Daß Gott der Menschen Schicksal von Ewigkeit bestimmt habe

[456] Bey der Punschel- und Hasperischen Eheverbindung


Den 16 Nov. 1734.


I.f.N.


Da hast du nun die Braut, die nach des Himmels Schluß,

Sehr werthgeschätzter Freund! dein eigen werden muß.

Da hast du nun den Schatz, der im vermählten Orden,

Bereits von Ewigkeit für dich bestimmet worden.

Gestehst du mir noch nicht, was ich dir längst gesagt,

Wenn wir uns oftermals um diesen Punct befragt:

Ob nicht der Höchste schon von Anbeginn erwählet,

Was seine Weisheit uns auf Erden zugezählet?

Ob Gott nicht ausgemacht, was uns betreffen soll?

Es schien dir dieser Satz fast immer fehlervoll.

Du glaubtest: Bloß der Mensch sey in der Schuld gewesen,

Wenn er zur Ehe sich ein böses Weib erlesen.

Es käm auch unser Glück, in solcher Dinge Zahl,

Nicht von der Vorsicht her; nur bloß von unsrer Wahl.

Und dieß versprach man dir, der lautern Wahrheit wegen,

Aus Gründen der Vernunft und Schrift zu widerlegen.


Wohlan! vergiß einmal die Schönheit deiner Braut,

Bis du es ausgemacht, ob Gott sie dir vertraut?[456]

Ich weis, sie wird hernach, wie Gottes Thun in allen,

Als ein Geschenk von ihm dir destomehr gefallen.


Du bist ein Philosoph, mein werthgeschätzter Freund!

Der gründlich eingesehn, was andern nur so scheint.

Du weist, daß dieß Gebäu des Himmels und der Erden

Nicht konnte von sich selbst so eingerichtet werden.

Der Klügling, Epikur, hat deinen Beyfall nicht,

Der nur von leerem Raum und kleinen Stäubchen spricht;

Die sich von ohngefähr in eine Welt verbunden,

Als jedes nach und nach den rechten Platz gefunden.

So glaubt er keinen Gott, der was erschaffen hat:

Hier hat kein Vorbedacht und keine Weisheit statt.

Der blinde Zufall muß die todten Körper lenken,

Die sich ins weite Nichts durch ihre Schwere senken.

Gleichwohl entsteht ein Bau, der Pracht und Schönheit zeigt;

Ein Himmel, wo ein Stern den andern übersteigt;

Ein Erdball, der den Schooß mit Gras und Blumen schmücket,

Davon uns jedes Blatt durch seine Kunst entzücket;

Ein Meer, wo alles lebt, was Haut und Schuppen trägt;

Das Land, wo Thier und Wurm sich tausendfältig regt;

Die Luft, an Vögeln reich, und ungezählten Schaaren,

Die itzt geflügelt sind, und vormals Würmer waren.

Noch mehr, der Mensch entsteht; der Mensch, das kluge Thier,

Voll grübelnder Vernunft, voll lüsterner Begier;

Der durch die schwache Hand auch Elephanten zähmet,

Den schnellsten Vogel fängt, den Wallfisch selber lähmet.


O Thorheit! die man sonst für Weisheit angesehn:

Von dir, gelehrter Freund! wird dieses nie geschehn.

Du weist: es war ein Gott von Ewigkeit vorhanden,

Und bloß durch dessen Kraft ist auch die Welt entstanden.[457]

Ganz recht! Doch sage mir, als er dieß Werk gemacht,

Hat seine Weisheit denn es nicht vorher bedacht?

War es ein blinder Schluß? Hat er denn nichts erwogen,

Und irgend nichts gethan, als nur ein Looß gezogen?

Wie reimt sich das zu Gott? Wo hebt ein weiser Mann,

Auch unter Sterblichen, ein Werk so blindlings an?

Er überlegt ja stets den Ausgang seiner Sachen;

Und pflegt die Anstalt gern nach seinem Zweck zu machen.

Kein Mittel wählt er je, das nicht zur Absicht dient.

War Xerxes nicht ein Thor, indem er sich erkühnt,

In offenbarer See dergleichen Bau zu gründen,

Den wir zu Lande kaum recht fest und sicher finden?

In Wahrheit, werther Freund! so baut der Höchste nie!

Er setzt sich Werke vor, und er vollführet sie.

Kein Mittel mangelt ihm, er weis es anzubringen;

Kein Vorsatz schlägt ihm fehl, kein Werk kann ihm mislingen.

Das mächtigste Geschöpf geht immer seinen Weg;

Auch wenn es widerstrebt, erfüllt es Gottes Zweck,

Den er sich vorgesetzt. Dieß zeigt der Welt am Ende:

Daß Gott die Thorheit selbst geschickt zum besten wende.


Ja sprichst du, wie mich dünkt: wo bleibt die Freyheit nun?

So kann ja niemand was nach eignem Willen thun!

Warum nicht, werther Freund? wir thun ja, was wir wollen:

Und thun doch allezeit, was wir verrichten sollen.

Gott lenkt uns stets mit Glimpf, und nicht durch harten Zwang:

Das Gute lieben wir, wir fliehn den Untergang,

Und was ihn wirken kann. So kann uns Gott regieren:

Er zeigt uns beydes nur; das wird uns selbst schon rühren.

So giengs mit deiner Braut. Gott zwang dich nicht zu ihr;

Er gieng ganz unvermerkt den besten Weg mit dir.

Er führt dich an den Ort, wo du ihm treulich dienest:

Und da du nun geneigt zum Ehestande schienest,

So wies er dir ein Kind voll Tugend und Verstand;

Sogleich ward ihr dein Herz recht kräftig zugewandt.[458]

Der, so die Herzen prüft, hat dieß vorher gesehen;

Er hat es auch gewollt: und doch ists frey geschehen.


Jedoch du liebst die Schrift: wohlan ich geh es ein,

Sie soll in unserm Streit der letzte Richter seyn.

Gesteht nicht David dort: Es sey auf seiner Zungen

Kein Wort, das Gott nicht kennt, eh es hervor gedrungen;

Es habe Gottes Hand die Tage seiner Zeit

Schon in sein Buch gebracht, eh noch die Sterblichkeit

Ein Recht an ihm gehabt; Gott seh auch die Gedanken

Von ferne schon vorher. Wer kann also die Schranken

Der Vorsicht übergehn, die alles schafft und thut?

Wer macht sonst in der Stadt Glück, Unglück, Bös und Gut?

Fällt ohne Gottes Wink ein Sperling wohl zur Erden?

Kann uns, wenn er nicht will, ein Haar geraubet werden?

Der Heiland selbst spricht nein! Wer zweifelt denn daran?

Sonst niemand, als wer Gott nur menschlich richten kann:

Nach Leuten, die fast stets das Künftige nicht wissen,

Nach Schwachen, die sich oft nach andern richten müssen.


Nein, Freund! so ist Gott nicht! Bevor er dich gemacht,

Hat er dich schon gekannt; hat er schon ausgedacht,

Was er dir geben wollt. Es ist nunmehr am Tage,

Und selbst dein Herz gesteht, daß ich die Wahrheit sage.

Erwäge nur den Weg, den dich sein Rath geführt!

Sprich, hast du denn noch nie die stille Hand gespürt,

Die dich gelind und sanft, und doch gewiß geleitet?

Nun siehst du, was sie dir in dieser Welt bereitet.

Es ist unfehlbar gut, wie alles, was er schafft.

Erfülle nun sein Werk mit ungestörter Kraft;

Erkenne seine Huld: so wie ichs selbst erkenne,

Wenn ich dich meinen Freund, ja treuen Lehrer, nenne.

Ich ehre noch den Fleiß, den du an mich gewandt:[459]

Und wünsche dir daher, daß auch dein neuer Stand

Dir tausendfache Lust und lauter Wohlfahrt bringe;

Und zwar nach Gottes Rath, doch auch nach Wunsch gelinge.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 456-460.
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