Diner zu Koblenz

im Sommer 1774

[470] Zwischen Lavater und Basedow

Saß ich bei Tisch des Lebens froh.

Herr Helfer, der war gar nicht faul,

Setzt' sich auf einen schwarzen Gaul,

Nahm einen Pfarrer hinter sich

Und auf die Offenbarung strich,

Die uns Johannes, der Prophet,

Mit Rätseln wohl versiegeln tät;

Eröffnet' die Siegel kurz und gut,

Wie man Theriaksbüchsen öffnen tut,

Und maß mit einem heiligen Rohr

Die Kubusstadt und das Perlentor

Dem hocherstaunten Jünger vor.
[470]

Ich war indes nicht weit gereist,

Hatte ein Stück Salmen aufgespeist.


Vater Basedow, unter dieser Zeit,

Packt' einen Tanzmeister an seiner Seit

Und zeigt' ihm, was die Taufe klar

Bei Christ und seinen Jüngern war

Und daß sich's gar nicht ziemet jetzt,

Daß man den Kindern die Köpfe netzt.

Drob ärgert' sich der andre sehr

Und wollte gar nichts hören mehr

Und sagt': es wüßte ein jedes Kind,

Daß es in der Bibel anders stünd.

Und ich behaglich unterdessen

Hätt einen Hahnen aufgefressen.


Und, wie nach Emmaus, weiter ging's

Mit Geist- und Feuerschritten,

Prophete rechts, Prophete links,

Das Weltkind in der Mitten.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 470-471.
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