRTEN. Wirklich?[127]

SCHNAPS. Und wie ich den Fuß aufbinde –

MÄRTEN. Nun?

SCHNAPS. Ist er so gesund wie meiner.

MÄRTEN. Was?

SCHNAPS. Ich erstaune!

MÄRTEN. Das glaub ich.

SCHNAPS. Der Herr lacht –

MÄRTEN. Natürlich.

SCHNAPS. Und fällt mir um den Hals.

MÄRTEN. Ist's möglich!

SCHNAPS. »Bürger Schnaps!« ruft er aus.

MÄRTEN. Bürger Schnaps? das ist kurios!

SCHNAPS. »Wertester Bruder!«

MÄRTEN. Und weiter?

SCHNAPS. Genug, er eröffnete mir alles.

MÄRTEN. Was denn?

SCHNAPS. Daß er ein Abgesandter des Jakobinerklubs sei.

MÄRTEN. Wie sah er denn aus?

SCHNAPS. Wie ein andrer Mensch.

MÄRTEN. Habt Ihr Euch nicht vor dem Manne gefürchtet?

SCHNAPS. Ich mich fürchten?

MÄRTEN. Und habt mit ihm gesprochen wie mit Euresgleichen?

SCHNAPS. Natürlich! – Alle Menschen sind gleich.

MÄRTEN. So sagt nur!

SCHNAPS. Was soll ich alles weitläufig erzählen?

MÄRTEN. Ich hör es gern.

SCHNAPS. Er nahm mich in seine Gesellschaft auf.

MÄRTEN. Wie ging das zu?

SCHNAPS. Mit vielen Zeremonien.

MÄRTEN. Die möcht ich wissen.

SCHNAPS. Ihr könnt alles sehn.

MÄRTEN. Wieso?

SCHNAPS. Gebt acht! hier im Barbiersacke trage ich das ganze Geheimnis.

MÄRTEN. Ist's möglich?[128]

SCHNAPS. Schaue her!

MÄRTEN. Laßt sehen!

SCHNAPS. Eins nach dem andern.

MÄRTEN. Nur zu!

SCHNAPS nach einer Pause. Erstlich umarmt er mich nochmals.

MÄRTEN. Ein höflicher Herr!

SCHNAPS. Das dank ihm der Henker!

MÄRTEN. Ich wüßte nicht –

SCHNAPS. Dann bracht er – Er bringt eine rote Mütze hervor.

MÄRTEN. Das rote Käppchen? Ihr seid ja kein Ehemann.

SCHNAPS. Ungeschickt! – Die Freiheitsmütze.

MÄRTEN. Laßt sehen.

SCHNAPS. Und setzte mir sie auf. Er setzt das Käppchen auf.

MÄRTEN. Ihr seht schnakisch aus!

SCHNAPS. Ferner den Rock. Er zieht eine Nationaluniform hervor.

MÄRTEN. Das ist ein schmuckes Kleid.

SCHNAPS. Helft mir, Vater, es ist ein bißchen knapp.

MÄRTEN indem sie sich mit Anziehen plagen. Oh, das ist eine Not! das zwängt!

SCHNAPS. Das ist die Uniform der Freiheit.

MÄRTEN. Da ist mir meine weite Bauerjacke doch lieber.

SCHNAPS. Nun seht her! Was sagt Ihr zu dem Säbel?

MÄRTEN. Gut!

SCHNAPS. Nun die Kokarde!

MÄRTEN. Ist das die Nationalkokarde?

SCHNAPS. Freilich. Steckt sie auf den Hut.

MÄRTEN. Wie sie den alten Hut nicht ziert!

SCHNAPS. Möchtet Ihr nicht auch so eine tragen?

MÄRTEN. Es käme drauf an.

SCHNAPS. Wie mich der Fremde so angezogen hatte –

MÄRTEN. Er selbst?

SCHNAPS. Freilich. Wir bedienen jetzt alle einander.

MÄRTEN. Das ist hübsch.

SCHNAPS. So sagte er –

MÄRTEN. Ich bin neugierig.[129]

SCHNAPS. »Ich habe schon viele hier im Lande angeworben –«

MÄRTEN. So ist das doch wahr.

SCHNAPS. »Aber keinen gefunden, auf den ich mehr Vertrauen setzte als auf Euch.«

MÄRTEN. Das ist schmeichelhaft.

SCHNAPS. »So erfüllt nun meine Hoffnungen –«

MÄRTEN. Und wie?

SCHNAPS. »Geht zu Euren Freunden und macht sie mit unsern Grundsätzen bekannt.«

MÄRTEN. Laßt sie hören.

SCHNAPS. Gleich! – »Und wenn Ihr tausend redliche –«

MÄRTEN. Tausend Redliche? Das ist viel!

SCHNAPS. »Wohldenkende und beherzte Leute beisammen habt –«

MÄRTEN. Nun?

SCHNAPS. »So fangt die Revolution in Eurem Dorfe an.«

MÄRTEN. In unserm Dorfe? Hier, in unserm Dorfe?

SCHNAPS. Freilich!

MÄRTEN. Behüt uns Gott!

SCHNAPS. Ei! wo denn?

MÄRTEN. Eh! was weiß ich? Da und dort! Überall! Nur nicht hier.

SCHNAPS. Hört nur, nun kommt das Wichtigste.

MÄRTEN. Noch was Wichtigers?

SCHNAPS. »Fangt die Revolution an!« sagte er.

MÄRTEN. Gnad uns Gott!

SCHNAPS. »Ich gebe Euch dazu völlige Autorität und mache Euch hiermit –«

MÄRTEN. Wozu?

SCHNAPS. »Zum Bürgergeneral.«

MÄRTEN. Zum General? – Herr Schnaps, Herr Schnaps! das klingt nun fast wieder nach dem ostindischen Generalgouverneur.

SCHNAPS. Stille! Es ist nicht Zeit zu scherzen.

MÄRTEN. Es scheint.[130]

SCHNAPS. »Und zum Zeichen geb ich Euch diesen Schnurrbart –«

MÄRTEN. Einen Schnurrbart?

SCHNAPS. »Den jeder Bürgergeneral tragen muß.«

MÄRTEN. Ist's möglich!

SCHNAPS hat den Schnurrbart angeheftet. »Ihr habt nun ein Ansehn.«

MÄRTEN. Wahrhaftig!

SCHNAPS. »Eine Autorität.«

MÄRTEN. Zum Erstaunen!

SCHNAPS. »Und an der Spitze der Freigesinnten werdet Ihr Wunder tun.«

MÄRTEN. Ohne Zweifel, Herr General.

SCHNAPS. Man sagt nicht: Herr General. Man sagt: mein General! Bürgergeneral! – Es ist kein Mensch ein Herr.

MÄRTEN. Mein General!

SCHNAPS. Was gibt's, Bürger?

MÄRTEN. Ich bin nur ein Bauer.

SCHNAPS. Wir sind alle Bürger.

MÄRTEN. So sagt mir nur, wo das hinauswill?

SCHNAPS. Worauf es hinauswill?

MÄRTEN. Ja.

SCHNAPS. Unsre Grundsätze heißt man das.

MÄRTEN. Ich dächte fast, es ginge auf Schläge hinaus.

SCHNAPS. Nun müßt Ihr hören.

MÄRTEN. Was denn?

SCHNAPS. Die Grundsätze, die ich ausbreiten soll.

MÄRTEN. Die hatt ich ganz und gar vergessen.

SCHNAPS. Hört!

MÄRTEN der zufälligerweise im Aufundabgehen an das Fenster kommt. O weh!

SCHNAPS. Was gibt's?

MÄRTEN. Herr General! Mein General – da kommt Görge den Berg herein.

SCHNAPS. Verflucht!

MÄRTEN. Herr – mein General! Er hat einen großen Prügel.[131]

SCHNAPS nach dem Fenster laufend. Ich bin in großer Verlegenheit.

MÄRTEN. Das glaub ich.

SCHNAPS. Ich fürchte –

MÄRTEN. So kommt mir's vor.

SCHNAPS. Meint Ihr etwa Görgen?

MÄRTEN. Nein doch, den Prügel.

SCHNAPS. Nichts in der Welt, als verraten zu werden.

MÄRTEN. Da habt Ihr recht.

SCHNAPS. Die gute Sache würde leiden, wenn man unsre Absicht zu früh entdeckte.

MÄRTEN. Gewiß.

SCHNAPS. Versteckt mich!

MÄRTEN. Steigt auf den Boden.

SCHNAPS. Ja! Ja!

MÄRTEN. Nur unters Heu.

SCHNAPS. Ganz recht.

MÄRTEN. Nur fort, Herr General! Der Feind ist in der Nähe.

SCHNAPS. Geschwind den Sack her! Er nimmt den Barbiersack auf.

MÄRTEN. Fort! Fort!

SCHNAPS indem er die Leiter hinaufsteigt. Verratet mich ja nicht.

MÄRTEN. Nein, nein.

SCHNAPS. Und denkt nicht, daß ich mich fürchte.

MÄRTEN. Nicht doch!

SCHNAPS. Lauter Klugheit!

MÄRTEN. Die ist zu loben. Nur zu!

SCHNAPS ganz oben, indem er hineinsteigt. Lauter Klugheit!


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 125-132.
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