[Als wenn das auf Namen ruhte]

[61] Als wenn das auf Namen ruhte,

Was sich schweigend nur entfaltet!

Lieb ich doch das schöne Gute,

Wie es sich aus Gott gestaltet.


Jemand lieb ich, das ist nötig;

Niemand haß ich; soll ich hassen,

Auch dazu bin ich erbötig,

Hasse gleich in ganzen Massen.


Willst sie aber näher kennen?

Sieh aufs Rechte, sieh aufs Schlechte;

Was sie ganz fürtrefflich nennen,

Ist wahrscheinlich nicht das Rechte.
[61]

Denn das Rechte zu ergreifen,

Muß man aus dem Grunde leben,

Und salbadrisch auszuschweifen

Dünket mich ein seicht Bestreben.


Wohl, Herr Knitterer, er kann sich

Mit Zersplitterer vereinen,

Und Verwitterer alsdann sich

Allenfalls der Beste scheinen!


Daß nur immer in Erneuung

Jeder täglich Neues höre,

Und zugleich auch die Zerstreuung

Jeden in sich selbst zerstöre.


Dies der Landsmann wünscht und liebet,

Mag er Deutsch, mag Teutsch sich schreiben,

Liedchen aber heimlich piepet:

Also war es und wird bleiben.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 61-62.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
West-östlicher Divan
West-oestlicher Divan: Stuttgart 1819
West-oestlicher Divan: Stuttgart 1819
West-östlicher Divan. Zwei Bände
West-östlicher Divan
West-östlicher Divan (insel taschenbuch)