Dritter Akt

[358] Wald, die Laube im Grunde wie zu Ende des vorigen Akts.

Die vier Fräulein führen den Prinzen unter einer sanften Musik herein. Merkulo folgt ihnen. Die Frauenzimmer bemühen sich in einem gefälligen Tanze um den nachdenklichen und in sich selbst versunkenen Ankömmling; er antwortet ihren Freundlichkeiten nur gezwungen. Da die Musik einen Augenblick pausiert, spricht.


MERKULO für sich. Das sind recht Homerische Sitten, wo die schönen Töchter des Hauses sich um die Fremden bemühen. Ich hätte wohl Lust, mich ins Bad zu setzen und mich abreiben zu lassen.


Die Musik geht fort; endlich, da die Fräulein ihre Bemühungen ganz vergeblich sehn, eilen sie verdrießlich davon, und es bleiben

Prinz und Merkulo.


PRINZ. Gesegnet seist du, liebe Einsamkeit! Wie erbärmlich habe ich mich seit dem Eintritt in dieses Haus zwingen müssen!

MERKULO. Das muß ich Eurer Durchlaucht bekennen, daß mir's manchmal unbegreiflich gewesen ist, wie Sie sich an einer wohlbesetzten Tafel und zwischen liebenswürdigen Frauen ennuyieren können?

PRINZ. Es ist nicht Langeweile, es ist die Gefälligkeit dieser angenehmen Geschöpfe, die mich ängstet. Ach! warum muß ich dem weiblichen Geschlechte zur Qual geschaffen sein? Denn nur eine kann mein Herz besitzen, und die übrigen – Ach! – –

MERKULO. Die hab ich schon oft bedauert! und ich hab ihnen auch gelegentlich mein Mitleiden auf eine so überzeugende Art zu verstehn gegeben, daß ich wirklich sagen kann: ich habe das Glück gehabt, einigen das Leben zu fristen, die[358] auf dem Sprunge standen, durch Ihre Grausamkeit in die elysischen Felder vertrieben zu werden.

PRINZ. Rede davon nicht! vermehre nicht meinen Kummer!

MERKULO. Ich sage nichts! denn wenn man Ihren hohen Stand und Ihre trefflichen Qualitäten zusammennimmt, so ist's evident, daß einer Ihrer Blicke ganz unglaubliche Bewegungen in einem schönen Herzen hervorbringen muß.

PRINZ. Meinen Stand erwähnst du, Unglücklicher? Was ist mein Stand gegen dieses Herz?

MERKULO. Halten Sie mir's zu Gnaden. Wir wollen der Sache ihr Recht antun. Eine wahre Liebe ist zum Exempel was Vortreffliches; aber eine wahre Liebe mit einem wohlgespickten Beutel, darüber geht gar nichts. So auch, was den Stand betrifft –

PRINZ. Rede nur nicht immer! nicht solche Dinge!

MERKULO. Nein, ich müßte undankbar sein, wenn ich es nicht gestände, nicht bekennte! In Ihrer Nähe, mein Gebieter, bin ich ohnehin sicher. Ihre fürstliche Gegenwart zieht, wie ein Gewitterableiter, alle Elektrizität zärtlicher Herzen an sich, daß wir andern vorm Einschlagen ganz gesichert sind.

PRINZ. Ist es bald eilfe?

MERKULO. Es wird gleich sein, und ich gehe, um Sie Ihren Empfindungen in der feierlichen Stunde der Mitternacht allein zu überlassen. Es ist eine vortreffliche neuere Erfindung, daß jeder Stunde, jeder Tagszeit ihre eignen Gefühle gewidmet sind. Darin waren die Alten rechte Tröpfe. In ihren Schauspielen konnte das Feierlichste, Schrecklichste bei hellem Tage und unter freiem Himmel vorgehn; unter eilfe und zwölfe tun wir's aber gar nicht, und ohne Särge, Kirchhöfe und schwarze Tücher läßt sich nichts Rechts ausrichten.

PRINZ. Sind meine Pistolen geladen?

MERKULO. Auf Ihren Befehl, wie immer. Aber ich bitte[359] Sie um Gottes willen, erschießen Sie sich nicht einmal!

PRINZ. Sei ruhig!


Es schlägt eilfe.


Es schlägt!

MERKULO. Sie haben hier eine Glocke, die gar keinen feierlichen Ton hat. Es klingt, als wenn man auf Blech hämmerte; mich könnte nun so etwas gleich vollkommen aus meiner zärtlichsten Fassung bringen.


Die Musik gibt einige Laute und entfernte Melodien zum folgenden an.


PRINZ. Schweig, Unheiliger! und entflieh!

MERKULO. Ab! Ab.

PRINZ. Vergebens sucht ihr mich durch eure Schönheit, durch euer einschmeichelndes Wesen abzuziehen, von den Gedanken wegzuwenden, die ich immer mit den Armen meiner Seele umschlungen halte. Fahrt wohl, ihr sterblichen Mädchen! Das Unsterbliche umschwebt meine Stirne, und die Geister steigen herab, meine Wohnung zu beleben und mein Herz zu beseligen.


Die feierliche Musik geht fort, die Wasserfälle fangen an zu rauschen, die Vögel zu singen, der Mond zu scheinen.


Dich ehr ich, heiliges Licht,

Reiner, hoher Gefühle Freund!

Du, der du mir

Der Liebe stockende Schmerzen

Im Busen auf zu sanften Tränen lösest!

Ach, welche Seligkeiten säuselst du mir

Ins tiefe Heiligtum der Nacht

Und deutest mir

Auf der geheimnisvollen Liebe Ruhestätte!

Ach, verzeih! Ach, mein Herz

Fühlt nicht immer gleich![360]

Verzeih dem trüben Blick auf deine Schönheit!

Verzeih dem flüchtigen!


Nach der Laube gekehrt.


Hier, hier wohnt meine Gottheit,

Die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht!

Dies Pochen und dies Zittern!

Ha! es schlägt dem Augenblick entgegen,

Wo die Zauberei

Die Seligkeit des Wahren überflügelt!

O den Genuß, ihr Götter, gabt ihr mir!

O den Genuß bewahret mir, ihr Götter!


Die Laube tut sich auf, man sieht ein Frauenzimmer darin sitzen: sie muß vollkommen an Gestalt und Kleidung der Schauspielerin gleichen, die nachher als Mandandane auftritt.


Himmel, sie ist's! Himmel, sie ist's!

Seligkeit tauet herab. – –

Deine Hand an dieses Herz,

Geliebte, süße Freundin!

Du ganz für mich Geschaffne,

Ganz durch Sympathie Gefundene,

Gewählte!

In dieser schönen Stimmung unsrer Herzen

Wird mir ein Glück, das nur die Götter kennen.

Ach, in hohen Himmelsfreuden

Fühl ich schaudernd mich verschweben!

Ha! vor Wonne stockt mein Leben,

Stockt der Atem in der Brust!

Ach, umweht mich, Seligkeiten!

Lindert dieses heiße Streben,

Und in wonnevolles Leben

Löset auf die schöne Lust!


Während der letzten Kadenz, da die Instrumente die Stimme zu lange nachahmen, setzt sich der Prinz auf eine Rasenbank und schläft endlich ein. Man gibt ihm verschiednemal den Ton an, damit er einfallen[361] und schließen möge; allein er rührt sich nicht, und es entsteht eine Verlegenheit im Orchester; endlich sieht sich die erste Violine genötigt, die Kadenz zu schließen, die Instrumente fallen ein, die Laube geht zu, der mittlere Vorhang fällt nieder, und es zeigt sich.

Ein Vorsaal.

Feria und die vier Fräulein.


FERIA. Mich dünkt, der Prinz pflegt seiner Ruhe ziemlich lange. Es soll nicht gesagt sein, daß ein Mann in unserm Schlosse ungestraft die Morgenröte herbeigeschlafen habe! Sind die Klappern bei der Hand und die Rasseln? Wir wollen ihm ein Chariwari machen und die fatale Schläfrigkeit, unsre verhaßte Nebenbuhlerin, von seinen Augen peitschen.


Lebhafter Tanz zu fünfen mit Kastagnetten und Metallbecken; mitunter tanzt Feria solo. Der Oberste kommt, die Prinzessin zu bitten, daß sie des Prinzen Ruhe nicht stören möge, indem die Wache die Fräulein aufhalten will. Diese machen immer ärgern Lärm. Der hintere Vorhang geht auf; das Theater ist wieder wie zu Anfang des Akts; Merkulo tritt zu gleicher Zeit herein, der Prinz fährt bewegt von seiner Rasenbank in die Hohe, ergrimmt und singt.


Ja, ihr seid's, Erinnyen, Mänaden!

Ohne Gefühl für Liebe,

Ohne Gefühl für Schmerz!

Ich hofft im Arm der Grazien zu baden,

Und ihr zerreißt mein Herz!

Mein Herz! mein Herz!

Zerreißt mein leidend Herz!


Während der Arie begibt sich Feria, die Fräulein und die Wache, eins nach dem andern, auf die Seite; es bleiben allein.

Prinz und Merkulo.
[362]

MERKULO. Mein Prinz, fassen Sie sich!

PRINZ. Mein Freund, welche tödliche Wunde!

MERKULO. Gnädiger Herr, nur Chariwari!

PRINZ. Ich will weg! diesen Augenblick mich in die Einsamkeit des Gebirgs verlieren!

MERKULO. Was wird die Prinzessin, was werden die Damen denken?

PRINZ. Denken sie doch, auch nicht, wen sie vor sich haben. Ohne das mindeste Gefühl für das Hohe, Überirdische meiner Stimmung, rasseln sie mit knirschenden Tönen der Vorhölle drein. Ach, ihr goldnen Morgenträume, wo seid ihr hin? auf ewig! auf ewig!

MERKULO. Es war nicht böse gemeint. Schon vor Sonnenaufgang waren die Mädchen geschäftig, ein Dejeuner im Garten zurechtzumachen; wir haben auch wirklich den Morgenstern mit Bratwürsten in der Hand und einem vortrefflichen Glas Zyperwein bewillkommt. Man fürchtete, es möchte alles kalt werden, verderben, und wir wollten Ihr angenehmes Gesicht im Glanz der ersten Morgensonne genießen.

PRINZ. Ja, mit Schellen und Klapperblechen genießt man den Morgen! – Fort! – Leb wohl!

MERKULO. Gnädiger Herr!

PRINZ. Du weißt, meine Entschließungen sind rasch und fest.

MERKULO für sich. Leider!

PRINZ. Ich gehe nach dem Orakel! Laß aufs schärfste dieses Heiligtum bewachen, daß unter keinem Vorwand eine lebendige Seele einen Fuß hereinsetze!

MERKULO. Bleiben Sie beruhigt.

PRINZ. Leb wohl. Ab.[363]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 358-364.
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