[190] An Uranien
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie du das erste Mal
Liebahndend dem Fremdling
Entgegentratst[190]
Und deine Hand ihm reichtest,
Fühlt' er alles voraus,
Was ihm für Seligkeit
Entgegenkeimte.
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie du den liebenden Arm
Um den Freund schlangst,
Wie ihm Lilas Brust
Entgegenbebte,
Wie ihr, euch rings umfassend,
In heil'ger Wonne schwebtet
Und ich, im Anschaun selig,
Ohne sterblichen Neid
Darneben stand.
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie durch heilige Täler wir
Händ in Hände wandelten
Und des Fremdlings Treu
Sich euch versiegelte,
Daß du dem liebenden,
Stille sehnenden
Die Wange reichtest
Zum himmlischen Kuß.
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wenn du fern wandelst
Am Hügelgebüsch,
Wandeln Liebesgestalten
Mit dir den Bach hinab;
Wenn mir auf dem Felsen
Die Sonne niedergeht,[191]
Seh ich Freundegestalten
Mir winken durch
Wehende Zweige
Des dämmernden Hains.
Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Seh ich, verschlagen
Unter schauernden Himmels
Öde Gestade,
In der Vergangenheit
Goldener Myrtenhainsdämmerung
Lilan an deiner Hand,
Seh mich Schüchternen
Eure Hände fassen,
Bittend blicken,
Eure Hände küssen –
Eure Augen sich begegnen,
Auf mich blicken seh ich,
Werfe den hoffenden Blick
Auf Lila; sie nähert sich mir,
Himmlische Lippe!
Und ich wanke, nahe mich,
Blicke, seufze, wanke –
Seligkeit! Seligkeit!
Eines Kusses Gefühl!
Mir gaben die Götter
Auf Erden Elysium!
Ach, warum nur Elysium!
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(Gedichte. Nachlese)
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