Der Musensohn

[21] Durch Feld und Wald zu schweifen,

Mein Liedchen wegzupfeifen,

So geht's von Ort zu Ort!

Und nach dem Takte reget

Und nach dem Maß beweget

Sich alles an mir fort.


Ich kann sie kaum erwarten,

Die erste Blum im Garten,

Die erste Blüt am Baum.

Sie grüßen meine Lieder,

Und kommt der Winter wieder,

Sing ich noch jenen Traum.


Ich sing ihn in der Weite,

Auf Eises Läng und Breite,

Da blüht der Winter schön!

Auch diese Blüte schwindet,

Und neue Freude findet

Sich auf bebauten Höhn.


Denn wie ich bei der Linde

Das junge Völkchen finde,

Sogleich erreg ich sie.

Der stumpfe Bursche bläht sich,

Das steife Mädchen dreht sich

Nach meiner Melodie.
[21]

Ihr gebt den Sohlen Flügel

Und treibt durch Tal und Hügel

Den Liebling weit von Haus.

Ihr lieben, holden Musen,

Wann ruh ich ihr am Busen

Auch endlich wieder aus?


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 21-22.
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