Notirtes und Gesammeltes auf der Reise vom 16. Jun. bis 29. August. 1822.

August.

1. Wurde manches bey Grafen Sternbergs Anwesenheit Besprochenes notirt und Gesammeltes geordnet. Auch las ich dessen Reise durch Tyrol in die österreichischen Provinzen Italiens, wovon er mir ein Exemplar verehrt hatte. Sie war im Jahr 1804 unternommen und 1806 in Regensburg gedruckt. Die Pflanzenkunde war der Hauptzweck, verbunden mit Geologie die Weltansicht ist frey und zeugt von einem wohlunterrichteten, mit Staats- und Weltverhältnissen genugsam bekannten Manne. Man folgt ihm gern durch unwegsame Gebirge, wohin sich niemand sehnt. Seine Fahrt auf dem Gardasee, höchst anmuthig beschrieben, machte mir einen besonderen freundlichen Eindruck.

Noch am selbigen Morgen erschien, fußreisend, Keferstein von Halle, auf bergforschendem Durchflug, den Grafen Sternberg noch zu finden hoffend.[281] Sein geologischer Atlas von Deutschland, verlegt vom Industrie-Comptoir in Weimar, verspricht sehr brauchbar zu werden und uns eine längst gewünschte Übersicht zu geben.

Er führte einen jungen Tournon von Paris mit sich, einen verzogenen und verwilderten Sohn eines reichen Hauses, welcher vor einem Jahr mit Briefen von Alexander von Humboldt zu mir kam, erst in Weimar, dann in Halle, zuletzt in Ilefeld wieder sollte zu Recht gebracht werden, womit es nicht sonderlich zu gehen scheint, deßhalb man ihn zu Fußreisen in die Gebirge mehr verdammt als belohnt zu haben scheint. Übrigens ist er ein wohlgewachsener hübscher Knabe, der sich gut präsentirt. Seine eigentliche Grundmängel habe nicht entdecken können.

2. Überlegte einen gestern aus Berlin, von Doktor Henning erhaltenen umständlichen Brief. Dieser junge geist- und talentreiche Mann hat vergangnen Sommer öffentliche Vorlesungen über meine Farbenlehre gehalten, wozu ihm Minister von Altenstein ein Zimmer im Academiegebäude einräumte und Mittel gab einen vollständigen Apparat anzuschaffen. Wie bedeutend mir diese Einleitung sey, ist leicht zu erachten; er wird mich Anfangs September in Weimar besuchen, da denn das Weitere umständlich soll besprochen werden.

Nach Tische sah ich bey dem Pater Prior der[282] Dominikaner dessen Naturalienkabinet, von einem verstorbenen Bruder herrührend, das gar manche schöne Sachen enthält, leidlich geordnet aber verstaubt.

In der reinlich gehaltenen Bibliothek fand ich heftige Wechselschriften zwischen Protestanten und Katholiken vom Anfange des 16. Jahrhunderts. Auch sah ich daselbst einen Pult, auf welchem man 20 Foliobände auf einmal vor sich haben kann. Die einzelnen Pulte, nämlich vier an der Zahl, um eine Walze geordnet, bleiben, indem man diese herumdreht, immer vertikal, wie die Personen auf russischen Schaukeln, und so kann man, davor stehend, rückwärts und vorwärts die Bücher vor's Gesicht bringen. Bey historischen und andern kollectiven Arbeiten ist er gewiß nützlich und verdiente, wenn auch nur zum Scherz, wohl nachgeahmt zu werden.

3. Einige Besuche in der Nachbarschaft waren verabredet, ich fuhr mit Polizeyrath Grüner nach Falkenau, einem wohlgebauten Orte, den Grafen Nostiz gehörig, den ich gar oft, nach Carlsbad fahrend, gar anmuthig unten im Thale an der Eger liegen sah; die Hügel dahinter zu einem grenzenlosen Hopfenbaue benutzt. Hier fließt die Zwota mit der Eger zusammen und großes Wasser sammelt sich hier von Zeit zu Zeit. Wir kehrten ein bey dem Bergmeister Ignatius [283] Lößl, wo wir ein schönes Mineralienkabinet fanden und von den Produkten der Gegend aus dem Doubletten-Vorrath manches Wünschenswerthe verehrt erhielten. Abends bey'm traulichen Tischgespräche kamen Staats-, bürgerliche und kirchliche Verhältnisse an die Reihe, die auf einen zwar genierten aber doch auf einen gesicherten Zustand hindeuteten. Man legte auch Gedichte eines Naturmenschen vor, Namens Firnstein, auf dessen, seit dem siebenten Jahr, kontractem Körper sich ein sehr guter Kopf ausgebildet hat. Seine Arbeiten tragen völlig den Stempel der sogenannten Naturdichter, deren sich in Deutschland mehrere hervorthaten, worüber ich nächstens, zu Aufmunterung solcher, meist in ökonomischer, oft in körperlicher Hinsicht sehr zu beklagenden Menschen einiges zu sagen dencke. Da er die Gegenwart sehr gut erfaßt, so habe ich ihm aufgegeben, den Hopfenbau zu besingen, dessen Ausbreitung, Anmuth und Nützlichkeit ihm stets vor Augen und vor dem Geiste steht; wir wollen sehen, wie er sich herauszieht.

4. Wohl unterhalten, begabt und heiter fuhren wir ab 1/2 10 Uhr und gelangten um Eins nach Hartenberg, in die entgegengesetzteste Lokalität, aus dem Flußkies der Thal- Ebene zum Bergschloß auf Glimmerschiefer erbaut, von uralten an der Steile heraufstrebenden Bäumen beschattet,[284] in ernstheiterer Umgebung von Fichtenwäldern und Feldbau, der bey der heurigen Trocknis auf den Höhen besser als in den Tiefen gedieh. Die Zwota fließt unten schwarz und still vorbey; das Ganze hat etwas ähnliches von Elbogen, nur ist dieses ausgebreiteter und, dem großem Wasser gemäß, ansichtsreicher.

Graf Auersperg empfing uns freundlich und herzlich; er war dieses Jahr über wenig vom Schlosse gekommen. Es ergab sich eine Unterredung über den Umfang seiner Herrschaft, über seine Nachbarn die Grafen Nostiz, die schnellen und unerwarteten Todesfälle in dieser bedeutenden Familie. Seine Öconomie, Verbesserungen, Schloßreparatur, Bibliothek und sonst kam zur Sprache. Bey Tafel erschien der junge Graf, angestellt im Bunzlauer Kreise, der Still auf dem Geschäftswege fortgeht und zugleich mit seinem Vater in vollkommener Einigkeit, bey wiederholten Besuchen, das Eigene wohl zu behandlen und zu sichern bemüht zu seyn scheint.

Nun erschien aber die zarteste Handarbeit, die man in dieser Waldgegend nicht suchen sollte. Kaiser Franz nämlich, als er die Niederlande verlor, konnte dem Wunsch nicht entsagen, Brüssler Spitzen in seinen Landen verfertigt zu sehen. Schon vor zwey Jahren hatte ich den Vorgesetzten dieser Anstalt in Carlsbad gesprochen, wo er mir[285] das Ganze, vom Flachs an, der auch in Böhmen erzeugt werden mußte, umständlich vortrug, wie ich auch jener Zeit notirt habe. Das Unternehmen schwebte da mals in einer Krise; bey großem Aufwand war wenig gefördert, man bemühte sich nun diese Arbeit den Gebirgsbewohnern angenehm zu machen, verleitet durch das Spitzenklöppeln; allein bald zeigte sich, daß man ganz von vorne anfangen müsse und so wurden seit jener Zeit 12 Schulen allein im Elbognerkreis eingerichtet. Zu Goßengrün in des Grafen Herrschaft, eine halbe Stunde vom Schloß auf der Höhe, ist eine solche Schule eingerichtet, zwanzig Mädchen arbeiten daselbst. Die Lehrerin, von der gräflichen Familie, wegen ihres Verdiensts um die Gegend und ihres angenehm-soliden Benehmens gar wohl behandelt, war mit zu Tafel und als ich großen Antheil zeigte, ward ich gar bald vollständig belehrt und erfreut. Die Blumen und Zierathen nämlich, einzeln genäht und nach Prag gesendet, werden daselbst auf einen Grund aufgetragen. Man kann nichts Zierlicheres sehen als diese Muster! Die eigentliche Manipulation beschreibe mündlich und zeige einiges vor, was man mir freundlich verehrte. Unsere Frauenzimmer im Weißnähen so geübt würden hierin gar bald vollkommen seyn, wie denn schon in ihren Arbeiten das Ähnliche vorkommt.

[286] Abends kommen die ligoristischen Durchtriebenheiten, Werners Rosenkranzpredigt und ähnliches zur Sprache; im Gegensatz Kaiser Josephs Zeiten, damals Literatur, Abbate Casti. Nachts las ich oben genannten Wernerischen Sermon im Auszuge, wie sie Doktor Hain als Augen- und Ohrenzeuge im Januar des Hesperus aufgeführt hat.

5. Zeigte die Lehrerin ganz früh was gestern nicht zur Hand gewesen und ich schied wohl unterrichtet und in eine neue kleine Welt hineinschauend um 1/2 7 Uhr. In Franzensbrunn frühstückten wir um 1/2 11 Uhr, waren um 12 Uhr in Eger. Hier wurde nun notirt. Lieutenant Eichler von Berlin, gegenwärtig in Franzensbrunn, Freund von meinen Freunden, erzählte von Hegels philosophischer Schule, von den physikalischen, chemischen Unternehmungen junger Männer, die mir schon Berzelius gerühmt hatte.

6. Erschien Capellmeister Tomaschek von Prag, der an meinen Liedern sehr viel Antheil nimmt und sie sämtlich komponirt hat. Wir gingen zum Gerichtsadvokaten Frank, wo wir ein gutes Wiener Fortepiano fanden, woran unser Komponist seine Lieder, mit Eigenthümlichkeit, mitunter sehr wohl getroffen, glücklich vortrug.

Abends kleine Gesellschaft bey mir. Tomaschek nahm Abschied. Indessen ging das Sortiren,[287] Numeriren, Katalogiren der von allen Seiten zusammengeholten und gebrachten Mineralien immer fort; es wurde gepackt, vorerst eine Sammlung für den Prälaten zu Töpel und eine gleiche für den Grafen Sternberg.

7. Dieselbe Arbeit fortgesetzt. General-Münzwardein Loos, der Sohn, von Berlin. Seiner eigenen, vom verstorbenen Vater überkommenen Medaillen-Fabrikation erwähnend, Freund der Mineralogie, Studien der Münzen des Mittelalters verfolgend.

Nach Tische mit Rath Grüner nach Schönberg, einem in vieler Hinsicht interessanten Punct. Eine Spitze des sächsischen Voigtlandes drängt sich nach Böhmen hinein; am Fuße des Kappelberges, dessen Höhe daraus ermessen werden kann, daß auf seiner Nordseite die Elster entspringt und von da ihren Weg weiter verfolgt, liegt ein altes Schlößchen der Herrn von Reizenstein, jetzt verlassen; oberhalb aber findet man eine muntere Wohnung, wo, in Lauben und auf Altanen, die Franzensbrunnen-Gäste Thee, Kaffee, Chokolade, alle Art von Konditorwaaren, besonders auf Bestellung, gut und reichlich finden. Man rechnet von Franzensbrunn bis dorthin nicht einmal eine Stunde. Wir fanden daselbst viel Gesellschaft der obern und mittlern Classen, in verschiedenen Etagen gelagert. Zugleich erfährt man, daß im Hause ein Kramladen ist, wo der[288] Spazierfahrende sich mit manchem, in Böhmen verpöntem Gute um leidlichen preis versehen kann.

Den Kappelberg hinauf hat man bis oben hin, wo eine Kapelle stand, bequeme Fußwege eingeleitet und dort die Bestandtheile des Granits im Großen neben einander gefunden.

Um 9 Uhr waren wir wieder zu Hause.

8. Abschrift begonnen sowohl der Steinverzeichnisse als rückständiger Briefe. Sehr schöne Militärmusik, gewöhnlich am Donnerstag vor der Hauptwache. Ein Wagen ungarischer Knuppern, eine Art Gallus, hielt vor dem Hause, ich ließ mir einen Teller voll reichen und betrachtete sie näher. Es ist ein durch Insekten gestörtes Wachsthum einer Gemme, woraus sich die Eichel hätte entwickeln sollen und sich auch mitunter, obgleich verkrüppelt und geborsten, entwickelt hat. Sie werden aus Ungarn nach Wien in eine Niederlage gebracht, wo sie Fuhrleute als Rückfracht laden. Wahrscheinlich auf Bestellung; denn der Wagen war in einer halben Stunde leer. Nach Tische zu Huß, dessen Mineralien besehen, sodann einen Theil seiner Münzsammlung, die mich in meinen Gedanken bezüglich auf das Weimarische Cabinet gefördert und bestimmt hat.

13. Um 3 Uhr nach Tische abgefahren, durch Hundsdorf am Hundsbache hin, welcher in die Wondra[289] läuft, in Waldsassen um 4 Uhr, dann über Conderau und Mitterteich auf der Straße nach Regensburg; sodann rechts, durch Wald und Gebirge, immer auf sehr guter Chaussee. Hier findet man eine weit ausgebreitete Basaltformation. Merkwürdig war uns bey Groß-Schlottenbach ein Granit, der beinah ganz aus Feldspathkrystallen von der größeren aber flächeren Art besteht, welche bey wenigem Bindungsmittel leicht auswittern und zahlreich umher liegen.

Um 8 Uhr kamen wir nach Redwitz, wohlempfangen von Herrn Fikentscher und Familie. Abendgespräch erheitert durch Rath Grüners frühere Verhältnisse, denn Redwitz stand sonst unter österreichischer Hoheit und war gewissermaßen zu dem Egerlande gezählt, auch von der Stadt Eger bevormundet, nunmehr, als von Bayern völlig eingeschlossen, an dieses Königreich abgetreten; nicht ganz zum Vortheil der Einwohner, denen ihre Fabrikate nach Böhmen einzuführen versagt ist.

14. Herrn Fikentschers Zustand flüchtig zu schildern sage so viel. Die freie Lage seines Hauses, an einen Abhang gleich vor der Stadt, ist sehr erfreulich, man übersieht, von Osten nach Westen hin, ein langes weites, breites Thai, durch dessen Mitte der Bach Cossain, vom Berge gleiches Namens herabkommend, nach Osten fließt. Sanfte[290] dem Feldbau gewidmete Hügel begränzen überall, flache Wiesenräume ziehen sich das ganze Thal hin, durchaus bewässert und mit Wohnungen durchschnitten, die theils zur Vorstadt dießseits, theils einer eingepfarrten Gemeinde jenseits angehören. Die sämmtlichen sanften Hügel gehören dem Fruchtbau, alles gedeiht glücklich aus den Höhen. Näher oder ferner sieht man Fichtenwälder, auch zum Theil schon durch den Ackerbau verdrängt.

Unter dem wohleingerichteten Wohngebäude senckt sich ein Garten terrassenweis hinab, wovon ein Theil älteren und neuen Fabrikgebäuden aufgeopfert ist. Hier wird im Großen das schwefelsauere Quecksilber mit zugesetztem Kochsalz bereitet. (Muriate suroxigène de Mercure.) Das zurückbleibende Natron wird zur Glasfabrik verwendet. Auch krystallinische Weinsteinsäure wird auf das Reinlichste im Großen verfertigt. Die sämmtliche Arbeit geht immer fort; das Ganze ist so eingerichtet, daß, nach handelsmännischen Bestellungen, die größten Parthien in kurzer Zeit gefertigt werden können. Das Quecksilber beziehen sie von Idria und Mexiko, das Vitriolöl von Straßburg, das schon gereinigte Weinsteinsalz von Wien. An dem neuen Anbau des Fabrikgebäudes, der so groß ist als das alte, kann man ermessen, daß das Geschäft[291] im raschen Gange einem sichern Zweck entgegen gehe.

Wir gingen außen an den Gärten und Wiesen hin, durch einen Theil der Vorstadt, alsdann in das Städtchen, über dessen Thor das Egerische und Redwitzische Wappen unter dem böhmischen Löwen den frühern Zustand deutlich bezeichnet. Ein sanfter Aufstieg führte bis zur katholischen Kirche, von Maria Theresia erbauet und begabt, gar wohl gelegen ziert sie die Hauptstraße, welche lang ist und nur eine Biegung am Rathhause macht. Wäre das Pflaster besser und die Häuser hie und da ein wenig aufgefrischt, so hätte der Ort kein übles Ansehen.

Den Haus- und Hofherrn Fikentscher bezeichne als einen Fünfziger, der, in Nordamerika, mit eigenen Kräften und Mitteln große Landstrecken urbar gemacht und beherrscht hätte, es aber freylich hier im kultivirtesten Lande, obgleich zwölfhundert Fuß über der Meeresfläche, viel besser hat. Die häusliche Einrichtung gleicht aber jener über dem Weltmeer, wo man sich seine eigene Dienerschaft erzeugt. Mutter und zwey erwachsene, sehr hübsche Töchter, einfach aber elegant gekleidet, bedienen freundlich und anständig den Tisch, dazwischen sich niedersetzend und mitspeisend, zwey jüngere wachsen heran zu jener Anstelligkeit sich bereitend; von fünf Söhnen ist[292] nur einer zu Hause; der älteste als Arzt in Selb angestellt, die drey jüngern in Erlangen, zur Schule und zur Apothekerkunst durch Martius, den Vater des brasilianischen Reisenden, angehalten; der nunmehr ältere, ein junger lieber Mann von 22 Jahren, hatte schon früher bey'm Vater, der zuerst Apotheker gewesen, sich in diesen Künsten unterrichtet, sodann aber bey Trommsdorf im Erfurtschen einen jährlichen Cursus durchlaufen, ist in der neuen Chemie ganz unterrichtet, indem das Haus auch den nothwendigen Journal hält, um einer Wissenschaft in ihrem Gange zu folgen, die bey solchen Unternehmungen im Großen von der höchsten Wichtigkeit ist, wie man an den Operationen sieht, die mir freundlich und umständlich mitgetheilt worden.

Wir besahen das Mineralienkabinet des Sohnes, welches, obgleich nur vor wenig Jahren angelegt, schon sehr gute und wohlgeordnete Stufen besitzt, überall bemerkt man Geschick und Nutzbarkeit, auch zeigen sich die höheren chemischen Zwecke bey geologischen und oryktognostischen Bemühungen.

Nach Tische fuhr Polizeyrath Grüner weg und ich ging mit dem Hausvater auf die nordwestliche Höhe über der Stadt, wo der Berg, Cossein genannt, im Südosten stehend, einen Theil des Zirkels schließt, das Fichtelgebirg verdeckt ist, die Bergesreihe hingegen, welche das[293] Egerland gegen Norden umgiebt, in der fernsten Bläue zu sehen ist. Überschaut man die Fruchtbarkeit dieser großen, von beyden Seiten gegen den Bach Cossein gesenkten Flächen, so glaubt man einzusehen, wie auf einer Quadratstunde fünftausend Menschen sich ernähren konnten.

Eigentlich aber wird dieses nur begreiflich aus dem politischen Zustand. Vom 13. Jahrhundert an ist das Städtchen Redwitz eine wahrhafte Republick San Marino, nur um ein gutes besser gelegen, von der Natur begabter. Es stand unter dem Schutz der Krone Böhmen, an die Stadt Eger zunächst gewiesen, vom Stift Waldsassen, von den Markgrafen angefochten, erhielt sie sich immer im kleinen abgeschlossenen Kreise und benutzte die Vielseitigkeit nach außen zu ihren Vortheilen. Jetzt, in das Königreich Bayern verschmolzen, müssen sie nach und nach andere Wege einschlagen und sich in ein großes Ganze schicken lernen.

15. Als an Napoleons Geburtstag, an welchem ich wieder ein eigenes Feuerwerk erleben sollte. Um 8 Uhr mit dem Sohne weggefahren; zuerst den Bach Cossein zur Rechten, dann bey Brand über genanntes Wasser, den Berg hinauf einen schrecklichen Basaltweg, auf die Glashütte, wo siebenzehn Menschen arbeiteten. Es werden große Fenstertafeln gefertiget; wir sahen die ganze[294] Manipulation mit an, die wirklich furchtbar ist. Sie bliesen Walzen von 3 Fuß Höhe, in verhältnißmäßigem Durchmesser. Diese ungeheuern Körper aufschwellen, glühend schwingen und wieder in den Osten schieben zu sehen, je drey und drey Mann ganz nah neben einander, macht einen ängstlichen Eindruck. Dann weiß man die Walze, die erst unten rundlich geschlossen ist, mit immer fortgesetzter Erhitzung zu öffnen, daß Glocken daraus entstehen, diesen wird die Mütze genommen, die Walze selbst durch ein glühend Eisen getrennt, damit sie sich auseinander gebe, welches im Kühlofen geschieht. Das alles geschieht mit der zerbrechlichsten, glühend biegsamsten Masse, so takt- und schrittmäßig, daß man sich bald wieder beruhigt. Das Gefährliche mit Sicherheit ausgeübt, erregt eine bängliche Bewunderung; es fielen mir die Kunstreiter dabey ein. Dafür aber ist es auch die strengste Gilde, die nie ihren Handwerkszwang ausheben wird noch kann: denn hier zeigt sich's, was einer versteht und vermag, es ist am Tage, wer Lehrling oder Meister sey. Sie sind sehr gut bezahlt, aber man fordert viel von ihnen. Man zeigte mir einen Arbeiter, der in seinem 28. Jahre noch nicht den Gesellenstand hatte erreichen können, und setzte hinzu: er werde niemal ein tüchtiger Glasmacher werden. Auf meine Frage: was er[295] anzufangen hätte, wenn er von diesem Handwerke abginge? versetzte man: es bliebe nichts übrig als Taglöhner zu werden, da ihm denn sein itziger Lehrlingsstand einträglicher wäre.

Die Glashütte ist gemeinschaftlich, dießmal arbeitete der Theilnehmer von Wunsiedel. Auf dem Zimmer, Welches der junge Fikentscher bewohnt, wann die Reihe an sein Haus kommt, fanden wir zufällig zurückgelegte, schnell gekühlte, kleine Glaskolben, deren ausgeschnittener Boden die entoptische Erscheinung trefflich gab, wozu uns ein ganz reiner Himmel vollkommen begünstigte. Wir ließen sodann einen Glasstab schnell verkühlen und fanden ihn seiner Gestalt gemäß höchst schön entoptisch.

Wir fuhren den Schrecklichen Weg zurück und ich wäre, der Mittagshitze ungeachtet, den Berg gern hinabgegangen, hätte mein junger Begleiter sich nicht vor kurzer Zeit auf einer Fußreife an dem Hacken beschädiget. Weiter unten am Wasser fanden wir schöne Urgebirgsarten, welche besonders zu beschreiben sind.

Mittags mit der Familie. Zustände früherer Zeiten, sowohl auf die Stadt, als die Einzelnen bezüglich, wurden durchgesprochen. Sodann wendete man sich zu chemischen Versuchen. Das trübe Glas bey hellem Grund gelb, bey dunklem blau erscheinend, gerieth fürtrefflich, mit aufgestrichener[296] Salzsäure; das entoptische Täfelchen wollte nicht völlig gelingen.

Bedeutendes Gewitter von Westen nach Osten ziehend. Ich las in Kunckels Glasmacherkunst und bewunderte den Gehalt dieses Werkes auf's neue. Die Karte von Bayreuth in acht Blättern von Hannbaum diente mich in der Gegend zu orientiren.

Abends Inspector Schlommer, Syndicus Schmalz, Actuar Schnetter. Von vergangenen und gegenwärtigen Dingen. Man scheint mit der bayerischen Regierung wohl zufrieden und sucht sich, was Handlung und Gewerbe betrifft, nach und nach, da Böhmen gesperrt ist, andere Connexionen in dem Reiche selbst.1

16. Ganz den pyrotechnischen Versuchen gewidmet. Die trüben Scheibentäfelchen gelangen zuletzt in allen Abstufungen vortrefflich und wurden zu Dutzenden fertig, wodurch einer meiner sehnlichsten Wünsche erfüllet war. Die entoptischen Blättchen ließen zu wünschen übrig, doch wurden zwey schwarze Spiegel kunstgemäß gefertigt und das entoptische Gestell aufgerichtet. Die Atmosphäre war ungünstig. Abends dem Vater und Sohn die entoptischen Phänomene zur Einsicht geführt, damit man auf den eigentlichen Zweck los zu arbeiten sich im Stande sähe. Ich las in Kunckels Glasmacherkunst weiter und[297] nahm mir vor eine Übersicht dieses Werks zu geben. Die Staatsverhältnisse kamen abermals zur Sprache. Die frühere markgräfliche Regierung war dem Lande sehr günstig, auch rühmt man die preußische. Des Geldes war soviel, daß Freunde es einander zu 1 1/2 Procent borgten und 3 Procent für wucherlich angesehen wurde; die Invasion der Franzosen machte diesem utopischen Zustand ein Ende.

17. Die trüben Täfelchen gemustert und die meisten trefflich gefunden. Das Durchglühen und Abkühlen der entoptischen fortgesetzt. Schon gelang es besser. Das Gestell völlig eingerichtet. Ungünstigster Wolkenhimmel. Mittag Zustand von Kulmbach. Vorher mit dem Vater mancherley. Verhältniß der Protestanten zu den Katholiken in Bayern. Evangelische Presbyterien vorgeschlagen und abgelehnt. Fortgesetzte chemische Versuche. Berthollets Chemie. Abends für mich, vorläufig Briefe dictirt.

18. Gestrig Dictirtes korrigirt. Glastäfelchen eingepackt und sonstiges. Kam Polizeyrath Grüner und Frau, Unterhaltung mit ihm über die vergangenen Tage. Mit Fikentscher dem Vater über das Chemisch-Technische seiner verschiedenen Fabrikationen. Sämmtlich zu Tische. Mancherley dialektische Scherze mit Grüner. Erinnerung vergangener Zeiten. Die Alten können sie nicht[298] vergessen, die Jungen finden sich behaglich in's Neue. Auf den Vorwurf, daß Redwitz niemals eine Polizey gehabt, erwiederte man scherzend, daß eben deßhalb Bier, Fleisch, Brod ohne Tadel, Coffeebrödchen wie nirgends. Der Hausherr braut im December den Bedarf für's ganze Jahr und hat die Keller dazu. Chemische Bemerkungen hiebey. Fuhren ab um 4 Uhr, nahmen in Waldsassen der köstlichsten Bratwürstchen mit; vor Nacht in Eger. Meist die beste Chaussée.


1 Nachtrag. Zum 15. August 1822.

Die Glasarbeiten betreffend.


Auf dem Böhmerwald, in Südwest von Pilsen, hausen die sogenannten Freybauern, die eine Art von Selbstregiment führen. In dieser Gebirgsstrecke liegen viele Glashütten; die Menschen sind kräftig und abgehärtet, durchaus von derber, mitunter herculischer Natur, und vollbringen die höchst beschwerliche und sehr wichtige Kunst des Glasmachens. Bey ihrer sehr rauhen Erziehung gehen alle schwächliche Kinder zu Grunde, nur die tüchtigsten bleiben und leisten unglaubliche Dinge; sie blasen Walzen zu Spiegeltafeln von 4 Fuß Länge und verhältnißmäßiger Breite.[299] Die Bedingungen ihrer Gilde sind sehr streng, sie werden erst im 16. Jahr aufgenommen. Vom Lehrling zum Gesellen und Meister wird niemand gefördert, als wer das Geforderte leisten kann. Der Weg von Pilsen nach Waldmünchen geht durch ihr Revier, auch in Bayern arbeiten sie. Auf der Glashütte des Herrn Fikentscher sah ich sie mit Grausen 3 Fuß hohe Walzen zu Tafelgläsern blasen. Es war ein Mann von 70 Jahren darunter.[300]


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, III. Abteilung, Bd. 8, S. 235-236,281-301.
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