[165] EINSIEDLER.
Ihr denkt, ihr Herrn, ich bin allein,
Weil ich nicht mag in Städten sein.
Ihr irrt euch, liebe Herren mein!
Ich hab mich nicht hierher begeben,
Weil sie in Städten so ruchlos leben
Und alle wandeln nach ihrem Trieb,
Der Schmeichler, Heuchler und der Dieb:
Das hätt mich immerfort ergetzt,
Wollten sie nur nicht sein hochgeschätzt;
Bestehlen und bescheißen mich, wie die Raben,
Und noch dazu Reverenzen haben!
Ihrer langweiligen Narrheit satt,
Bin herausgezogen in Gottes Stadt,
Wo's freilich auch geht drüber und drunter
Und geht desungeacht nicht unter.
Ich seh im Frühling ohne Zahl
Blüten und Knospen durch Berg und Tal,
Wie alles drängt und alles treibt,
Kein Pläcklein ohne Keimlein bleibt.
Da denkt nun gleich der steif' Philister:
Das ist für mich und meine Geschwister.
Unser Herrgott ist so gnädig heuer;[165]
Hätt ich's doch schon in Fach und Scheuer!
Unser Herrgott spricht: Aber mir nit so!
Es sollen's ander auch werden froh.
Da lockt uns denn der Sonnenschein
Störch und Schwalb' aus der Fremd herein,
Den Schmetterling aus seinem Haus,
Die Fliegen aus den Ritzen raus
Und brütet das Raupenvölklein aus.
Das quillt all von Erzeugungskraft,
Wie sich's hat aus dem Schlaf gerafft;
Vögel und Frösch und Tier' und Mücken
Begehn sich zu allen Augenblicken,
Hinten und vorn, auf Bauch und Rücken,
Daß man auf jeder Blüt und Blatt
Ein Eh- und Wochenbettlein hat.
Und sing ich dann im Herzen mein
Lob Gott mit allen Würmelein.
Das Volk will dann zu essen haben,
Verzehren bescherte Gottesgaben.
So frißt 's Würmlein frisch Keimleinblatt,
Das Würmlein macht das Lerchlein satt,
Und weil ich auch bin zu essen hier,
Mir das Lerchlein zu Gemüte führ.
Ich bin denn auch ein häuslich' Mann,
Hab Haus und Stall und Garten dran.
Mein Gärtlein, Früchtlein ich beschütz
Vor Kält und Raupen und dürrer Hitz.
Kommt aber herein der Kieselschlag
Und furaschiert mir an einem Tag,
So ärgert mich der Streich fürwahr;
Doch leb ich noch am End vom Jahr
Wo mancher Bärwolf ist schon tot
Aus Ängsten vor der Hungersnot.
Man hört von ferne heulen.
U! U! Au! Au! Weh! Weh! Ai! Ai![166]
EINSIEDLER.
Welch ein erbärmlich Wehgeschrei!
Muß eine verwundte Besti' sein.
SATYROS.
O weh, mein Rücken! o weh, mein Bein!
EINSIEDLER.
Gut Freund, was ist Euch Leids geschehn?
SATYROS.
Dumme Frag! Ihr könnt's ja sehn.
Ich bin gestürzt – entzwei mein Bein!
EINSIEDLER.
Hockt auf! Hier in die Hütte rein.
Einsiedler bockt ihn auf, trägt ihn in die Hütte und legt ihn aufs Bett.
EINSIEDLER.
Halt still, daß ich die Wund beseh!
SATYROS.
Ihr seid ein Flegel! Ihr tut mir weh.
EINSIEDLER.
Ihr seid ein Fratz! So halt denn still!
Wie, Teufel, ich Euch da schindeln will?
Verbindet ihn.
So bleibt nur wenigstens in Ruh.
SATYROS.
Schafft mir Wein und Obst dazu.
EINSIEDLER.
Milch und Brot, sonst nichts auf der Welt.
SATYROS.
Eure Wirtschaft ist schlecht bestellt.
EINSIEDLER.
Des vornehmen Gasts mich nicht versah.
Da, kostet von dem Topfe da.
SATYROS.
Pfui! was ist das ein ä Geschmack
Und magrer als ein Bettelsack.
Da droben im G'birg die wilden Ziegen,
Wenn ich eine bei 'n Hörnern tu kriegen,
Faß mit dem Maul ihre vollen Zitzen,
Tu mir mit Macht die Gurgel bespritzen,
Das ist, bei Gott! ein ander Wesen.
EINSIEDLER.
Drum eilt Euch, wieder zu genesen.
SATYROS.
Was blast Ihr da so in die Hand?
EINSIEDLER.
Seid Ihr nicht mit der Kunst bekannt?
Ich hauch die Fingerspitzen warm.
SATYROS.
Ihr seid doch auch verteufelt arm.[167]
EINSIEDLER.
Nein, Herr! ich bin gewaltig reich;
Meinem eignen Mangel helf ich gleich.
Wollt Ihr von Supp und Kraut nicht was?
SATYROS.
Das warm Geschlapp, was soll mir das?
EINSIEDLER.
So legt Euch denn einmal zur Ruh,
Bringt ein paar Stund' mit Schlafen zu.
Will sehen, ob ich nicht etwan
Für Euren Gaum was finden kann.
Ende des ersten Akts.
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