Frauenhut.

[201] Marke war aber in Freuden sehr:

Zu seinen Freuden hatte er

An seinem Weibe, der Königin,

Was nur begehrte sein Herz und Sinn;

Aber allein am Leibe:

Er hatte von seinem Weibe

Minne und Liebe keine,

Noch all der Ehren eine,[201]

Die Gott der Herr je werden ließ,

Nur daß sie in seinem Namen hieß

Eine Fraue und Königin hochgeboren,

Dazu er als König sie erkoren.

Dies nahm er alles hin für gut

Und trug ihr allen holden Muth,

Als ob er ihr viel lieb wäre.

Dies war die dumpfe schwere

Blindheit, die herzelose Nacht,

Auf die ein Sprichwort ist erdacht,

Das heißt: Blindheit der Minnen,

Die blendet außen und innen;

Sie blendet die Augen und den Sinn,

Daß die nicht wollen sehen hin,

Wenn sie auch noch so deutlich sehn.

So war dem König auch geschehen:

Er wußte es wahr wie seinen Tod

Und sah wohl, daß sein Weib Isot

Mit ihrem Herzen und Sinne

Auf seines Neffen Minne

So gänzlich war beflissen,

Und wollte es doch nicht wissen.

Wem mag man die Schuld nun geben

Um das ehrlose Leben,

Das er so mit ihr führte?

Denn wahrlich, nicht gebührte

Sich's, falscher Trügereien

Die Königin zu zeihen:

Weder sie betrog ihn noch Tristan;

Er sah es doch mit Augen an

Und wußte es ungesehn genug,

Daß sie ihm keine Liebe trug,

Und war sie ihm doch lieb ohne das. –

Warum doch, Herre, und um was

Trug er ihr inniglichen Muth?

Warum es heut noch Mancher thut:

Gelüsten und Verlangen

Muß langen und muß bangen

Und leiden, wie es ihm geschieht.


Ahi, wie viel man heut noch sieht

Und kennt sie an klaren Zeichen,

Die diesen Beiden gleichen,

Die blinder oder gleich so blind

Von Herzen und von Augen sind!

Da ist nicht nur nicht Keiner,

Da ist fürwahr manch Einer

Der Blindheit so beflissen,

Daß er das nicht will wissen,

Was ihm liegt vor den Augen feil;

Und nimmt das für das Gegentheil,

Was er wohl weiß und sehen mag.

Wer hilft ihm da und macht ihm Tag?

Wenn wir aufs Rechte schauen,

So dürfen wir die Frauen

Mit keiner Schuld hie klagen an:

Sie sind unschuldig vor dem Mann,

So sie ihn lassen mit Augen sehn,

Was sie beginnen und begehn.

Hat man die Schuld vorm Angesicht,

So ist man von dem Weibe nicht

Belistet, noch betrogen:

Da hat die Lust gezogen

Den Nacken vor die Augen gar:

Gelüst und Verlangen, das ist der Staar,

Den wir Alle zu allen Tagen

In sehenden Augen tragen.

Was man von Blindheit sagt und spricht,

So gibt's doch keine Blindheit nicht,

Die je so tief gegangen

Als Gelüsten und Verlangen.

Wie wir's auch möchten verschweigen gern,

Es ist doch ein wahres Wort, ihr Herrn:

»Schöne, das ist gehöhne.«

Die wundersame Schöne

Der blühenden Isolde,

Die blendete so holde

Den König außen und innen

An Augen und an Sinnen,

Daß er an ihr nichts konnte sehn,

Daß er sich wollte zum Hohn verstehn,

Und was er an ihr wußte,

Das Beste heißen mußte.

Daß aber die Rede beschlossen sei,

Er war ihr also gerne bei,

Daß er ihr alles übersah,

Was ihm zu Leid und Hohn geschah.


Was in dem Herzen zu jeder Frist

Versiegelt und beschlossen ist,

Wird schwer verborgen bleiben:

Man will das gerne treiben,[202]

Was in den Gedanken webet.

Das Auge, das hangt und klebet

Viel gerne an seiner Weide.

Herze und Auge beide,

Sie weiden gerne auf der Spur,

Da vormals ihre Freude fuhr,

Und wer es ihnen verleiden will,

Macht ihnen lieber noch das Spiel.

Je mehr man sie von dannen zeucht,

Je schöner sie das Spiel bedeucht

Und kleben ihm je fester an.

So thaten Isolde und Tristan:

Zuhand als ihnen das geschah,

Daß ihre Wonne und Freude da

Ihnen so mit der Hut verwahrt,

So mit Verbote benommen ward,

Da kam's zu Leid und Bangen:

Das lockende Verlangen

That ihnen erst recht wehe

Und weher noch denn ehe.

Sie sehnten sich zusammen

In bangeren Minneflammen,

Denn je geschah vor diesem Tag.

Die bergesschwere Bürde lag

Der Hut, die sie verfluchten,

Auf ihrem Muth mit Wuchten

Wie ein Bleiberg so schwer und hart.

Hut, die vom Teufel ersonnen ward,

Die Feindin aller Minne,

Nahm ihnen alle Sinne.

Isolden in ihrem Drange

War es viel weh und bange,

Tristandens Fremde war ihr Tod.

Je mehr ihr Herre ihr verbot,

Heimlich zu blicken nach ihm hin,

Je mehr ihr Gedanke und ihr Sinn

An ihn vergraben waren.

Das läßt die Hut erfahren:

Die Hut, die führt und träget,

So man sie führt und heget,

Die Hagebutte und den Dorn:

Das ist der wachsende stille Zorn,

Der Lob und Ehre versehret

Und manches Weib entehret,

Die keine Ehr verspielte,

So man sie ehrlich hielte.

So man ihr aber Unrecht thut,

So wird sie krank an Ehr und Muth:

So wird sie die Hut verkehren

Am Muth und an den Ehren.

Und doch, wie man's auch treibe,

Hut ist verloren am Weibe:

Denn hier auf Erden lebt kein Mann,

Der eine Schlimme hüten kann;

Die Gute braucht's zu hüten nicht:

Sie hütet sich selber, wie man spricht;

Und wer sie hütet noch überdem,

In Treuen, der ist ihr nicht angenehm:

Der wird das Weib verkehren

Am Leib und an den Ehren,

Und dieses leichtlich also sehr,

Daß sie ihre Sitte nimmermehr

So gänzlich wieder bringt zurecht,

Daß ihr nichts anklebt vom Geschlecht,

Das da der Hagdorn hat getragen:

Denn wenn der Wurzel hat geschlagen,

Der herbe, zu einer Stunde

In also süßem Grunde,

Da rodet man ihn mit größrem Strauß

Denn aus dem dürrsten Boden aus.


Ich weiß wohl, daß dem guten Muth,

Wenn man dem so lang Unrecht thut,

Bis er in üble Saaten schießt,

Daß dem noch ärgere Frucht entsprießt

Als dem, der immer schlimm gewesen:

So ist's, denn das hab ich gelesen.

Darum so soll ein weiser Mann,

Der ihre Ehre bedenken kann,

Nie wider Weibes guten Muth

In Heimlichkeiten andre Hut

Versuchen oder kehren,

Als Unterweisen und Lehren:

Die Sanftheit sei und Güte

Der Weg, wie er sie hüte;

Und mag er wissen mit Zuversicht:

Er hütet sie anders besser nicht;

Denn sie sei übel oder gut,

Wenn man ihr zu oft Unrecht thut,

So faßt sie leicht ein Müthelein,

Deß man gern möchte ledig sein.

Ja soll ein jeglich biderber Mann[203]

Und der je Mannes Muth gewann,

Vertrauen seinem Weibe

Und auch seinem eignen Leibe,

Daß sie jegliche Ungebärde

Ihm zu lieb lassen werde.

Wie viel man's auch beginne,

Dem Weib kann ihre Minne

Kein Mensch mit harten Dingen

Aus ihrem Herzen zwingen:

Er löscht die begehrte leichtlich auch.

Hut ist ein übler Minnenbrauch:

Sie wecket schädlichen Zorn zur Stund.

Das Weib geht gar daran zu Grund.


Auch wer Verbieten ließe sein,

Ich wähne, es würde ihm wohlgedeihn.

Das bringt bei Weibern manche Noth:

Sie thun gar manches durchs Verbot,

Dazu sie gar nichts triebe,

Wenn's unverboten bliebe.

Dieselbe Distel und der Dorn,

Weiß Gott, ist ihnen angeborn;

Die Frauen, die so geartet sind,

Sind ihrer Mutter Even Kind:

Die machte das erste Gebot zum Spott:

Ihr erlaubete unser Herre Gott

Obst, Blumen, Gras und alles gar,

Was in dem Paradiese war,

Daß sie damit begänne,

Was nur ihr Herz ersänne;

Nur Eins nicht, das er ihr verbot

Auf ihr Leben und ihren Tod

(Die Pfaffen wollen lesen,

Die Feige sei's gewesen):

Das übertrat sie mit Einem Schritt

Und verlor sich selber und Gott damit.

Es ist auch noch mein fester Wahn,

Eve hätte es nie gethan,

So sie nicht das Verbot empfing.

Das erste Werk, das sie beging,

Damit so baute sie ihre Art

Und that, was ihr verboten ward.

Und wenn man's recht betrachtet,

So hätte sie leicht verachtet

Das Eine Obst von allen:

Sie konnte doch nach Gefallen

Mit den anderen vielen

Frei und genüglich spielen.

Sie aber wollte keins als das,

Daran sie auch all ihre Ehre aß.


So sind sie, alle Even Kind,

Die alle nach Even geevet sind.

Ja, wem ein Verbot zustände,

Wie viel man noch heute fände

Der Even, die dem Verbot zum Spott

Von sich selber ließen und von Gott!

Nun ihre Art das mit sich bringt

Und ihnen aus der Natur entspringt,

So liegt, wenn's eine sich abthun kann,

Da liegt viel Lob und Ehre dran.

Denn welch Weib artet wider Art

Und gern wider ihre Art bewahrt

Ihr Lob, ihre Ehre und ihren Leib,

Die ist von Namen nur ein Weib

Und ist ein Mann von Muthe:

Der soll man auch zu Gute,

Zu Lobe und zu Ehren

All ihre Sachen kehren.

Denn wo das Weib den Weibermuth

Und das Weiberherze von sich thut

Und artet sich dem Manne,

Da honiget die Tanne,

Balsamt das Kraut, das Schierling bringt,

Die Wurzel, draus die Nessel springt,

Trägt Rosen ob der Erden.


Was mag auch immer werden

So Reines an dem Weibe,

Als daß sie gegen dem Leibe

Mit ihrer Ehre fechte

Und jedem thu nach Rechte,

Dem Leibe so wie der Ehren?

Sie soll den Kampf so kehren,

Daß sie den beiden ihr Recht anthu

Und sehe jedem also zu,

Daß nie das andere dabei

Versäumet oder verkümmert sei.

Es ist wahrlich kein biderbes Weib,

Die ihre Ehre um ihren Leib,

Ihren Leib um ihre Ehr versäumt,

So es ihr doch ist eingeräumt,

Beides davonzutragen:[204]

Sie soll sich's keins entschlagen,

Soll sie behaupten beide

Mit Liebe und mit Leide,

Wie je das Loos ihr falle.

Weiß Gott, sie müssen alle

In ihrer Würde steigen hie:

Mit schwerer Arbeit sollen sie

Ans goldne Maß ihr Leben

Befehlen und ergeben,

Die Sinne damit regieren

Und Leib und Sitte zieren;

Denn Maß, das goldne, hehre,

Das hehret Leib und Ehre.


Von allen Dingen auf dieser Welt,

Die je der Sonne Licht erhellt,

Ist keins so selig wie das Weib,

Die stets ihr Leben und ihren Leib

Und ihre Sitten dem Maß ergibt,

Sich selber ehret und sich liebt;

Und all die Weile und all die Frist,

Daß sie ihr selber willkommen ist,

So ist es billig auch dabei,

Daß sie der Welt willkommen sei.

Die ihrem Leib zuwider thut,

Die so bestellet ihren Muth,

Daß sie ihr selbst muß grollen,

Wer wird die minnen wollen?

Die da sich selbst entehret

Und das der Welt bewähret,

Was Liebe oder was Ehren

Soll Jemand an die kehren?

Man löschet das Verlangen,

Das schon ist aufgegangen,

Und will das wesenlose Leben

An ein gehehrtes Wesen geben.

Nein, nein, das ist nicht Minne, nein,

Das muß der Minne Feindin sein,

Die aller Ehren bloße,

Die böse, zügellose:

Die fördert Weibes Würde nicht,

Nach dem Sprichwort, das da Wahrheit spricht:

»Die Manchem Minne sinnet,

Die ist Manchem ungeminnet.«

Die darauf stellt die Sinne,

Daß alle Welt sie minne,

Die minne zuerst sich selber nur

Und zeige der Welt der Minne Spur:

Ist es der echte Minnentritt,

Alle die Welt, die minnet mit.


Ein Weib, die ihre Weiblichkeit,

Sich selbst besiegend, dazu weiht,

Daß sie der Welt gefalle,

Die soll die Welt auch alle

Zieren, würden und schönen,

Täglich blümen und krönen

Mit Lob und hohen Ehren,

Ihre Ehre mit ihr mehren:

Zu wem sie mag sich neigen,

Wem sie gar wird zu eigen

Mit Leib und Herz und Sinne,

Mit Liebe und mit Minne,

Der ward zum Heil geboren,

Ja, der ist auserkoren

Zu lebendem Heil je mehr und mehr.

Das lebende Paradies hat Der

In seinem Herzen begraben;

Der darf keine Sorge haben,

Daß ihn der Hagbusch fange,

So er nach den Blumen lange,

Daß ihn der Dorn je steche,

So er die Rosen breche.

Da ist kein Hagbusch und kein Dorn,

Da ist dem Kind der Distel, Zorn,

Kein Lehen zubeschieden;

Da hat der rosige Frieden

Alle, was Herbe und Zorn bedeutet,

Dorn, Distel, Hagbusch, ausgereutet.

In diesem Paradiese

Ist nichts, was giftig sprieße,

Da grünt, noch wächst kein ander Kraut,

Als was das Auge gerne schaut.

Es steht gar in der Blüthe

Weiblicher Huld und Güte.

Da ist kein Obst darinne,

Als Treue nur und Minne,

Ist Ehre nur und Würde da.


In solchem Paradiese, ja,

Das so voll Freud ohn Ende

Und so gemaiet stände,[205]

Da könnte wohl ein seliger Mann

Seines Herzens Freude schauen an

Und seiner Augen Wonne sehn.

Was wäre auch anders Dem geschehn

Als Isolden und Tristanden?

Und wer mir folgte zuhanden,

Der dürfte sein Leben geben

Um keines Tristans Leben:

Denn wahrlich, ein rechtschaffen Weib,

Wem die sich ergibt mit Ehr und Leib

Und beides in seine Hände legt,

Ah, wie sie ihn dann von Herzen pflegt!

Wie hat sie ihn in so süßer Pflege!

Wie hält sie alle seine Wege

Von Distel frei und Dorne,

Von allem sehnenden Zorne!

Wie wahrt sie ihn vor Herzenoth,

So gut als ihren Freund Isot!

Und halt' ich wahrlich auch dafür:

So Einer suchte mit Gebühr,

Wie man wohl soll nach Golde,

Es lebte noch manche Isolde,

An der man gar alles fände,

Was man zu suchen verstände.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 201-206.
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