An Herrn Prof. Joh. Friedrich May, als er ihm an seinem Geburtstage den 23 März eine Uebersetzung von Lucians Abbildung eines wahren und falschen Redners überreichte

[335] Mein Freund! dein Jahrfest kömmt, und lehrt mich meine Pflicht;

Ich opfre dir dabey kein großes Lobgedicht:

Du hast dergleichen schon von meinem Kiel vernommen,

Und manches wird vielleicht bis auf die Nachwelt kommen.

Ich liefre dir voritzt was Uebersetztes ein,

Das soll ein Ehrenmaal von deinem Tage seyn;

Ein ewiger Beweis von unsern Freundschaftstrieben,

Dadurch wir uns bisher aus reiner Absicht lieben.


Hier wiederhohl ich nur den längstgeschloßnen Bund,

Und mache durch dieß Blatt vor hundert Zeugen kund:

Daß Weisheit und Vernunft, durch dein unsträflich Leben,

Dem Haufen, der sie schmäht, ein Tugendmuster geben,

Dabey er schamroth wird. Du legest Proben ab,

Daß Gott uns nicht umsonst Verstand und Willen gab;

Und daß ein heitrer Geist, durch ein gegründet Wissen,

Nachdem er sich beherzt des Pöbels Wahn entrissen,

Auch Thaten üben kann, die sonder Tadel sind.

Denn ist schon die Vernunft in Glaubenssachen blind;

So lehrt sie doch sehr wohl, der Menschen Thun und Lassen,

Wenn man nur selber will, nach Tugendregeln fassen.[336]

Dein stiller Wandel zwar erscheint nicht öffentlich;

Du hast kein großes Amt: denn wer gedenkt an dich?

Da du die Kunst nicht kannst, durch Betteln, Flehn und Häucheln,

Den Großen in der Welt den Beystand abzuschmäucheln.

Allein, du nützest viel; indem du dich bemühst,

Der Zeit, die nach uns kömmt, geschickte Bürger ziehst,

Die Jugend Künste lehrst; und tausend Lust empfindest,

Wenn du in einer Brust der Tugend Trieb entzündest.


Genug zu deinem Ruhm! Nun lies einmal dieß Blatt!

Das dir mein Kiel geweiht und zugeschrieben hat.

Du pflegst die Redekunst und Weisheit zu verbinden,

Und wirst auch hier die Spur der alten Redner finden,

Die Lucian gerühmt. Du weist schon, wer er war:

Und wenn er spöttisch schrieb, so ists doch sonnenklar,

Und jede Schrift von ihm läßt gar zu deutlich lesen;

Daß er der Weisheit hold, der Thorheit feind gewesen.


Nach der Uebersetzung

So wies nun Lucian den Schwätzern seiner Zeit,

Daß sie den rohen Mund der Plauderkunst geweiht;

Der alten Redner Bahn vor Ungeduld verfehlet,

Und aus Bequemlichkeit der Neuern Steg gewählet.

Hat Deutschland, werther Freund! nicht auch aus gleichem Wahn,

Die wahre Redekunst fast in den Bann gethan?

Wenn so viel Lehrer uns den Irrweg angewiesen,

Und für den Cicero den Lohenstein gepriesen.

Die Zeiten sind vorbey. Die Einfalt wird verlacht,

Man schreibt und spricht nicht mehr mit aufgeblähter Pracht:

Die Wahrheit nimmt den Sitz auch in der Redner Munde,

Und alles, was sie spricht, hat die Vernunft zum Grunde.[337]

Ich weis, du freuest dich bey unsrer Zeiten Glück,

Und legest selbst, o Freund! manch edles Meisterstück

In Suadens Tempel ab; allwo dich alle lieben,

Die sich mit uns zugleich in ihren Regeln üben.


So nimm denn diese Schrift zum Freundschaftszeichen an,

Weil ich durch Wünsche nicht dieß Blatt verderben kann.

Versichre dich dabey, daß ich dich lieb und ehre,

Wenn ich das Schicksal gleich durch keine Vorschrift störe.

Dir fehlt auch wahrlich nichts: denn du bist stets vergnügt,

Weil alles, was geschieht, ein weises Wesen fügt,

Das dich nicht hassen kann! Wir wollen ihm nur danken,

So wird auch künftighin dein Glücke niemals wanken.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 335-338.
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