Am unteren Peneios.

[222] Peneios umgeben von Gewässern und Nymphen.


PENEIOS.

Rege dich, du Schilfgeflüster!

Hauche leise, Rohrgeschwister,

Säuselt, leichte Weidensträuche,

Lispelt, Pappelzitterzweige,

Unterbrochnen Träumen zu! ...

Weckt mich doch ein grauslich Wittern,

Heimlich allbewegend Zittern

Aus dem Wallestrom und Ruh'.

FAUST an den Fluß tretend.

Hör' ich recht, so muß ich glauben:

Hinter den verschränkten Lauben

Dieser Zweige, dieser Stauden

Tönt ein menschenähnlichs Lauten.

Scheint die Welle doch ein Schwätzen,

Lüftlein wie – ein Scherzergetzen.

NYMPHEN zu Faust.

Am besten geschäh' dir,

Du legtest dich nieder,

Erholtest im Kühlen

Ermüdete Glieder,

Genössest der immer

Dich meidenden Ruh;

Wir säuseln, wir rieseln,

Wir flüstern dir zu.

FAUST.

Ich wache ja! O laßt sie walten,

Die unvergleichlichen Gestalten,

Wie sie dorthin mein Auge schickt.[222]

So wunderbar bin ich durchdrungen!

Sind's Träume? Sind's Erinnerungen?

Schon einmal warst du so beglückt.

Gewässer schleichen durch die Frische

Der dichten, sanft bewegten Büsche,

Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;

Von allen Seiten hundert Quellen

Vereinen sich im reinlich hellen,

Zum Bade flach vertieften Raum.

Gesunde junge Frauenglieder,

Vom feuchten Spiegel doppelt wieder

Ergetztem Auge zugebracht!

Gesellig dann und fröhlich badend,

Erdreistet schwimmend, furchtsam watend;

Geschrei zuletzt und Wasserschlacht.

Begnügen sollt' ich mich an diesen,

Mein Auge sollte hier genießen,

Doch immer weiter strebt mein Sinn.

Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,

Das reiche Laub der grünen Fülle

Verbirgt die hohe Königin.

Wundersam! auch Schwäne kommen

Aus den Buchten hergeschwommen,

Majestätisch rein bewegt.

Ruhig schwebend, zart gesellig,

Aber stolz und selbstgefällig,

Wie sich Haupt und Schnabel regt ...

Einer aber scheint vor allen

Brüstend kühn sich zu gefallen,

Segelnd rasch durch alle fort;

Sein Gefieder bläht sich schwellend,

Welle selbst, auf Wogen wellend,

Dringt er zu dem heiligen Ort ...

Die andern schwimmen hin und wider

Mit ruhig glänzendem Gefieder,

Bald auch in regem prächtigen Streit,

Die scheuen Mädchen abzulenken,

Daß sie an ihren Dienst nicht denken,

Nur an die eigne Sicherheit.[223]

NYMPHEN.

Leget, Schwestern, euer Ohr

An des Ufers grüne Stufe;

Hör' ich recht, so kommt mir's vor

Als der Schall von Pferdes Hufe.

Wüßt' ich nur, wer dieser Nacht

Schnelle Botschaft zugebracht.

FAUST.

Ist mir doch, als dröhnt' die Erde,

Schallend unter eiligem Pferde.

Dorthin mein Blick!

Ein günstiges Geschick,

Soll es mich schon erreichen?

O Wunder ohnegleichen!

Ein Reuter kommt herangetrabt,

Er scheint von Geist und Mut begabt,

Von blendend-weißem Pferd getragen. ...

Ich irre nicht, ich kenn' ihn schon,

Der Philyra berühmter Sohn! –

Halt, Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen ...

CHIRON.

Was gibt's? Was ist's?

FAUST.

Bezähme deinen Schritt!

CHIRON.

Ich raste nicht.

FAUST.

So bitte! nimm mich mit!

CHIRON.

Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:

Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,

Ich bin bereit, dich durch den Fluß zu tragen ...

FAUST aufsitzend.

Wohin du willst. Für ewig dank' ich's dir ...

Der große Mann, der edle Pädagog,

Der, sich zum Ruhm, ein Heldenvolk erzog,

Den schönen Kreis der edlen Argonauten

Und alle, die des Dichters Welt erbauten.

CHIRON.

Das lassen wir an seinem Ort!

Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;

Am Ende treiben sie's nach ihrer Weise fort,

Als wenn sie nicht erzogen wären.

FAUST.

Den Arzt, der jede Pflanze nennt,

Die Wurzeln bis ins tiefste kennt,

Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,

Umarm' ich hier in Geist- und Körperkraft![224]

CHIRON.

Ward neben mir ein Held verletzt,

Da wußt' ich Hülf' und Rat zu schaffen;

Doch ließ ich meine Kunst zuletzt

Den Wurzelweibern und den Pfaffen.

FAUST.

Du bist der wahre große Mann,

Der Lobeswort nicht hören kann.

Er sucht bescheiden auszuweichen

Und tut, als gäb' es seinesgleichen.

CHIRON.

Du scheinest mir geschickt zu heucheln,

Dem Fürsten wie dem Volk zu schmeicheln.

FAUST.

So wirst du mir denn doch gestehn:

Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,

Dem Edelsten in Taten nachgestrebt,

Halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt.

Doch unter den heroischen Gestalten

Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?

CHIRON.

Im hehren Argonautenkreise

War jeder brav nach seiner eignen Weise,

Und nach der Kraft, die ihn beseelte,

Konnt' er genügen, wo's den andern fehlte.

Die Dioskuren haben stets gesiegt,

Wo Jugendfüll' und Schönheit überwiegt.

Entschluß und schnelle Tat zu andrer Heil,

Den Boreaden ward's zum schönen Teil.

Nachsinnend, kräftig, klug, im Rat bequem,

So herrschte Jason, Frauen angenehm.

Dann Orpheus: zart und immer still bedächtig,

Schlug er die Leier allen übermächtig.

Scharfsichtig Lynceus, der bei Tag und Nacht

Das heil'ge Schiff durch Klipp' und Strand gebracht ...

Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:

Wenn einer wirkt, die andern alle loben.

FAUST.

Von Herkules willst nichts erwähnen?

CHIRON.

O weh! errege nicht mein Sehnen ...

Ich hatte Phöbus nie gesehn,

Noch Ares, Hermes, wie sie heißen;

Da sah ich mir vor Augen stehn,

Was alle Menschen göttlich preisen.

So war er ein geborner König,[225]

Als Jüngling herrlichst anzuschaun;

Dem ältern Bruder untertänig

Und auch den allerliebsten Fraun.

Den zweiten zeugt nicht Gäa wieder,

Nicht führt ihn Hebe himmelein;

Vergebens mühen sich die Lieder,

Vergebens quälen sie den Stein.

FAUST.

So sehr auch Bildner auf ihn pochen,

So herrlich kam er nie zur Schau.

Vom schönsten Mann hast du gesprochen,

Nun sprich auch von der schönsten Frau!

CHIRON.

Was! ... Frauenschönheit will nichts heißen,

Ist gar zu oft ein starres Bild;

Nur solch ein Wesen kann ich preisen,

Das froh und lebenslustig quillt.

Die Schöne bleibt sich selber selig;

Die Anmut macht unwiderstehlich,

Wie Helena, da ich sie trug.

FAUST.

Du trugst sie?

CHIRON.

Ja, auf diesem Rücken.

FAUST.

Bin ich nicht schon verwirrt genug?

Und solch ein Sitz muß mich beglücken!

CHIRON.

Sie faßte so mich in das Haar,

Wie du es tust.

FAUST.

O ganz und gar

Verlier' ich mich! Erzähle, wie?

Sie ist mein einziges Begehren!

Woher, wohin, ach, trugst du sie?

CHIRON.

Die Frage läßt sich leicht gewähren.

Die Dioskuren hatten jener Zeit

Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit.

Doch diese, nicht gewohnt, besiegt zu sein,

Ermannten sich und stürmten hinterdrein.

Da hielten der Geschwister eiligen Lauf

Die Sümpfe bei Eleusis auf;

Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;

Da sprang sie ab und streichelte

Die feuchte Mähne, schmeichelte

Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt.[226]

Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!

FAUST.

Erst zehen Jahr! ...

CHIRON.

Ich seh; die Philologen,

Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.

Ganz eigen ist's mit mythologischer Frau,

Der Dichter bringt sie, wie er's braucht, zur Schau:

Nie wird sie mündig, wird nicht alt,

Stets appetitlicher Gestalt,

Wird jung entführt, im Alter noch umfreit;

Gnug, den Poeten bindet keine Zeit.

FAUST.

So sei auch sie durch keine Zeit gebunden!

Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,

Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:

Errungen Liebe gegen das Geschick!

Und sollt' ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,

Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?

Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,

So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?

Du sahst sie einst; heut hab' ich sie gesehn,

So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.

Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen;

Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.

CHIRON.

Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt;

Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.

Nun trifft sich's hier zu deinem Glücke;

Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,

Pfleg' ich bei Manto vorzutreten,

Der Tochter Äskulaps; im stillen Beten

Fleht sie zum Vater, daß, zu seiner Ehre,

Er endlich doch der Ärzte Sinn verkläre

Und vom verwegnen Totschlag sie bekehre ...

Die liebste mir aus der Sibyllengilde,

Nicht fratzenhaft bewegt, wohltätig milde;

Ihr glückt es wohl, bei einigem Verweilen,

Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.

FAUST.

Geheilt will ich nicht sein, mein Sinn ist mächtig;

Da wär' ich ja wie andre niederträchtig.

CHIRON.

Versäume nicht das Heil der edlen Quelle!

Geschwind herab! Wir sind zur Stelle.[227]

FAUST.

Sag an! Wohin hast du, in grauser Nacht,

Durch Kiesgewässer mich ans Land gebracht?

CHIRON.

Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,

Peneios rechts, links den Olymp zur Seite,

Das größte Reich, das sich im Sand verliert;

Der König flieht, der Bürger triumphiert.

Blick auf! hier steht, bedeutend nah,

Im Mondenschein der ewige Tempel da.

MANTO inwendig träumend.

Von Pferdes Hufe

Erklingt die heilige Stufe,

Halbgötter treten heran.

CHIRON.

Ganz recht!

Nur die Augen aufgetan!

MANTO erwachend.

Willkommen! ich seh', du bleibst nicht aus.

CHIRON.

Steht dir doch auch dein Tempelhaus!

MANTO.

Streifst du noch immer unermüdet?

CHIRON.

Wohnst du doch immer still umfriedet,

Indes zu kreisen mich erfreut.

MANTO.

Ich harre, mich umkreist die Zeit.

Und dieser?

CHIRON.

Die verrufene Nacht

Hat strudelnd ihn hierher gebracht.

Helenen, mit verrückten Sinnen,

Helenen will er sich gewinnen

Und weiß nicht, wie und wo beginnen;

Asklepischer Kur vor andern wert.

MANTO.

Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt.


Chiron ist schon weit weg.


MANTO.

Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen!

Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.

In des Olympus hohlem Fuß

Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.

Hier hab' ich einst den Orpheus eingeschwärzt;

Benutz es besser! frisch! beherzt!


Sie steigen hinab.
[228]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 222-229.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Faust. Eine Tragödie
Faust I: Der Tragödie Erster Teil (Fischer Klassik)
Faust 1. Der Tragödie erster Teil.
Faust. Der Tragödie Erster Teil: Reclam XL - Text und Kontext
Faust: Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust
Faust Eine Tragödie: Erster und zweiter Teil

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon