Tristans Schwertleite.

[51] So griffen der Marschall und Tristan

Ihr Wesen wohlbedächtig an

Nach dem, wie ihre Sache stand.

Sie erwarben Harnisch und Gewand

Innerhalb dreißig Tagen,

Dreißig Rittern zu tragen,

Die sich der höfische Tristan

Zu Gesellen wollte nehmen an.


Wer mich nun fragt nach deren Kleid

Und seiner Kunst und Zierlichkeit,

Wie das zuwege ward gebracht,

Da bin ich dessen kurz bedacht

Und sag ihm's nach der Märe;

So es aber anders wäre,

Mag er meine Rede schlagen

Und mag er's besser sagen.

Es war bereitet ihr Gewand

Aus reichen Stoffen viererhand,

Und waren die Viere insgesamt

Jegliches reich in seinem Amt.

Das Eine, das war hoher Muth,

Das Andre, das war volles Gut,

Klugheit das Dritte, wie ich las,

Die schnitt die Beiden zu mit Maß;

Höfischer Sinn das Vierte war,

Der bot den Faden für alle dar.

So thaten die Vier zu Preise.

Ihr Werk in ihrer Weise:

Der hohe Muth begehrte,

Das volle Gut gewährte,

Klugheit gab an, schnitt zu, verband,

Der Sinn vollbrachte das Gewand,

Den Zeug und Schmuck der Recken,

Speerfähnlein, Pferdedecken

Und anderes Turniergeräth,

Worin die Ritterschaft besteht,

Und was das Roß und was den Mann

Als ritterlich erproben kann:

Alles war reich und königlich,

Also daß auch kein König sich

Des Zeuges durfte schämen,

Das Schwert darin zu nehmen.


Nun die Gesellen sind bereit

Mit wohlgemeßner Kostbarkeit,

Wie fahe ich meine Rede an,

Daß ich den werthen Held Tristan,

Meinen Hauptmann, zur Schwertleite

So rüste und bereite,

Daß es der Märe bekäme

Und man es gern vernähme?

Ich weiß nicht, wie ich's sage,

Ob es euch wohl behage,

Und ob es schön zur Märe steh:

In meinen Tagen und auch eh

Hat man die Worte so wohl gestellt

Von aller Herrlichkeit der Welt,

Von reichem Geräthe, großer Zier,

Hätt ich der Sinne zwölfe hier,

Davon ich habe nur einen,

Und könnte sie vereinen,

Und trüge ich zur Stunde

Zwölf Zungen in diesem Munde

Und könnte mit einer jeden

Also sprechen und reden,

Als ich's mit meiner Einen kann,

Ich wüßte es nicht zu fangen an,

Wie ich so Gutes sänge

Von Pracht und von Gepränge,

Das nicht wär baß gethan vorher.

Ja, ritterlich Gewand und Wehr

Ist also viel beschrieben,

Mit Reden so zertrieben,

Daß ich davon nichts reden kann,

Da sich ein Herz erfreue dran.


Herr Hartmann von der Auen,

Ah, der kann Mären bauen

Und kann sie außen und innen

Mit Worten und mit Sinnen

Durchfärben und durchschmücken!

Wie seine Reden zücken[52]

Recht auf der Aventüre Sinn!

Wie fließen rein und lauter hin

Seine krystallene Wörtelein!

Sie sind's und mögen es immer sein!

Sie treten sittig zu dem Mann

Und schmiegen sich dem Herzen an

Und heimeln Einem reinen Muth.

Wer gute Rede kann für gut

Verstehn und recht erfassen,

Muß Dem von Aue lassen

Sein Reis und seinen Lorbeerkranz.

Auf der Worthaide wer den Tanz

Will machen mit dem Hasen,

Hoch springen und weit grasen,

Mit Worten würfeln, wie's Gott beschert,

Und, unsrer Stimmen unbegehrt,

Wahnhoffnung zu dem Kranze fassen,

Der möge uns nur den Wahn belassen,

Wir wollen auch bei der Wahl nicht fehlen.

Wir, die die Blumen helfen wählen,

Mit denen dieses Ehrenreis

Durchflochten ist in Blumenweis,

Wir wollen wissen, was er begehr!

Wer es auch sei, er trete her

Und stecke seine Blumen dar:

So nehmen wir an den Blumen wahr,

Ob sie so schön am Kränzlein sehn,

Daß wir's ihm müssen zugestehn

Und Dem von Aue herunterziehn.

Nun aber Keiner noch erschien,

Dem's besser stünde, zu dieser Frist,

Helf Gott, so lassen wir's, wo es ist.

Das Reis, das darf uns Keiner haschen,

Seine Rede sei denn wohl gewaschen

Und eben jedes Wort und schlicht,

Daß Keiner den Hals darüber bricht,

Der schön und aufrecht auf dem Plan

Mit ebenen Sinnen kommt heran.

Die aber in Mären wildern

Und wilde Mären bildern,

Mit Riegel und Ketten klirren,

Kurze Sinne verwirren

Und Gold von schlechten Sachen

Den Kindern können machen,

Die Büchsen schwingen und rütteln,

Statt Perlen Staub draus schütteln,

Die sind's! Vom Strunke kommt ihr Schatte,

Und nicht vom grünen Lindenblatte;

Die schirmen uns nicht mit Laub und Aesten.

Ihr dürrer Schatte thut den Gästen

Viel selten in den Augen wohl.

Wenn man die Wahrheit sagen soll,

Daran erwarmet keine Brust,

Darin liegt keine Herzeluft,

Ihre Rede hat die Farbe nicht,

Die edlen Herzen dünket licht.

Dieselben wilden Jäger,

Sie müssen Wortausleger

Mit ihren Mären lassen gehn:

Wir können sie nicht so verstehn

Mit Augen und mit Ohren;

Auch ist die Zeit verloren,

Daß man im schwarzen Buche

Nach Noten und Glossen suche.


Noch sind der Farbenmeister mehr:

Bliker von Steinach tritt einher

Mit Worten, lust- und wundersamen.

Die stickten Frauen an dem Rahmen

Von Gold und auch von Seiden;

Man konnte sie überkleiden

Mit griechischen Borten.

Er hat den Preis von Worten:

Sein Sinn, der ist so rein und klar,

Ich wähne, daß ihn wunderbar

Feien haben gesponnen

Und ihn in ihrem Bronnen

Geläutert und geweihet:

Er ist fürwahr gefeiet.

Seine Zunge mit den Harfensaiten,

Die hat zwo ganze Vollkommenheiten:

Das sind die Worte und der Sinn;

Die Zwei, die harfen zusammen hin

Und folgen ihrer Märe Gang

Zu seltnem Preise mit Einem Klang.

Der Rede Meister, sehet dort,

Mit sinnreich ausgedachtem Wort,

Wie er am Umhang Wunder bringt,

Wie ihm der Messerwurf gelingt

Mit wohlgefügten Reimen!

Wie kann er Reime leimen,

Als wären's einander gewachsen an![53]

Fürwahr, es ist und bleibt mein Wahn,

Er müsse Buch und Schriftbuchstaben

Für Federn angebunden haben,

Denn, wollt ihr seiner nehmen wahr,

Seine Worte, die schweben gleich dem Aar.


Wer nun? Es sind doch viel gewesen,

An Rede reich, von Sinn erlesen.

Wen soll ich auferwecken?

Heinrich von Veldecken,

Der sprach aus ganzem Sinne!

Wie sang er wohl von Minne!

Wie schön er meiselte seinen Sinn!

Ich wähne, daß er die Weisheit hin

Vom Born des gefiederten Rosses nahm,

Von dem die Weisheit alle kam.

Ich hab ihn selber nicht geschaut:

Es geben aber die Besten laut,

Die noch zu seinen Jahren

Und seither Meister waren,

Ein Zeugniß ihm und einen Preis:

Er impfete das erste Reis

In unsrer deutschen Zungen;

Davon sind Aeste entsprungen,

Von denen die Blumen kamen,

Daraus die Meister nahmen

Den Sinn zu schönem Funde;

Und ist dieselbe Kunde

So mannigfach verbreitet,

Von Gau zu Gau geleitet,

Daß Alle, die nun sprechen,

Die höchsten Kränze brechen

Von Blumen und von Reisen

An Worten und an Weisen.


Der Nachtigallen, der sind viel,

Von denen ich nun nicht reden will:

Sie gehören nicht zu dieser Schaar.

Damit geb ich nichts andres dar,

Als was ich immer sagen muß:

Sie können alle ihren Gruß

Und singen wohl zu Preise

Ihre süße Sommerweise.

Ihr Ton ist lauter und ist gut,

Sie geben der Welt einen hohen Muth

Und thun so recht dem Herzen wohl.

Die Welt, die würde stumpf und hohl

Und käme außer allen Schwang

Ohne den lieben Vogelsang;

Der mahnet und mahnet einen Mann,

Der je zu Freuden Muth gewann,

An alles Gute und Liebe

Und spielt mit manchem Triebe,

Der edlen Herzen sanfte thut.

Das wecket freundlich holden Muth;

Hievon kommt inniglicher Drang,

Wenn spricht der süße Vogelsang,

Der Welt von ihren Freuden allen.

Nun saget von den Nachtigallen:

Die sind zu ihrem Amt bereit

Und können alle ihr sehnend Leid

So wohl besingen und besagen:

Welche soll denn das Banner tragen,

Seit die von Hagenaue,

Der ganzen Schaar Leitfraue,

Die aller Töne höchsten Fug

Versiegelt auf der Zungen trug,

Der Welt also verstummet ist?

An die gedenk ich zu jeder Frist.

Ich wähne von ihren Tönen,

Den süßen und den schönen,

Daß wohl des Orpheus süßer Mund,

Dem alle Töne waren kund

(Davon er ihr bescherte

Und sie das Wunder lehrte

So mancher Wandelungen),

Aus ihrem Mund erklungen.


Seit man nun diese nicht mehr hat,

So gebt uns aber einen Rath,

Ein frommer Mann, der leg ihn dar:

Wer leitet nun die liebe Schaar?

Wer weiset dies Gesinde?

Ich wähne, daß ich sie finde,

Die nun das Banner führen soll:

Ihre Meisterin, die kann es wohl,

Die von der Vogelweide.

Hei, was die über die Haide

Mit hoher Stimme klinget!

Was Wunder sie uns bringet!

Wie fein sie organiret,

Ihr Singen moduliret!

Ich meine aber in dem Ton,[54]

Der klinget von jenem Berg und Thron,

Da, wo die Göttin Minne

Gebietet drauf und drinne.

Die ist bei Hofe Kämmererin:

Die soll sie leiten fürohin;

Die weiset sie nach Wunsche wohl,

Die weiß wohl, wo sie suchen soll

Der Minnen Melodieen.

Sie und die mit ihr ziehen,

Die mögen also singen,

Daß sie zu Freuden bringen

Ihr Trauern und ihr sehnendes Klagen:

Und das gescheh noch in meinen Tagen!


Nun hab ich aber Worte gnug

Von guter Leute Schick und Fug

Gefügen Leuten hergereiht;

Und noch ist Tristan unbereit,

Und weiß ich zur Schwertleite

Nicht wie ich ihn bereite:

Der Sinn will nimmermehr dazu,

Und die Zunge weiß nicht, was sie thu

Allein und ohne des Sinnes Rath,

Von dem sie ihr Amt zu Lehen hat.

Was aber wirre den Beiden,

Deß will ich euch bescheiden


Die Zwei hat das geirret,

Was tausend Andern wirret:

Dem Mann, der nicht wohl reden kann,

Kommt dem ein redereicher Mann,

So erlischet ihm zur Stunde,

Auch was er kann, im Munde.

Ich wähne, das sei mir geschehen:

Ich seh und hab allhier gesehen

So manchen wohlberedten Mann,

Daß ich nicht also reden kann

(Es wäre dawider nur ein Wind),

Wie dieser Leute Reden sind.

Man redet jetzt so recht und wohl,

Daß ich mit großem Rechte soll

Meiner Worte pflegen und nehmen wahr,

Ob sie so lauter sind und klar,

Wie ich wollte, daß sie wären

In fremder Leute Mären,

Und wie ich an einem andern Mann

Die Rede erkennen und prüfen kann.


Ich weiß nicht, wie ich's beginne:

Meine Zunge und meine Sinne

Wollen nicht zu Hilfe kommen;

Mir hat die Furcht genommen,

Selbst was mir sonst gelungen,

Recht mitten von der Zungen.

Hier weiß ich nimmer, was zu thun,

Ich thäte denn das Eine nun,

Was mir fürwahr noch nie geschehn:

Mein Gebet und mein ganzes Flehn,

Die will ich erstmals senden

Mit Herzen und mit Händen

Hin zu dem Helikone,

Zu dem neunfaltigen Throne,

Von dem die Brunnen schießen,

Daraus die Gaben fließen

Der Worte und der Sinnen.

Der Wirth und die Wirthinnen,

Apoll und die Kamenen,

Der Ohren neun Sirenen,

Die da zu Hofe der Gaben pflegen,

Ihre Gnade ertheilen und verwägen,

Wem sie sie zugesonnen;

Die haben der Sinne Bronnen

Manchem ertheilt so reich und voll,

Sie mögen mir einen Tropfen wohl

Mit Ehren nicht versagen.

Und mag ich den erjagen,

So behaupte ich meinen Platz so wohl,

Als ihn ein Meister behaupten soll.

Derselbe Tropfen, der Eine,

Der ist auch nicht so kleine,

Daß er mir nicht berichte,

Zurechterichtend schlichte

Beide die Zunge und auch den Sinn,

Daran ich so zerrichtet bin;

Da werd ich meine Worte sehn

Durch den viel lichten Tiegel gehn

Der kamenischen Sinne,

Und muß er mir sie drinne

Schmelzen zu seltnem Preise,

Bereiten in Wunderweise,

Gleich Golde der Araben.

Dieselben Gottesgaben

Des wahren Helikones,

Kräfte des obersten Thrones,[55]

Von dem die Worte entspringen,

Die durch die Ohren klingen

Und in das Herze lachen,

Die Rede leuchtend machen,

Gleich seltnen Edelsteinen:

Geruhen sie, die Reinen,

Mein Flehen zu erhören

In ihren Himmelschören,

Und lassen mich den Wunsch empfahn.


Nun sei dies alles auch gethan,

Und sei dies alles auch gewährt,

Was ich von Worten nur begehrt,

Und soll ich haben vollen Hort,

Daß ich jedwedem Ohr mein Wort

Versüße und jeglich Herz beschatte

Mit dem saftgrünen Lindenblatte,

Und geh allstets der Rede mit,

So daß ich ihr bei jedem Tritt

Die Straße räume und fege

Und lasse an ihrem Wege

Auch nicht das ringste Stäubelein,

Daß es nicht müßte vertrieben sein,

Und daß sie nur auf grünem Klee

Und nur auf lichten Blumen geh:

So wende ich dennoch meinen Sinn

(Seht, wie ich ungesinnet bin!)

Kaum oder nimmermehr daran,

Daran sich schon so mancher Mann

Versuchet und erprobet hat.

Fürwahr, ich bin der Märe satt,

Und nähme ich alle meine Kraft

Zur Ausrüstung der Ritterschaft,

Wie, Gott weiß, Mancher hat gethan,

Und ließe euch wissen, wie Vulkan,

Der weise, hochberühmte,

Mit jeglicher Kunst geblümte,

Tristanden unerhört und fremd

Schwert und Hosen und Panzerhemd,

Und was gehört zum Ritterstand,

Bereitete mit seiner Hand

Nach meisterlicher Sitte,

Wie er ihm entwarf und schnitte,

Der stets zur Kühnheit war gewillt,

Den Eber auf dem Heldenschild,

Wie er ihm den Helm erdachte

Und oben darauf machte,

Zu malen der Minne Qualen,

Die Bolzen von Feuerstrahlen,

Wie er ihm Stück für Stück erfand

Und auch mit seiner Meisterhand

Vollbrachte, schön, wie er's ersann,

Und wie Fraue Kassandra dann,

Die wunderweise Trojerin,

All ihre Kunst und ihren Sinn

Hätte aufs andre Werk gewandt,

Daß sie Tristanden sein Gewand

Bereite und vollende,

Ein Meisterwerk der Hände,

So gut sie es nur inne

Hatte in ihrem Sinne,

Der von den Göttern im Himmel gar,

So wie ich las, gefeiet war: –

Was hätte das viel andre Kraft,

Als was ich schon zuvor geschafft,

Da ich Tristans Geleite

Rüstete zur Schwertleite?

Ich will, mag's euch behagen,

Euch meine Meinung sagen.

Seht an, hier stehen Muth und Gut:

Wer zu den zwei Geräthen thut

Klugheit und höfschen Sinn hinzu,

So wirken die Vier in guter Ruh

So viel als Einer auf dem Plan.

Ja, auch Kassandra und Vulkan

Machten zu größrem Preis, denn Die,

Rittergewand und Rüstung nie.


Nun die vier reichen Kräfte

So tüchtig sind zum Geschäfte

Und können kleiden und zieren,

So befehlen wir den Vieren

Unsern Freund Tristanden:

Die nehmen ihn zu Handen,

Bereiten uns den werthen Mann,

Wenn's doch nicht anders gehen kann,

Mit dem Gezeug und nach dem Schnitt,

Da seine Schwertgesellen mit

So reichlich sind bereitet.

So sei Tristan geleitet

Zu Hof und in den Kampfesring.

Er ist in seinem ganzen Ding[56]

Seinen Gesellen ebengleich,

Ebenzierlich und ebenreich,

Ich meine aber im Gewand,

Das da kommen ist von Menschenhand,

Nicht in dem angeborenen,

Vom Herzen auserkorenen,

Das sie da heißen edlen Muth,

Das den Mann herrlich macht und gut

Und edelt ihm so Leib als Leben:

Dies Kleid ward anders ihm gegeben

Und anders seiner Ritterschaar.

Ja, der tugendreiche, fürwahr,

Der ehrbegehrende Tristan

Hatte besondre Kleider an,

Die von Ansehn und Gebaren

Reich aus der Maßen waren.

Er übertraf an schönen Sitten

Und Tugenden Alle, die mit ihm ritten.

Aber an den Geräthen,

Die Mannes Hände nähten,

Da war kein weitrer Unterscheid:

Der werthe Hauptmann trug sein Kleid

So, wie jedweder Unterthan.


Der hochgemuthe Vogt Tristan,

Dem nun Parmenien eigen war,

Mit seiner ganzen Ritterschaar

War er zum Münster kommen,

Hatten die Messe vernommen

Und auch empfangen den Segen,

Wie sich's ziemte allerwegen:

Da nahm Marke Tristanden,

Seinen Neffen, zu Handen

Und schnallte ihm an so Sporn als Schwert.

»Sieh,« sprach er, »Tristan, Neffe werth,

Nun dir das Schwert gesegnet ist

Und nun du Ritter worden bist,

So erwäge den Ritterpreis zumeist

Und auch dich selber, wer du seist,

Deine Geburt und Edelkeit

Habe vor Augen allezeit.

Sei demüthig und ohne Trug,

Sei wahrhaft, halte Zucht und Fug,

Sei immer gegen Arme gut

Und gegen Reiche hochgemuth,

Ziere und werthe deinen Leib,

Ehre und minne jedes Weib,

Der Welt sei mild und sei getreu,

Deine Milde und Treue sei immer neu;

Denn meine Ehre verpfänd ich dir:

Nicht Gold, noch Zobel bringt die Zier

Dem Speere und dem Schilde,

Die Treue bringt und Milde.«


Er bot ihm den Schild und küßte ihn:

»Neffe,« sprach er, »nun fahre hin,

Und möge dir Gott nach seiner Kraft

Heil geben zu deiner Ritterschaft.

Sei immer höfisch, sei immer froh.« –

Nun waffnete Tristan gleich also

Seine Gesellen, Mann für Mann,

Wie ihm der König, sein Ohm, gethan,

Mit Schwert und Sporn und Schilde:

Demuth, Treue und Milde

Legte er eines Jeden Kür

Mit wohlgestellter Lehre für.

Nun harrten sie auch nicht länger mehr,

Buhurdirten und ritten sehr,

Deß ist mein Zweifel gar nicht groß;

Wie sie da aber brachen los,

Wie sie mit Speeren stachen,

Wie viel sie Schäfte zerbrachen,

Das mögen die Knappen sagen,

Die es halfen zusammentragen.

Ich brauche ihr Turneien

Nicht alles auszuschreien.

Doch bin ich zu einem Dienst bereit

Und wünsche ihnen jederzeit,

Daß sich ihr Aller Ehre

In allen Dingen mehre,

Und ihnen ritterliches Leben

Zur Ritterschaft Gott möge geben.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 51-57.
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