Vierter Akt

[364] Andrasons Schloß, eine rauhe und felsige Gegend, Höhle im Grunde.

Mandandanens Kammerdiener als Askalaphus tritt auf mit einem Reverenz und spricht den Prologus.


Herrn und Frauen allzugleich,

Merkt wohl, das hier ist Plutons Reich,

Und ich, wie ich mich vor euch stelle,

Das ich zuerst bedeuten muß,

Ich nenne mich Askalaphus

Und bin Hofgärtner in der Hölle.


Die Charge ist hier unten neu;

Denn ehmals war Elysium dadrüben,

Die rauhen Wohnungen dahüben,


Man ließ es eben so dabei.

Nun aber kam ein Lord herunter,

Der fand die Hölle gar nicht munter,

Und eine Lady fand Elysium zu schön.

Man sprach so lang, bis daß der seltne Gusto siegte

Und Pluto selbst den hohen Einfall kriegte,

Sein altes Reich als einen Park zu sehn.


Da schleppen nun Titanen ohne Zahl,

Den alten Sisyphus mit eingeschlossen,

Rastlos geschunden und verdrossen,

Gar manches schöne Berg und Tal

Zusammen.

Aus den flutenden Flammen

Des Acherons herauf

Müssen die ewigen Felsen jetzt!

Und, gält's tausend Hände,[364]

Sie werden an irgendeinem Ende

Als Point de vue zurechtgesetzt.


Um eins nur ist es jammerschade,

Ums schöne Erdreich in Elysium!

Aber es ist keine Gnade,

Wir gehn damit ganz sündlich um.

Sonst dankt man Gott, wenn man die Steine

Vom Acker hat;

Aber hier! sechs Meilen herum sind keine

Zu finden mehr, und wir haben es noch nicht satt;

Damit verschütten wir den Boden,

Wo das weichste Gras,

Die liebsten Blümchen blühen, und warum das?

Alles um des Mannigfaltigen willen.

Ein frischer Wald, eine feine Wiese,

Das ist uns alles alt und klein;

Es müssen in unserm Paradiese

Dorn und Disteln sein.


Dafür aber auch graben wir in den Hainen

Elysiums die schönsten Bäume aus

Und setzen sie, wo wir es eben meinen,

An manche leere Stelle

Herüber in die Hölle,

Um des Cerberus Hundehaus,

Und formieren das zu einer Kapelle.


Denn, notabene! in einem Park

Muß alles ideal sein,

Und, salva venia, jeden Quark

Wickeln wir in eine schöne Schal ein.

So verstecken wir zum Exempel

Einen Schweinstall hinter einen Tempel;

Und wieder ein Stall, versteht mich schon,

Wird geradeswegs ein Pantheon.

Die Sach ist, wenn ein Fremder drin spaziert,[365]

Daß alles wohl sich präsentiert;

Wenn's dem denn hyperbolisch dünkt,

Posaunt er's hyperbolisch weiter aus.

Freilich, der Herr vom Haus

Weiß meistens, wo es stinkt.


Wie ich also sagte: unsre elysischen Bäume

Schwinden wie elysische Träume,

Wenn man sie verpflanzen will.

Ich bin zu allen Sachen still:

Denn in einem Park ist alles Prunk;

Verdorrt ein Baum und wird ein Strunk.

»Ha!« sagen sie, »da seht die Spur,

Wie die Kunst auch hinterdrein der Natur

Im Dürren ist.« – Ja, leider stark!

Was ich sagen wollte! Zum vollkommnen Park

Wird uns wenig mehr abgehn.

Wir haben Tiefen und Höhn,

Eine Musterkarte von allem Gesträuche,

Krumme Gänge, Wasserfälle, Teiche,

Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte,

Eine Menge Reseda und andres Gedüfte,

Weimutsfichten, babylonische Weiden, Ruinen,

Einsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen,

Moscheen und Türme mit Kabinetten,

Von Moos sehr unbequeme Betten,

Obelisken, Labyrinthe, Triumphbögen, Arkaden,

Fischerhütten, Pavillons zum Baden,

Chinesisch-gotische Grotten, Kiosken, Tings,

Maurische Tempel und Monumente,

Gräber, ob wir gleich niemand begraben –


Man muß es alles zum Ganzen haben.


Ein einziges ist noch zurücke,

Und drauf ist jeder Lord so stolz:

Das ist eine ungeheure Brücke[366]

Von Holz

Und einem Bogen von Hängewerk,

Das ist unser ganzes Augenmerk.

Denn erstlich kann kein Park bestehn

Ohne sie, wie wir auf jedem Kupfer sehn.

Auch in unsern toleranten Tagen

Wird immer mehr drauf angetragen,

Auf Kommunikation, wie bekannt,

Dem man sich auch gleichstellen muß;

Elysium und Erebus

Werden vice versa tolerant.


Wir freuten uns der Brücke schon;

Doch, leider, Acheron und Pyriphlegethon

Speien ewige Flammen;

Da fehlt's uns an gescheiten Leuten.

Und bringen wir die Brücke nicht zusammen,

So will der ganze Park nichts bedeuten;

Das Kostüm leidet weder Erz noch Stein,

Von Holz muß so eine Brücke sein.


Aber warum ich komme! ohne Zeit zu verlieren:

Plutons schönes junges Weib

Geht gewöhnlich hierher spazieren,

Denn drin ist nicht viel Zeitvertreib.

Da sucht sie bei den armen Toten

So schöne Gegenden wie auf Siziliens Boden;

Wir haben's aber nur in Gedichten.

Dann fragt sie täglich nach herrlichen Früchten;

Wir haben aber keine zu reichen:

Pfirschen, Trauben, darnach liefen wir weit;

Holzbirn, Schlehn, rote Beerchen und dergleichen

Ist alles, was bei uns gedeiht.


Zwei höllische Geister bringen einen Granatenbaum in einem Kübel.
[367]

Drum hab ich zu einem Treibhaus geraten

Und brüte, zum Exempel, diese Granaten

In einem frostbedeckten Haus

Mit unterirdischem Feuer aus;

Den will ich in die Erde kleben, –


– Er macht alles zurechte, wie er's sagt –


Mit Felsen, Rasen, Moos umgeben,

Daß meine Königin vermeine,

Es wüchse alles aus dem Steine,

Und, wenn sie den Betrug verspürt,

Den Künstler lobe, wie sich's gebührt.


Ab.

Vorbereitende Musik, ahnend seltne Gefühle.


MANDANDANE als Proserpina.

Halte! halt einmal, Unselige! Vergebens

Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her!

Endlos liegen vor dir die Trauergefilde,

Und was du suchst, liegt immer hinter dir.


Nicht vorwärts,

Aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen!

Die schwarze Höhle des Tartarus

Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels,

In die ich sonst

Nach meines Ahnherrn froher Wohnung

Mit Liebesblick hinaufsah!

Ach! Tochter du des Jupiters,

Wie tief bist du verloren! –


Gespielinnen!

Als jene blumenreiche Täler

Für uns gesamt noch blühten,

Als an dem himmelklaren Strom des Alpheus

Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten,

Einander Kränze wanden[368]

Und heimlich an den Jüngling dachten,

Dessen Haupte unser Herz sie widmete:

Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen,

Keine Zeit zu lang,

Um freundliche Geschichten zu wiederholen,

Und die Sonne

Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette

Sich auf, als wir, voll Lust zu leben,

Früh im Tau die Rosenfüße badeten. –


O Mädchen! Mädchen!

Die ihr, einsam nun,

Zerstreut an jenen Quellen schleicht,

Die Blumen auflest,

Die ich, ach Entführte!

Aus meinem Schoße fallen ließ,

Ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand!

Weggerissen haben sie mich,

Die raschen Pferde des Orkus;

Mit festen Armen

Hielt mich der unerbittliche Gott!

Amor! ach, Amor floh lachend auf zum Olymp –

Hast du nicht, Mutwilliger,

Genug an Himmel und Erde?

Mußt du die Flammen der Hölle

Durch deine Flammen vermehren? –


Heruntergerissen

In diese endlosen Tiefen!

Königin hier!

Königin?

Vor der nur Schatten sich neigen!


Hoffnungslos ist ihr Schmerz!

Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück,

Und ich wend es nicht.

Den ernsten Gerichten[369]

Hat das Schicksal sie übergeben;

Und unter ihnen wandl' ich umher,

Göttin! Königin!

Selbst Sklavin des Schicksals!


Ach, das fliehende Wasser

Möcht ich dem Tantalus schöpfen,

Mit lieblichen Früchten ihn sättigen!

Armer Alter!

Für gereiztes Verlangen gestraft! –

In Ixions Rad möcht ich greifen,

Einhalten seinen Schmerz!

Aber was vermögen wir Götter

Über die ewigen Qualen!

Trostlos für mich und für sie,

Wohn ich unter ihnen und schaue

Der armen Danaiden Geschäftigkeit!

Leer und immer leer,

Wie sie schöpfen und füllen!

Leer und immer leer!

Nicht einen Tropfen Wassers zum Munde,

Nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen!

Leer und immer leer!

Ach, so ist's mit dir auch, mein Herz!

Woher willst du schöpfen? – und wohin? –


Euer ruhiges Wandeln, Selige,

Streicht nur vor mir vorüber;

Mein Weg ist nicht mit euch!

In euern leichten Tänzen,

In euern tiefen Hainen,

In eurer lispelnden Wohnung

Rauscht's nicht von Leben wie droben,

Schwankt nicht von Schmerz zu Lust

Der Seligkeit Fülle. –[370]


Ist's auf seinen düstern Augenbraunen,

Im verschlossenen Blicke?

Magst du ihn Gemahl nennen?

Und darfst du ihn anders nennen?

Liebe! Liebe!

Warum öffnetest du sein Herz

Auf einen Augenblick?

Und warum nach mir,

Da du wußtest,

Es werde sich wieder auf ewig verschließen?

Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen

Und setzte sie neben sich

Auf seinen kläglichen Thron?

Warum mich, die Tochter der Ceres?


O Mutter! Mutter!

Wie dich deine Gottheit verläßt

Im Verlust deiner Tochter,

Die du glücklich glaubtest,

Hinspielend, hintändelnd ihre Jugend!


Ach, du kamst gewiß

Und fragtest nach mir,

Was ich bedürfte?

Etwa ein neues Kleid

Oder goldene Schuhe?

Und du fandest die Mädchen,

An ihre Weiden gefesselt,

Wo sie mich verloren,

Nicht wiederfanden,

Ihre Locken zerrauften,

Erbärmlich klagten,

Meine lieben Mädchen! –


»Wohin ist sie? Wohin?« rufst du;

»Welchen Weg nahm der Verruchte?

Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen?[371]

Wohin geht der Pfad seiner Rosse?

Fackeln her!

Durch die Nacht will ich ihn verfolgen!

Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde,

Will keinen Gang scheuen,

Hierhin und dorthin.« –


Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu,

Aller Pfade gewohnt, folgen sie deinem Lenken;

In der unbewohnten Wüste treibt dich's irre –


Ach nur hierher, hierher nicht!

Nicht in die Tiefe der Nacht,

Unbetreten den Ewiglebenden,

Wo, bedeckt von beschwerendem Graus,

Deine Tochter ermattet!


Wende aufwärts,

Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad,

Aufwärts nach Jupiters Wohnung!

Der weiß es,

Der weiß es allein, der Erhabene,

Wo deine Tochter ist! –


Vater der Götter und Menschen!

Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle,

Zu dem du mich Kleine

So oft mit Freundlichkeit aufhobst,

In deinen Händen mich scherzend

Gegen den endlosen Himmel schwenktest,

Daß ich kindisch droben zu verschweben bebte?

Bist du's noch, Vater? –


Nicht zu deinem Haupte,

In dem ewigen Blau

Des feuerdurchwebten Himmels,

Hier! hier! – –[372]

Leite sie her!

Daß ich auf mit ihr

Aus diesem Kerker fahre!

Daß mir Phöbus wieder

Seine lieben Strahlen bringe,

Luna wieder

Aus den Silberlocken lächle!


O du hörst mich,

Freundlichlieber Vater;

Wirst mich wieder,

Wieder aufwärtsheben,

Daß, befreit von langer, schwerer Plage,

Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze!


Letze dich, verzagtes Herz!

Ach! Hoffnung!

Hoffnung gießt

In Sturmnacht Morgenröte!


Dieser Boden

Ist nicht Fels, nicht Moos mehr;

Diese Berge

Nicht voll schwarzen Grauses!

Ach, hier find ich wieder eine Blume!

Dieses welke Blatt,

Es lebt noch,

Harrt noch,

Daß ich seiner mich erfreue!


Seltsam! seltsam!

Find ich diese Frucht hier?

Die mir in den Gärten droben

Ach! so lieb war –


Sie bricht den Granatapfel ab.


Laß dich genießen,

Freundliche Frucht![373]

Laß mich vergessen

Alle den Harm!

Wieder mich wähnen

Droben in Jugend,

In der vertaumelten

Lieblichen Zeit,

In den umduftenden

Himmlischen Blüten,

In den Gerüchen

Seliger Wonne,

Die der Entzückten,

Der Schmachtenden ward!


Sie ißt einige Körner.


Labend! labend


Wie greift's auf einmal

Durch diese Freuden,

Durch diese offne Wonne

Mit entsetzlichen Schmerzen,

Mit eisernen Händen

Der Hölle durch! –

Was hab ich verbrochen,

Daß ich genoß?

Ach, warum schafft

Die erste Freude hier mir Qual?

Was ist's? was ist's? –

Ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken,

Mich fester zu umfassen!

Ihr Wolken tiefer mich zu drücken!

Im fernen Schoße des Abgrunds

Dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen!

Und ihr weiten Reiche der Parzen

Mir zuzurufen:

Du bist unser!

DIE PARZEN unsichtbar.

Du bist unser!

Ist der Ratschluß deines Ahnherrn:[374]

Nüchtern solltest wiederkehren,

Und der Biß des Apfels macht dich unser!

Königin, wir ehren dich!

PROSERPINA.

Hast du's gesprochen, Vater?

Warum? warum?

Was tat ich, daß du mich verstößest?

Warum rufst du mich nicht

Zu deinem lichten Thron auf!

Warum den Apfel?

O verflucht die Früchte!

Warum sind Früchte schön,

Wenn sie verdammen?

PARZEN.

Bist nun unser!

Warum trauerst du?

Sieh, wir ehren dich,

Unsre Königin!

PROSERPINA.

O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung,

Daß ich euch hin verwünschen könnte!

O wäre der Kozyt nicht euer ewig Bad,

Daß ich für euch

Noch Flammen übrig hätte!

Ich Königin,

Und kann euch nicht vernichten!

In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! –


So schöpfet, Danaiden!

Spinnt, Parzen! wütet, Furien!

In ewig gleich elendem Schicksal!

Ich beherrsche euch

Und bin darum elender als ihr alle.

PARZEN.

Du bist unser!

Wir neigen uns dir!

Bist unser! unser!

Hohe Königin![375]

PROSERPINA.

Fern! weg von mir

Sei eure Treu und eure Herrlichkeit!

Wie haß ich euch!

Und dich, wie zehnfach haß ich dich –

Weh mir! ich fühle schon

Die verhaßten Umarmungen!

PARZEN.

Unser! Unsre Königin!

PROSERPINA.

Warum reckst du sie nach mir?

Recke sie nach dem Avernus!

Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor!

Sie steigen deinem Wink entgegen,

Nicht meine Liebe.

Wie haß ich dich,

Abscheu und Gemahl,

O Pluto! Pluto!

Gib mir das Schicksal deiner Verdammten!

Nenn es nicht Liebe! –

Wirf mich mit diesen Armen

In die zerstörende Qual!

PARZEN.

Unser! unser! hohe Königin!


Andrason erscheint mit den Worten: Abscheu und Gemahl usw. Mandandane richtet die Apostrophe an ihn und flieht vor ihm mit Entsetzen. Er erstaunt, sieht sich um und folgt ihr voller Verwunderung.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 364-376.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Triumph der Empfindsamkeit
Der Triumph der Empfindsamkeit

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon