An einen berühmten Tonkünstler, bey seiner ehelichen Verbindung

[54] I.f.N.


Neuer Orpheus deiner Zeiten!

Dessen wundervolle Seyten,

Ohn ein sonderlich Bemühn,

Bäum und Felsen nach sich ziehn;

Edler! = = wenn deine Liebe

Nicht die alte Freundschaft stört:

So nimm hin, was dir gehört,

Diese Frucht der treusten Triebe;

Kann gleich meiner Musen Lallen

Dir nicht, wie du mir, gefallen.


Wahrlich, o du Freund der Neune!

Wäre deine Kunst die Meine,

Säng ich, wie dein Bogen spielt,

Den man in der Seele fühlt;

Könnt ich so die Herzen regen,

So bezaubern, wie du thust:

Würd ich dir bey deiner Lust

Adern, Mark und Bein bewegen;

Und von lauter schönen Dingen

Deiner Auserwählten singen.


Aber sprich, wer kann dir gleichen,

So geschickt die Seyten streichen,[55]

So genau die Noten sehn,

So gewiß den Wirbel drehn?

Deine süßen Harmonien

Nehmen Ohr und Herzen ein.

Und was klingt so ungemein,

Als die sanften Melodien?

Welche trösten und entzücken,

Schrecken, dräuen und erquicken.


Sage selbst, verliebte Schöne!

Wie gefällt dir sein Getöne?

Doch, du denkst, ein bloßer Klang

Ist nicht das, was mich bezwang.

Freylich hat er andre Gaben,

Witz, Verstand und Höflichkeit,

Eine Brust, die sich dir weiht,

Und was sonst die Freyer haben:

Dieß bewog dich, wie wir denken,

Ihm dein treues Herz zu schenken.


O wie wohl heißt das getroffen!

Itzo kannst du alles hoffen,

Was der Hochzeitfackeln Pracht

Angenehm und heiter macht.

Denn wie seine Violine,

Auch die zärtsten Striche fühlt;

So empfindt auch, der sie spielt,

Seiner Schönen zärtste Mine:

Weil ein Blick, der von ihr stammet,

Gleich sein ganzes Blut entflammet.


Der Musik geweihte Seelen

Sind sehr ekel im Erwählen:

Denn nicht jedes Haberrohr[56]

Fällt gleich angenehm ins Ohr.

Aber was sie lieb gewinnen,

Lassen sie durchaus nicht mehr,

Und dieß zärtliche Gehör

Leitet auch die andern Sinnen;

Drum verspricht dir = = Liebe

Unauslöschlich heiße Triebe.


Sollte dich der Tod ihm rauben,

O so kannst du sicher glauben:

Orpheus und Euridice

Fühlten kaum ein herber Weh!

Gieng nun der mit schnellen Schritten

Seufzend nach der Unterwelt,

Das, was ihm der Tod gefällt,

Durch die Laute zu erbitten:

Ey so würden = = Seyten

Dich gewiß zur Gruft begleiten.


Und wer weis, was noch geschähe,

Wenn ihn Pluto spielen sähe?

Ob nicht deine Wiederkehr

Seiner Kunst Belohnung wär!

Doch kein trauriges Besorgen

Schickt sich hier zur Hochzeitlust,

Drum vergnüget eure Brust,

Werthes Paar! bis an den Morgen.

Aber gebt auch bald die Proben,

Daß ihr sie nicht aufgeschoben.[57]

Soll ich euch noch Wünsche machen?

Ja! man möchte mich verlachen,

Daß ich schon so viel gereimt,

Und das Beste doch versäumt.

Nun, das gütige Geschicke

Sey der Harmonie geneigt,

Die sich an euch Beyden zeigt;

So beströmt euch alles Glücke.

Denn wo Lieb und Treu sich zeigen,

Hängt der Ehstand voller Geigen.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 54-58.
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