Dreizehnter Auftritt

[54] Alcest. Sophie.


SOPHIE.

Was machen Sie, Alcest? Sie scheinen mich zu fliehen.

Hat denn die Einsamkeit so viel, Sie anzuziehen?

ALCEST munter.

Für diesmal weiß ich nichts, was mich Besondres zog.

Wer kennt auch stets den Grund von einem Monolog?

SOPHIE.

Zwar der Verlust ist groß und kann Sie billig schmerzen.

ALCEST.

Was billig! Was Verlust! Das liegt mir nicht am Herzen.

Ich bin ja reich, was ist's denn um das bißchen Geld.

Laßt's fallen! Wenn es nur in gute Hände fällt.

SOPHIE.

Die große Gütigkeit wird gerne zum Verschwenden.

ALCEST.

Oh, ein Verschwender weiß sein Geld auch anzuwenden.

SOPHIE.

Wie soll ich das verstehn?

ALCEST lachend.

Das?

SOPHIE.

Ja, wie paßt das hier?

ALCEST.

Sie kennen mich, Sophie, sein Sie vertraut mit mir.

Das Geld ist einmal fort, wo's liegt, da mag es liegen.

Hätt ich's nur eh gewußt, ich hätte stillgeschwiegen.

Da sich die Sache so verhält –

SOPHIE erstaunt.

So wissen Sie?[54]

ALCEST mit Zärtlichkeit, er ergreift ihre Hand und küßt sie.

Ihr Vater – Ja, ich weiß's, geliebteste Sophie!

SOPHIE mit Verwundrung.

Und Sie verzeihn?

ALCEST wie oben.

Verzeihn! ist es denn ein Verbrechen?

SOPHIE.

Mich dünkt.

ALCEST.

Erlauben Sie, daß wir vertraulich sprechen.

Du weißt es, daß Alcest noch immer für dich brennt.

Das Glück entriß dich mir und hat uns nicht getrennt.

Dein Herz ist immer mein, meins immer dein geblieben.

Mein Geld ist alles dein, so gut als wie verschrieben.

Du hast ein gleiches Recht an all mein Gut wie ich.

Nimm alles, was du willst, Sophie, nur liebe mich.


Sophie schweigt.


Befiehl; du findest mich zu allem gleich erbötig.

SOPHIE stolz, indem sie sich von ihm losreißt.

Respekt vor Ihrem Geld, allein ich hab's nicht nötig.

Was ist das für ein Ton? Ich weiß nicht, faß ich's recht?

Ha, Sie verkennen mich!

ALCEST spottend.

Oh! Ihr ergebner Knecht

Kennt Sie nur gar zu wohl und weiß, weil er Sie kennet,

Gar nicht, Madam, warum Ihr Zorn so heftig brennet.

Wer sich so weit vergeht!

SOPHIE erstaunt.

Vergeht! Wie das?

ALCEST.

Madam!

SOPHIE aufgebracht.

Was soll das heißen, Herr!

ALCEST.

Verzeihn Sie meiner Scham.

Ich liebe Sie zu sehr, um es herauszusagen.

SOPHIE mit Zorn.

Alcest!

ALCEST.

Belieben Sie nur den Papa zu fragen;

Der sagte mir es.

SOPHIE mit einem Ausbruch von Heftigkeit, mit Wut und Tränen.

Was! Ich will es wissen! Was?

Der Teufel! Wollen Sie![55]

ALCEST.

Er sagte, daß Sie das –

SOPHIE.

Geschwind.

ALCEST.

Eh nun, daß Sie – daß Sie das Geld genommen.

SOPHIE mit Schmerz und Wut, indem sie sich wegwendet.

Er darf? Ist es so weit mit seiner Bosheit kommen!

ALCEST bittend.

Sophie!

SOPHIE weggewandt.

Sie sind nicht wert.

ALCEST wie oben.

Sophie!

SOPHIE.

Mir vom Gesicht.

ALCEST.

Verzeihn Sie!

SOPHIE.

Weg von mir! Nein, ich verzeih es nicht.

Mein Vater scheut sich nicht, mir meinen Ruf zu rauben.

Und Sie, Alcest, und Sie! Sie konnten's würklich glauben?

Mein Vater, wissen Sie's, mein Vater hat's getan.

Nicht seine Tochter, nein die Bosheit klagt ihn an.


Eilig ab.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 54-56.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Mitschuldigen
Die Mitschuldigen (Dodo Press)

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon