Scheiden und Meiden.

[206] Wir müssen zur Hut zurückekommen.

Den Gelieben, wie ihr habt vernommen,

Isolden und Tristanden,

Die das Verbot empfanden,

That diese Hut so innig weh,

Daß sie noch fleißiger denn je

Auf ihren Willen dachten,

Bis sie ihn auch vollbrachten

Zu ihrem ganzen Leide:

Davon gewannen Beide

Groß Leid und tödtliche Klage.


Es war einst am Mittage,

Die Sonne schien, und leider sehr,

Daß auch verbrannte ihre Ehr.

Da schien zwiefältiger Sonnenschein

Der Königin in ihr Herz hinein

Und verbrannte ihre Sinne,

Die Sonne und die Minne:

Der sehnende Muth, die heiße Zeit,

Die quälten sie im Widerstreit.

Nun wollte sie dem Kampfe,

Dem Muth und dem Sommerdampfe,

Mit einer Kunst entspringen

Und fiel recht in die Schlingen.

Sie ging zu dem Baumgarten hin,

Nach ihrer Wonne zu trachten drin,

Und suchte allda Schatten,

Der ihr käme zu Statten

Und hielte ihre Hilfe und Schirm bereit,

Da Kühle wäre und Einsamkeit.

Und allzuhand daß sie den fand,

Hieß sie ein Bette dar zuhand

Gar schön und reichlich machen

Mit Decke und mit Leilachen:

Da wurde Purpur und Bliant

Und königliches Bettgewand

Ueber das Bett gespreitet.

Nun daß dies war bereitet

Meisterlich aus dem Grunde,

Da legte sich la blunde

In ihrem Hemd, die Schöne, drein.

Die Jungfraun hieß sie insgemein

Entweichen aus dem Garten

Und nur Brangänen warten.


Tristanden ward entboten,

Daß er käme zu Isoten

Und wiche um nichts von seinem Pfad.

Nun that er recht, wie Adam that:

Das Obst, das ihm seine Eve bot,

Das aß er und mit ihm den Tod.

Er kam. Da ging Brangäne fort

Und setzte sich zu den Frauen dort,[206]

So bang und schwer im Herzensgrund.

Den Kämmerern sie gebot zur Stund,

Die Thüren all zu schließen,

Und daß sie Niemand ließen,

Den sie nicht hieße lassen ein.

Man schloß die Thüren insgemein;

Und als Brangäne niedersaß

Da bedachte sie aber das

Und beklagt' es in ihrem Muth,

Daß keine Furcht und keine Hut

An ihrer Frauen was verfing.


Unter diesen Gedanken ging

Der Kämmerer einer für die Thür

Und stand auch nicht so bald dafür,

Da ging der König gegen ihm her

Und fragte nach der Königin sehr

Mit ungeduldiger Rede.

Nun sprach der Fräulein jede:

»Sie schläfet, Herr, ich wähne.« –

Die versunkene Brangäne

Fuhr auf und schwieg, im Herzen krank,

Das Haupt ihr auf die Schulter sank,

Hände und Herz entfielen ihr.

Der König sprach aber: »Nun saget mir,

Wo schläfet sie, die Königin?« –

Sie wiesen ihn zum Garten hin,

Und Marke kehrte hin zuhand,

Da er sein Herzeleid erfand:

Weib und Neffen, die fand er

Mit Armen in einander

Gestrickt, wie Schlang und Schlange,

Ihre Wange an seiner Wange,

Ihr Mund an seinem Munde.

Was ihm da kam zur Kunde,

Was ihn die Decke sehen ließ,

Was sich außerhalb der Tücher wies

Dort an dem obern Ende,

Da sah er Arme und Hände,

Sah Brust und Schulter beide

So nahe zu seinem Leide

Gedränget und geschlossen,

Und wäre ein Werk gegossen

Von festem Erz, von Golde schwer,

Man fände nie und nimmermehr

Einen bessern Fug und Schluß darin.

Herr Tristan und die Königin

Schliefen in süßem Glühen,

Weiß nicht, nach welchen Mühen.


Der König, da er sein Ungemach

So offen sah und seine Schmach,

Da kam ihm erst von Grunde

Sein Herzeleid zur Kunde.

Nun war das Aug ihm aufgethan,

Hin war der Zweifel und der Wahn,

Die er eh bekriegen mußte;

Er wähnte nicht, er wußte:

Ja, weß er je zuvor begehrt,

Das war ihm alles nun gewährt.

In Treuen aber, es ist mein Wahn,

Ihm hätte da viel baß gethan

Ein Wähnen, denn ein Wissen.

Weß er je war beflissen,

Zu kommen von der Zweifelnoth,

Das war ihm nun sein lebender Tod.

So ging er still von dannen:

Seinen Rath und seine Mannen,

Die nahm er zu sich an der Stund,

Hub an und machte ihnen kund,

Daß ihm verkündigt wäre

Für eine wahre Märe,

Herr Tristan und die Königin

Die wären bei einander drin:

Sie sollten Alle mit ihm dar

Und sollten nehmen der Beiden wahr,

Daß, so man's also fände dort,

Man ihm die Beiden alsofort

Zu Recht und Gerichte stellte,

Wie's nach dem Landrecht gelte.


Nun war das nicht so schier geschehn,

Daß er sich wandte vom Bett zu gehn

Und war davon noch gar nicht fern,

Da erwachte Tristan, sah den Herrn

Vom Bette gehn. Da sprach Tristan:

»Ach, Gute, was habt Ihr gethan,

Getreuliche Brangäne?

Weiß Gott, Brangäne, ich wähne,

Dies Schlafen geht uns an den Leib.

Isolde, erwachet, armes Weib,

Erwachet, Herzenskönigin mein!

Ich wähne, wir müssen verrathen sein.« –[207]

»Verrathen,« sprach sie, »Herre, wie?« –

»Mein Herre, der stund ob uns hie:

Er sah uns Beide, und ich sah ihn.

Er geht von uns jetzo dahin,

Und zwar verseh ich mich so viel,

Daß er mir an das Leben will:

Er will zu diesen Dingen

Helfer und Zeugen bringen:

Sein Werben geht auf unsern Tod.

Herzensfraue, schöne Isot,

Nun müssen wir uns scheiden

So jähe, daß uns Beiden

So gut auf dieser Erden

Nimmer wird, nimmer werden.

Nun nehmet in Eure Sinne,

Wie lauterliche Minne

Wir haben gehalten bis zur Stund:

Seht, daß die bleibe auf festem Grund;

Laßt mich aus Eurem Herzen nicht,

Denn, was dem meinen je geschicht,

Daraus so kommt Ihr nimmer:

Isolde, die muß immer

In ihres Tristans Herzen sein.

Nun sehet, Herzensfreundin mein,

Wie mich verzehrt die Ferne,

Die Fremde von meinem Sterne.

Vergesset mein in keiner Noth!

Süße Freundin, schöne Isot,

Gebietet mir und küsset mich.«


Sie trat ein wenig hinter sich.

Mit Seufzen sprach sie zu ihm hin:

»Ach, Herre, unser Herz und Sinn,

Die waren ja viel zu lange

Von Einem Erz und Klange,

Als daß sie sollten lernen,

Was Fremden und Entfernen,

Und lernen, was Vergessen sei.

Ihr sei't mir fern oder nahe bei,

So soll doch in dem Herzen mein

Kein Leben und nichts Lebendes sein,

Denn Tristan, mein Leib und mein Leben.

Herre, ich hab Euch nun lang ergeben

Beide mein Leben und meinen Leib:

Nun sehet, daß kein ander Weib

Mich jemals von Euch scheide:

Wir sollen uns immer Beide

In der Liebe und in der Treuen

Stetigen und erneuen,

Die lange und also lange Frist

So rein an uns gewesen ist.

Und nehmet hin dies Ringelein:

Das lasset Euch ein Denkmal sein

Der Treuen und der Minne,

So Ihr je Eure Sinne

In der Ferne dazu gewinnet,

Daß Ihr eine Andre minnet,

Daß Ihr gedenket mein dabei,

Wie meinem Herzen jetzo sei.

Gedenket an dies Scheiden,

Wie nah es geht uns Beiden

An Leib und Herz mit bittrem Streit.

Gedenket mancher schweren Zeit,

Die ich um Euretwillen sah,

Und laßt Euch Niemand mehr so nah

Wie Eure Freundin Isolde sein.

Um keine Seele vergesset mein:

Wir Zwei, wir haben Lieb und Leid

So herzlicher Geselligkeit

Getragen bis auf diesen Tag,

Daß es uns billig dünken mag,

Wir tragen sie fort bis an den Tod.

Herre, es wäre ohne Noth,

So ich Euch weiter mahnen wollt:

Wenn je mit ihrem Freund Isold

Ein Herze war und Eine Treu,

So ist es immer frisch und neu,

Muß immer auf Einem Grunde ruhn.

Doch will ich eine Bitte thun,

Nach welchem End und Land Ihr fahrt,

Daß Ihr Euch, meinen Leib, bewahrt:

Denn wenn ich deß verlustig bin,

So bin ich, Euer Leib, dahin.

Mich aber, Euren Leib, will ich,

Um Euretwillen, nicht um mich,

In Fleiß und schöne Hut ergeben;

Denn Euer Leib und Euer Leben,

Das weiß ich wohl, das liegt an mir:

Ein Leib und Leben sind ja wir.

Nun gedenket treulich zu jeder Frist

Isoldens, die Euer Leben ist.

Laßt mich an Euch mein Leben sehn,[208]

So es aufs schierste kann geschehn,

Und seht das Eure auch an mir:

Unser Beider Leben, das führet Ihr.

Nun gehet her und küsset mich:

Tristan und Isolde, Ihr und ich,

Wir Zwei sind immer Beide

Ein Wesen in Lieb und Leide.

Der Kuß soll ein Insiegel sein,

Daß ich Euer sein soll und Ihr mein

In Stete und Treue bis an den Tod,

Nur Ein Tristan und Eine Isot.«


Nun daß versiegelt war dies Wort,

Da ging Tristan des Weges fort

Mit Jammer und mit mancher Noth.

Sein Leib, sein ander Leben, Isot,

Verblieb mit manchem Leide:

Die Spielgesellen beide

Die waren noch geschieden nie

Mit solcher Marter als wie hie.


Hiemit war auch der König kommen,

Der hatte ein Heer mit sich genommen

Und eine Schaar Hofräthe.

Sie kamen aber zu späte:

Sie fanden nur die Königin,

Die lag mit gedankenvollem Sinn

Im Bette wieder wie vorher.

Nun daß der König da Niemand mehr

Als seine Isolde alleine fand,

Da nahm sein Rath ihn allzuhand

Und führte ihn auf die Seite hin:

»Herre König,« sprachen sie, »hierin

Mißthut Ihr aber gewaltig sehr,

Daß Ihr Euer Weib und Eure Ehr

Zu also manchen Stunden

Wollet haben erfunden

In Dingen schimpflichen Bezichts

Gar ohne Noth und gar um nichts.

Ihr hasset Ehre zumal und Weib

Und allermeist Euren eignen Leib.

Wie möget Ihr immer werden froh,

Dieweil Ihr Eure Freude so

An Eurem Weib verkehret,

Sie verredet und vermäret

Am Hof und über das ganze Land,

Und habt an ihr doch nichts erkannt,

Das wider ihre Ehren sei.

Was messet Ihr der Königin bei?

Was fälschet und machet Ihr Die gering,

Die nie kein Falsch an Euch beging?

Herre, bedenket Eure Ehr

Und thut dergleichen nimmermehr:

Vermeidet sogethanen Spott

Um Euretwillen und um Gott.«

So nahmen sie ihn mit Reden hin,

Bis daß er folgte ihrem Sinn

Und aber seinen Zorn verstieß

Und alles ungerochen ließ.


Tristan zur Herberg eilends kam,

Sein Ingesind er alles nahm

Und zog mit ihnen in vollem Trab

Wohl gegen den Hafen bald hinab.

Das erste Schiff, das er da fand,

Das nahm er und stieß ab vom Land

Und fuhr hinüber zur Normandie

Mit seiner ganzen Massenie.

Nun blieb er aber nicht lange dort,

Denn sein Gemüthe trieb ihn fort,

Auf daß er suchte nach einem Leben,

Das Trost ihm könnte in Trauer geben

Und frischen Lebenszunder.

Hie merket aber Wunder:

Tristan floh Widrigkeit und Leid

Und suchte Leid und Widrigkeit:

Er floh vor Marken und dem Tod

Und suchte doch die Todesnoth,

Die Herzenstod ihm drohte,

Die Ferne von Isote.

Was half's, daß er vorm Tode floh,

Und zog dem Tod entgegen so?

Was half's, daß er von Kornwall schied

Und seine Herzensqual vermied,

Da sie ihm dennoch Nacht und Tag

Allstündlich auf dem Rücken lag?

Das Weib erhielt er an dem Leben,

Und seinem Leben war vergeben:

Das war verwettet an das Weib.

Ihm an dem Leben und an dem Leib

Brachte nichts Lebendes den Tod,

Als nur sein bestes Leben, Isot:

So war er umrungen von Noth und Tod.[209]

Nun dachte er, sollt ihm diese Noth

Jemals auf dieser Erden

So weit erträglich werden,

Daß er je möchte davon genesen,

So müsse er Ritterschaft erlesen.


Nun war eine Landesmäre,

Daß großer Orlog wäre

Hie in den deutschen Landen.

Dies sagte man Tristanden.

Alsbald zur Champagne kehrte er

Und fuhr von dannen gen Deutschland her.

Da diente er so zu Lohne

Dem Scepter und der Krone,

Daß nie das römische Reich gewann

Zu seinem Banner einen Mann,

Der je ward also sagenhaft

Von seiner mannlichen Ritterschaft.

Groß Glück und groß Gelingen

In allen mannlichen Dingen

Und Abenteuer erwarb er viel,

Der ich nicht aller erwähnen will:

Denn wollte ich seine Thaten all,

Die man besungen hat mit Schall,

Herzählen an den Händen,

Die Märe würde nicht enden.

Die Fabeln, die hierunter sind,

Die muß ich werfen in den Wind.

Es wird mit der Wahrheit schon allein

Genug der Mühe und Arbeit sein.


Tristandens Leben und sein Tod,

Sein lebender Tod, die schöne Isot,

Die war in Gram verblieben.

Des Tags, da sie ihrem Lieben

Und seinem Kiele schaute nach,

Daß ihr das Herze da nicht brach,

Das schuf sein Leben, das ihr lieb:

Das half, daß sie am Leben blieb;

Sie konnte Leben, noch Sterben

Ohne ihn nicht erwerben.

Beides war ihr mit Gift vergeben:

Sie konnte nicht sterben und auch nicht leben.

Ihrer viel lichten Augen Licht,

Das machte sich selber gar zunicht

Oft und zu mancher Stunde.

Die Zunge in ihrem Munde,

Die schwieg ihr oft zu ihrer Noth.

Da war kein Leben und kein Tod,

Und waren doch da beide.

Sie waren aber von Leide

So rechtlos, so des Wesens bar,

Daß ihr eins wie das andre war.

Da sie das Segel fliegen sah,

Sprach bei sich selber ihr Herze da:


»O weh, oh weh, mein Herr Tristan,

Nun klebt Euch all mein Herze an,

Nun ziehen Euch meine Augen nach,

Und ist Euch doch von mir so jach.

Was eilet Ihr so jach von mir?

Nun weiß ich doch viel wohl, daß Ihr

Von Eurem Leben ziehet,

Wenn Ihr Isolden fliehet;

Denn Euer Leben, das bin ich.

Ihr vermögt nicht leichter ohne mich

Zu leben einen einzigen Tag,

Denn ich zu leben ohn Euch vermag.

Unser Leib und Leben sind fürwahr

Verschlungen also wunderbar,

Sind so verstrickt mit Herz und Sinn,

Daß Ihr mein Leben führet hin

Und lasset mir das Eure hie.

Zwei Leben waren auf Erden nie

Gemischt, wie diese sich verweben.

Wir Zwei, wir haben Tod und Leben,

So ich an Euch, als Ihr an mir:

Denn unser Keines, ich noch Ihr,

Kann anders Leben oder Sterben

Als von dem Andern je erwerben.

Hiemit schwebt eure arme Isot

Zwischen Leben und zwischen Tod.

Ich kann nicht aus und kann nicht ein.


Nun, Tristan, lieber Herre mein,

Seit daß Ihr mit mir allezeit

Ein Leib und auch Ein Leben seid,

So sollt Ihr mir auch Lehre geben,

Daß ich behalte Leib und Leben

Zum Ersten Euch und darnach mir.

Nun lehret an. Was schweiget Ihr?

Uns wäre guter Lehre Noth.[210]

Was rede ich sinnenlose Isot?

Tristandens Zunge und mein Sinn,

Die fahren dort mit einander hin.

Isoldens Leib, Isoldens Leben,

Die sind befohlen und ergeben

Den Segeln und den Winden.

Wo mag ich mich nun finden?

Wie mag ich mich nun suchen, wie?

Nun bin ich dort und bin auch hie,

Und bin doch weder hie noch dort.

Wer war so ohne Ziel und Ort,

Wer war auch so zertheilet je?

Ich sehe mich dort auf jener See

Und bin am Land zuhanden.

Ich fahre dort mit Tristanden

Und sitze hie bei Marke;

Da kriegen an mir zween starke,

Zween giftige Feinde, Tod und Leben:

Mit diesen zwein ist mir vergeben.

Ich stürbe gerne, könnte ich;

Nun aber hält und bannt er mich,

An dem mein Leben behalten ist.

Nun kann ich auch zu dieser Frist

Wohlleben weder ihm noch mir,

Seit ich ohn ihn muß leben hier.

Er läßt mich hie und fährt er hin,

Und weiß wohl, daß ich ohn ihn bin

Recht innerhalb des Herzens todt.


Weiß Gott, dies rede ich ohne Noth:

Mein Leid ist doch gemeinsam:

Ich trage es ja nicht einsam;

Es ist sein also viel, wie mein,

Und wähne, es ist noch viel mehr sein.

Sein Jammer und Schmerz, ich meine,

Ist größer denn der meine.

Das Scheiden, das er von mir thut,

Beschweret mir das meinen Muth,

Beschwert's ihm noch den seinen mehr.

Thut mir das weh im Herzen sehr,

Daß ich ihn bei mir misse hier,

So thut's ihm weher noch denn mir;

Klage ich ihn, so klagt er mich.

Und klagt er doch nicht mit Recht wie ich:

Ich will mir wohl zu Rechte sagen,

Daß ich dem Trauern und dem Klagen

Mich um Tristanden soll ergeben:

Viel billig, denn er ist mein Leben;

Dagegen ich, ich bin sein Tod:

Darum so klagt er ohne Noth.

Er mag wohl gerne von mir fahren,

Seine Ehr und seinen Leib bewahren:

Denn sollte er lange bei mir sein,

So könnte er nimmermehr gedeihn.

Drum soll ich sein entbehren:

Mag es mich auch beschweren,

Er soll mir zu Gefallen

Nicht in Gefahren fallen.

Mit welcher Noth ich sein entbehr,

Mir ist doch lieber viel, daß er

Gesunden Leibes von mir sei;

Denn daß er mir also wäre bei,

Daß ich mich deß versähe,

Daß ihm Schade bei mir geschähe:

Denn, weiß Gott, wer zu seinem Frommen

Will mit des Freundes Schaden kommen,

Der trägt ihm kleine Minne.

Was Schaden ich drum gewinne,

Ich will ja gern, ohn seine Pein

Und Schaden, Tristans Freundin sein;

Daß es ihm wohl und lieb ergeh,

Will ich ruhig tragen all mein Weh;

Ich will mich gerne zwingen

In allen meinen Dingen,

Daß ich mich mein und sein begebe,

Damit er mir und ihm selber lebe.«

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 206-211.
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