Vierter Auftritt

[36] Sophie. Söller im Alkoven. Alcest.


ALCEST.

Du wartest schon auf mich.

SOPHIE.

Dir wart ich immer gern.

ALCEST.

Du zitterst?

SOPHIE.

Die Gefahren

Von hier und dort.


Sie deutet auf Alcesten und auf die Türe.


SÖLLER.

Du, dir! Das sind Präliminaren.

SOPHIE.

Du weißt es, was mein Herz um deinetwillen litt.

Du kennst dies ganze Herz! Verzeih ihm diesen Schritt.

ALCEST mit Nachdruck.

Sophie!

SOPHIE.

Verzeihst du ihn, so fühl ich keine Reue.

SÖLLER.

Ja! frage mich einmal, ob ich dir ihn verzeihe.

SOPHIE.

Warum kam ich hierher? Gewiß, ich weiß es kaum.

SÖLLER.

Ich weiß es nur zu wohl!

SOPHIE.

Es ist mir wie ein Traum.

SÖLLER.

Ich wollt, ich träumte!

SOPHIE.

Sieh, ein ganzes Herz voll Plagen

Bring ich zu dir.

ALCEST.

Der Schmerz vermindert sich im Klagen.

SOPHIE.

Ein sympathetisch Herz wie deines fand ich nie!

SÖLLER.

Wenn ihr zusammen gähnt, das nennt ihr Sympathie.

Fürtrefflich.[36]

SOPHIE.

Mußt ich nur dich so vollkommen finden,

Um mit dem Gegensatz von dir mich zu verbinden.

Ich hab ein Herz, das nicht tot für die Tugend ist.

ALCEST.

Ich kenn's.

SÖLLER.

Jaja, ich auch!

SOPHIE.

So liebenswert du bist,

Alcest, ich würde nie aus meinen Schranken weichen,

Wär Söller nicht ein Mann, um mich herauszuscheuchen.

SÖLLER.

Sie lügt! Ein Mann von Stroh wär ich! Da seht ihr mich,

Ihr Herren, hat er denn so Waden stehn wie ich?

SOPHIE.

Ich dachte, da die Not mich zwang, dich zu verlassen,

Ihn zu ertragen.

SÖLLER.

Schön!

SOPHIE.

Allein, ich muß ihn hassen.

SÖLLER.

Noch schöner!

ALCEST.

Du verdienst kein so unglücklich Band.

SOPHIE.

Dumm ohn ein gutes Herz und boshaft ohn Verstand.

Zum Schelmen viel zu feig, zu schlimm, um treu zu denken,

Beschäftigt sich sein Kopf mit ungeschliffnen Ränken,

Verleumdet, lügt, betrügt.

SÖLLER.

Ich seh, sie sammelt schon

Die Personalien zu meinem Leichsermon.

SOPHIE.

Mit ihm zu leben! Denk, wie sehr das mich betrübte

Hofft ich nicht –

SÖLLER.

Nur heraus!

SOPHIE.

Daß mich Alcest noch liebte.

ALCEST.

Er liebt, er klagt wie du.

SOPHIE.

Das lindert meine Pein,

Von einem wenigstens, von dir beklagt zu sein.


Sie faßt ihn bei der Hand.


Alcest, bei dieser Hand, der teuern Hand, beschwöre

Ich dich, behalte mir dein Herz gewogen.[37]

SÖLLER.

Höre!

Wie schön sie tut.

SOPHIE zärtlich.

Dies Herz, das nur für dich empfand,

Kennt keinen andern Trost als den von deiner Hand.

ALCEST kläglich.

Ich kenne für dein Herz kein Mittel.

SÖLLER.

Desto schlimmer!

Schlägt's nicht am Herzen an, so sieht das Frauenzimmer

Gern, daß man sonst kuriert.

SOPHIE die sich auf Alcestens Arm lehnt.

Mein Freund!

SÖLLER beängstigt.

Bald geht's zu weit.


Zum Parterre.


Es ist mein großes Glück, daß ihr da unten seid;

Da schämen sie sich noch.


Alcest umarmt Sophien.


Nein! Er wird zu verwegen!

Ich führ ihm gern an Kopf, hätt er nur keinen Degen.

SOPHIE ängstlich.

Grausamer, laß mich gehn.

SÖLLER außer sich.

Verflucht, wie sie sich ziert!


Sie nachmachend.


Grausamer! laß mich gehn! Das ist kapituliert.

Pfui! Schämen sie sich doch! Die abgedroschne Leier,

Wenn's schon bergunter geht! Wer gibt mir einen Dreier

Für ihre Tugend?

SOPHIE.

Freund, noch diesen letzten Kuß

Und dann leb wohl!

ALCEST.

Du gehst!

SOPHIE.

Ich gehe, weil ich muß.

ALCEST.

Du liebst mich, und du gehst!

SOPHIE.

Ich geh, weil ich dich liebe.

Ich würde einen Freund verlieren, wenn ich bliebe.

Es strömt der Klagen Lauf am liebsten in der Nacht,

An einem sichern Ort, wo nichts uns zittern macht.

Man wird vertraulicher, je ruhiger man klaget.

Allein für mein Geschlecht ist es zuviel gewaget.[38]

Die Liebe nennet sich zuerst Vertraulichkeit.

Ein schmerzerweichtes Herz, in dieser sichern Zeit,

Versagt dem Freunde nicht den Mund zu Freundschaftsküssen

Ein Freund ist auch ein Mensch.

SÖLLER.

Sie scheint es gut zu wissen.

SOPHIE.

Leb wohl!

ALCEST.

Vergiß es nie, daß ich der Deine sei!

SÖLLER erholt.

Das Ungewitter zieht mir nah am Kopf vorbei.


Sophie geht, Alcest begleitet sie zur Haupttüre hinaus.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 36-39.
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