Erster Auftritt

[42] Zimmer des Domherrn.

Im Grunde ein Kamin, auf dessen beiden Seiten zwei Bilder in Lebensgröße, eines ältlichen Herrn und einer jungen Dame.


DER DOMHERR Papiere in der Hand haltend. Soll ich denn wieder einmal, angebetete Fürstin, vor dein schönes Bild mit hoffnungsvoller Freude treten! Soll die Sehnsucht, die zu dir hinaufblickt, endlich einigen Trost von deinen Lippen erwarten dürfen! – Noch schweb ich in Ungewißheit. Diese köstlichen Züge seh ich vor mir – Auf die Papiere deutend. ich erkenne deine Hand, ich fühle deine Gesinnungen;[42] aber noch ist es nur allgemeine Höflichkeit, noch steht keine Silbe von dem, was ich so heftig wünsche, auf diesen Blättern. – Tor! und was verlangst du? – Ist es nicht schon genug, daß sie schreibt? Dir so viel schreibt. Und wäre nicht ihr bloßer Namenszug schon ein Zeuge ihrer glücklich veränderten Gesinnungen? – Veränderten? – Nein, sie hat sich nie verändert. Sie schwieg, als man mich verstieß; sie verstellte sich, um mir zu nutzen. Und nun belohnt sie mich mit zehnfachem Vertrauen und wird bald Gelegenheit finden, mich wieder heraufzuführen. – Sie wünscht das kostbare Halsband, sie gibt mir den Auftrag, ohne Vorbewußt ihres Vaters ihr dieses Kleinod zu verschaffen, sie sendet mir ihre Garantie, sie wird wegen der Zahlungen immer in Verbindung mit mir bleiben; gerne lege ich den ersten Termin aus, um sie noch fester an mich zu knüpfen. – Ja, du wirst – du wirst – darf ich es in der Gegenwart deines Bildes aussprechen? – du wirst mein sein! – Welch ein Wort! – Welch ein Gedanke! – Schon füllt die Glückseligkeit wieder ganz mein Herz aus. Ja! dieses Bild scheint wieder sich zu bewegen, mir zu lächeln, mir freundlich zuzuwinken. – Schon hebt sich der Ernst von des Fürsten Stirne hinweg. Huldreich sieht er mich an, wie in jenen Tagen, als er mir diese kostbaren Gemälde unvermutet schenkte. Und sie! – Komm herab, Göttin, herab! – Oder hebe mich zu dir hinauf, wenn ich nicht vor deinen Augen sterben soll!


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 42-43.
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