Einleitung.

[753] So klein auch die Zahl derer ist, die ihre Muttersprache aus dem Grunde verstehen, und sich im Reden und Schreiben mehr nach den Regeln einer gesunden Kritik, als nach dem gemeinen Gebrauche, richten: so ungezweifelt ist es, daß sich doch noch einige finden, die wegen des Wortes Deutsch, gern eine Gewißheit hätten, wie man dasselbe recht buchstabiren oder schreiben müsse? Es kann niemanden unbekannt seyn, wie uneinig die deutsche Nation in diesem Stücke ist. Einige schreiben Deutsch, andere aber Teutsch: und obwohl die meisten hierinnen, ohne alle Untersuchung, der bloßen Gewohnheit ihres Ortes, und den Vorschriften ihrer ersten Lehrmeister folgen; auch von ihrer einmal beliebten Art keine Rechenschaft zu geben wissen: so trifft man doch hier und dar auch Sprachverständige an, die ihre Meynungen, von beyden Theilen, mit guten Gründen zu erweisen suchen. Noch vor wenig Jahren, haben ein Paar gelehrte und berühmte Männer in Hamburg, einen freundlichen Streit darüber gehabt; und uns denselben, im zweyten Theile der niedersächsischen Poesien, bekannt gemachet. Eben dadurch hat jede Partey einen Verfechter von vieler Einsicht bekommen: und es würde schwer seyn zu sagen, zu welcher von bey den man sich schlagen sollte; wenn man mehr auf das Ansehen und den Ruhm der Streitenden, als auf die Sache selbst, zu sehen hätte. Wie aber die Wahrheit allezeit den Vorzug behalten muß: also muß es auch in diesem Stücke einem jeden freystehen, die Gründe beyder Meynungen zu untersuchen, und alsdann diejenige zu wählen, die er, seiner Einsicht nach, für die sicherste hält. Wer dieses thut, wird in einer so gleichgültigen Sache, und die fast nur eine Kleinigkeit zu nennen[753] ist, vermuthlich keinen grammatischen Bann verdienen. Ich selbst besorge also nicht, daß man mich für einen orthographischen Kätzer schelten werde, wenn ich mir itzo vorsetze, zu behaupten:


Daß man Deutsch, und nicht Teutsch, schreiben müsse.


In der Rechtschreibung muß man alle zweifelhafte Fragen, aus einem dreyfachen Grunde zu entscheiden suchen: nämlich aus der Abstammung, aus der Aussprache, und aus der Gewohnheit. Z.E. Wenn es sich fraget: Ob man Gebirg oder Gebürge schreiben solle? so zieht man billig das erstere vor; weil es von dem Stammworte Berg hergeleitet wird; dessen e sich wohl in ein i, aber nicht in ü verwandeln kann. Wenn man wissen will, ob man König oder Künig schreiben solle? so wird man heutiges Tages in ganz Deutschland, der Aussprache halber, dem ersten den Vorzug geben: ungeachtet viele Alten, z.E. Pfinzing im Theuerdank, es auf die letztere Weise geschrieben haben. Verlanget man endlich eine Ursache, warum man frey, sey, Geschrey, am Ende mit einem y buchstabire? so wird wohl nichts anders, als die alte Gewohnheit, zur Richtschnure dienen können. Gesetzt nun, ich könnte in der vorhabenden Frage darthun: daß man durch alle drey erwähnte orthographische Regeln veranlasset würde, Deutsch und nicht Teutsch zu schreiben: so hätte ich, meines Erachtens, einen dreyfachen Beweis, meine nunmehr erwählte Art zu rechtfertigen. Ich will sehen, wie weit ichs darinnen bringen werde.[754]

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 753-755.
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