Fünfter Akt


[177] Wohnung des Hermes.

Eudora, Hermes' Frau. Der Einsiedler.


EUDORA.

Nimm, guter Mann! dies Brot und Milch von mir,

Es ist das letzte.

EINSIEDLER.

Weib! ich danke dir.

Und weine nicht; laß mich in Ruhe scheiden,

Dies Herz ist wohl gewöhnt, zu leiden,

Allein zu leiden, männiglich.

Dein Mitleid überwältigt mich.

EUDORA.

Ich bin betrübt, wie Blutdurst meinen Mann,

Das ganze Volk der Schwindel fassen kann!

EINSIEDLER.

Sie glauben. Laß sie! Du wirst nichts gewinnen.

Das Schicksal spielt

Mit unserm armen Kopf und Sinnen.

EUDORA.

Dich um des Tiers willen töten!

EINSIEDLER.

Tiers! Wer sein Herz bedürftig fühlt,

Findt überall einen Propheten.

Ich bin der erste Märtyrer nicht,

Aber gewiß der harmlosen einer;[177]

Um keiner Meinungen, keiner

Willkürlichen Grillen,

Um eines armen Lappens willen,

Eines Lappens, bei Gott! den ich brauchte.

Mein Andachtsbild, den Schutzgott meiner Ruh,

Raubt mir das Ungeheu'r dazu.

EUDORA.

O Freund! ich kenn sein Götterblut wie du.

Mein Mann ward Knecht in seiner eignen Wohnung,

Und Ihro borst'ge Majestät sah zur Belohnung

Mich Hausfrau für einen arkadischen Schwan,

Mein Ehbett für einen Rasen an,

Sich drauf zu tummeln.

EINSIEDLER.

Ich erkenn ihn dran.

EUDORA.

Ich schickt ihn mit Verachtung weg. Er hing

Sich fester an Psyche, das arme Ding,

Um mich zu trotzen! Und seit der Zeit

Sterb ich oder seh dich befreit.

EINSIEDLER.

Sie bereiten das Opfer heut.

EUDORA.

Die Gefahr lehrt uns bereit sein.

Ich gebe nichts verloren;

Mit einem Blick lenk ich ein

Bei dem kühnen, eingebildten Toren.

EINSIEDLER.

Und dann?

EUDORA.

Wann sie dich zum Opfer führen,

Lock ich ihn an, sich zu verlieren

In die innern heiligen Hallen,

Aus Großmut-Sanftmut-Schein.

Da dring auf das Volk ein,

Uns zu überfallen.

EINSIEDLER.

Ich fürchte –

EUDORA.

Fürchte nicht!

Einer, der um sein Leben spricht,

Hat Gewalt. Ich wage, und du sollst reden.


Ab.


EINSIEDLER.

Geht's nicht, so mögen sie mich töten.


[178] Der Tempel.

Satyros sitzt ernst-wild auf dem Altar. Das Volk vor ihm auf den Knien. Psyche an ihrer Spitze.


DAS VOLK. CHORUS.

Geist des Himmels, Sohn der Götter,

Zürne nicht!

Frevlern deiner Stirne Wetter,

Uns ein gnädig Angesicht!

Hat der Lästrer das verbrochen,

Sieh herab, du wirst gerochen!

Schrecklich nahet sein Gericht.


Hermes. Ihm folgt ein Trupp, den Einsiedler gebunden führend.


DAS VOLK.

Höll und Tod dem Übertreter!

Geist des Himmels, Sohn der Götter,

Zürne deinen Kindern nicht!

SATYROS herabsteigend.

Ich hab ihm seine Missetat verziehn!

Der Gerechtigkeit überlaß ich ihn.

Mögt den Toren schlachten, befrein;

Ich will nicht dawider sein.

DAS VOLK.

O Edelmut!

Es fließe sein Blut!

SATYROS.

Ich geh ins Heiligtum hinein;

Und keiner soll sich unterstehn,

Bei Lebensstraf, mir nachzugehn!

EINSIEDLER für sich.

Weh mir! Ihr Götter, wollet bei mir stehn!


Satyros ab.


EINSIEDLER.

Mein Leben ist in euren Händen,

Ich bin nicht unbereitet, es zu enden.

Ich habe schon seit manchen langen Tagen

Nicht genossen, nur das Leben so ausgetragen.

Es mag! Mich hält der tränenvolle Blick

Des Freundes, eines lieben Weibes Not[179]

Und unversorgter Kinder Elend nicht zurück.

Mein Haus versinkt nach meinem Tod,

Das dem Bedürfnis meines Lebens

Allein gebaut war. Doch das schmerzt mich nur,

Daß ich die tiefe Kenntnis der Natur

Mit Müh geforscht und leider! nun vergebens;

Daß hohe Menschenwissenschaft,

Manche geheimnisvolle Kraft

Mit diesem Geist der Erd entschwinden soll.

EINER DES VOLKS.

Ich kenn ihn; er ist der Künste voll.

EIN ANDRER.

Was Künste! Unser Gott weiß das all.

EIN DRITTER.

Ob er sie sagt, das ist ein andrer Fall.

EINSIEDLER.

Ihr seid über hundert. Wenn's zwei-, dreihundert wären,

Ich wollte jedem sein eigen Kunststück lehren,

Einem jeden eins,

Denn was alle wissen, ist keins.

DAS VOLK.

Er will uns beschwätzen. Fort! Fort!

EINSIEDLER.

Noch ein Wort!

So erlaube, daß ich dir

Ein Geheimnis eröffne, das für und für

Dich glücklich machen soll.

HERMES.

Und wie soll's heißen?

EINSIEDLER leise.

Nichts weniger als den Stein der Weisen.

Komm von der Menge

Nur einen Schritt in diese Gänge.


Sie wollen gehn.


DAS VOLK.

Verwegner, keinen Schritt!

PSYCHE.

Ins Heiligtum! Und, Hermes, du gehst mit?

Vergissest des Gottes Gebot?

VOLK.

Auf! Auf! Des Frevlers Blut und Tod.


Sie reißen den Einsiedler zum Altare. Einer dringt dem Hermes das Messer auf.


EUDORA inwendig.

Hülfe! Hülfe![180]

DAS VOLK.

Welche Stimme?

HERMES.

Das ist mein Weib!

EINSIEDLER.

Gebietet eurem Grimme

Einen Augenblick!

EUDORA inwendig.

Hülfe, Hermes! Hülfe!

HERMES.

Mein Weib! Götter, mein Weib!


Er stößt die Türen des Heiligtums auf. Man sieht Eudora, sich gegen des Satyros Umarmungen verteidigend.


HERMES.

Es ist nicht möglich!


Satyros läßt Eudoren los.


EUDORA.

Da seht ihr euren Gott!

VOLK.

Ein Tier! ein Tier!

SATYROS.

Von euch Schurken keinen Spott!

Ich tät euch Eseln eine Ehr an,

Wie mein Vater Jupiter vor mir getan;

Wollt eure dummen Köpf belehren

Und euren Weibern die Mücken wehren,

Die ihr nicht gedenkt ihnen zu vertreiben;

So mögt ihr denn im Dreck bekleiben.

Ich zieh meine Hand von euch ab,

Lasse zu edlern Sterblichen mich herab.

HERMES.

Geh! wir begehren deiner nit.


Satyros ab.


EINSIEDLER.

Es geht doch wohl eine Jungfrau mit.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 177-181.
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