An den Schlaf

[27] Der du mit deinem Mohne

Selbst Götteraugen zwingst

Und Bettler oft zum Throne,

Zum Mädchen Schäfer bringst,

Vernimm: Kein Traumgespinste

Verlang ich heut von dir.

Den größten deiner Dienste,

Geliebter, leiste mir.


An meines Mädchens Seite

Sitz ich, ihr Aug spricht Lust,

Und unter neid'scher Seide

Steigt fühlbar ihre Brust;

Oft hatte meinen Küssen

Sie Amor zugebracht,

Dies Glück muß ich vermissen,

Die strenge Mutter wacht.


Am Abend triffst du wieder

Mich dort, o tritt herein,

Sprüh Mohn von dem Gefieder,

Da schlaf die Mutter ein:

Bei blassem Lichterscheinen,

Von Lieb Annette warm

Sink, wie Mama in deinen,

In meinen gier'gen Arm.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 27.
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