Das XI. Capitel.
Von Comödien oder Lustspielen.

1. §.


Die Comödie ist, wenigstens dem Namen nach, jünger, als das Trauerspiel: denn in der That waren sie vor Alters einerley; da man noch, dem Bacchus zu Ehren, die schimpflichsten Lieder an Festtagen zu singen pflegte, und selbige Tragödien nannte. Als aber die gescheidtesten Köpfe sich allmählich von dem niederträchtigen und unflätigen Zeuge entfernten, und ernsthaftere Sachen in ihren Schauspielen aufführeten: so wurden sie auch in Städten beliebt, ja die Obrigkeit selbst nahm die Comödianten in ihren Sold, und ließ auf öffentliche Kosten Schauplätze bauen, die nöthigen Sänger zum Chore unterhalten, und alles nöthige Zubehör der Schaubühne anschaffen. Wenn nun ein Poet ein neues Stück fertig hatte, so gab man ihm das Chor, wie sie redeten: das ist, man kaufte es ihm ab, und ließ es von den Comödianten aufführen. Indessen waren die Ueberbleibsel der alten unflätigen Tragödien noch auf den Dörfern und Flecken im Schwange geblieben. Das gemeine Volk findet allezeit mehr Geschmack an Narrenpossen und garstigen Schimpfreden; als an ernsthaften Dingen. Den witzigen Stadtleuten in Athen schien diese Art der Belustigungen zu abgeschmackt; weil sie schon etwas Edleres in der Tragödie gefunden hatten. Sie mögen also wohl diesen bäurischen Lustbarkeiten, zum Schimpfe, den Namen der Comödien gegeben haben, als welcher von κώμη und ὠδή herkömmt, und also ein Dorflied bedeutet. Allmählich wurden doch auch die Verfertiger dieser Stücke gewahr, daß die Tragödienschreiber ihre Spiele besser einrichteten. Sie ahmeten denenselben[337] also mehr und mehr nach, bis ihre Schaubühnen endlich ein besser Geschicke bekamen. Doch weis man insbesondere diejenigen oder denjenigen nicht zu nennen, die am ersten Hand ans Werk geleget haben.

2. §. Aristoteles berichtet bloß, daß Epicharmus, ein Sicilianer, der neuer als Thespis, aber älter als Aeschylus gewesen, zuerst angefangen, ordentlichere Stücke zu spielen, und eine gewisse Hauptabsicht in seine Vorstellungen zu bringen. Ihm folgte bald ein Athenienser, Krates nach. Dieser befreyete die angefangene Comödie von der alten Grobheit der Bauren, und sauberte sie von ihren vorigen Unflätereyen: und darauf fand sie denn auch in der Stadt Beyfall. Dahin gehören die Verse des Horaz, die von dem Pratinas handeln:


CARMINE QUI TRAGICO VILEM CERTAUIT OB HIRCUM,

MOX ETIAM AGRESTES SATYROS NUDAUIT; ET ASPER

INCOLUMI GRAUITATE JOCUM TENTAUIT: EO QUOD

ILLECEBRIS ERAT, ET GRATA NOUITATE MORANDUS

SPECTATOR, FUNCTUSQUE SACRIS, ET POTUS, ET EXLEX.


Hier finden wir alles beysammen, den Ursprung, den Inhalt, auch die Absicht der ältesten Comödien. Aus den tragischen Liedern sind sie entstanden, und zwar bey Gelegenheit der Festtage. Ihr Inhalt ist ein scharfer oder beißender Scherz gewesen, den sie von lauter bäurischen Satiren, das ist, halbnackten Bauren, absingen oder spielen lassen. Und die Absicht war, dem Volke, nach vollbrachtem Gottesdienste und vollendetem Schmause, durch eine neue Lustbarkeit die Zeit zu vertreiben. Dieses war nun die alte Comödie.

3. §. So bald sie nun von dem alten Krates ins Geschicke gebracht worden, fanden sich bald Eupolis, Kratinus und Aristophanes, die ihr ein ganz anderes Ansehen gaben. Die vorige Heftigkeit nackter Satiren wurde in eine lächerliche Vorstellung gewisser Personen verwandelt, die man sich nicht scheuete, mit Namen zu nennen. So finden wir, daß die vornehmsten[338] Leute in Athen vor den Poeten nicht sicher gewesen: selbst Sokrates ist von ihnen öffentlich verspottet worden; da ihn Aristophanes in dem Stücke, das er die Wolken nennet, als einen wunderlichen Naturforscher und gottlosen Atheisten vorgestellet. Sonderlich sungen die Chöre dieser Comödien nichts als ehrenrührige Schmählieder, dadurch die Unschuldigsten angegriffen wurden. Daher kam es denn, daß die Obrigkeit dieser Frechheit Einhalt that, und die Chöre abzuschaffen, auch keine Person mehr mit Namen zu nennen geboth.


SUCCESSIT VETUS HIS COMOEDIA, NON SINE MULTA

LAUDE: SED IN VITIUM LIBERTAS EXCIDIT ET VIM

DIGNAM LEGE REGI. LEX EST ACCEPTA, CHORUSQUE

TURPITER OBTICUIT, SUBLATO IURE NOCENDI.


4. §. Da nun dergestalt die mittlere Comödie der Griechen aufhörete: so gieng die neue an, darinn sich Menander vor andern hervorgethan. Dieser fieng nunmehro an, rechte Fabeln zu erdenken, die sich auf die comische Schaubühne schickten. Er gab denenselben weder von lebendigen Leuten, noch von den Helden in Geschichten, die Namen; sondern er taufte sie selbst, wie es ihm gut dünkte. Seine Spiele aber blieben deswegen doch eben so angenehm und erbaulich, als sie vorher gewesen waren. Diese Veränderung oder Verbesserung der Comödie, hat Aristoteles nicht erlebt; weil die mittlere bis nach Alexanders Zeiten gewähret. Daher hat auch dieser große Kunstrichter wohl gesehen, daß zwar die Tragödie zu seiner Zeit, zur Vollkommenheit gebracht worden; aber nicht die Comödie: deren Wachsthum er also vorher sagen konnte; wie es auch in der That erfolget ist. Man sehe hier des Abts Brümois Abhandlungen, von der griechischen Schaubühne nach, die vor seinem THEATRE DES GRECS stehen; imgleichen die schönen Untersuchungen hieher gehöriger Dinge, die in den MEMOIRES DE L'ACADEMIE DES BELLES LETTRES hin und wieder vorkommen.[339]

5. §. Die Römer müssen Leute von ganz anderm Naturelle gewesen seyn, als die Griechen: denn bey ihnen hat die Comödie ein ganz widerwärtiges Glück gehabt. Dort war sie zuletzt in Aufnehmen gekommen, hier aber, ward sie zuerst beliebt. Man kann sie hier ebenfalls in die alte, mittlere und neue eintheilen; und jene zu Ennii, die andere zu Plauti, die dritte zu Terentii Zeiten antreffen. Die erste war noch ziemlich ungestalt und grob; wie aus dem Zeugnisse Horatii von den Versen Ennii erhellet. Plautus trieb die Kunst in seinen Comödien etwas höher; aber er bequemte sich dem Geschmacke des Pöbel zu sehr, und mengte viel garstige Zoten und niederträchtige Fratzen hinein. Diese mochten auch noch zu Horazens Zeiten vielen gefallen; weil sie gemeiniglich die alten Poeten lobten, die neuen aber verachteten; wie er darüber in seinem langen Schreiben an den August klaget. Auch in der ARTE POETICA sagt er davon:


NON QUIUIS VIDET IMMODULATA POEMATA IUDEX,

ET DATA ROMANIS VENIA EST INDIGNA POETIS.

– – – – –

AT NOSTRI PROAUI PLAUTINOS ET NUMEROS ET

LAUDAUERE SALES, NIMIUM PATIENTER VTRUMQUE,

NE DICAM, STULTE MIRATI: SI MODO EGO ET VOS

SCIMUS INURBANO LEPIDUM SEPONERE DICTO.


Plautus muß also sehr viel Selbstliebe für sich gehabt haben, wann er sich selbst eine so pralerische Grabschrift gemacht hat: Daß die Musen über seinen Tod weinen und klagen sollten; weil alle Scherzreden und hübsche Einfälle mit ihm verlohren gegangen. In der That ist Terenz schon von den alten Kunstrichtern dem Plautus weit vorgezogen worden. Ob er gleich ein Africaner war; so besaß er doch die Zierlichkeit der lateinischen Sprache im höchsten Grade: welches er sonder Zweifel dem Umgange mit den vornehmsten Römern zu danken hatte. Scipio und Lälius haben ihn ihrer Freundschaft[340] gewürdiget, ja wohl selbst bey seinen Comödien Hand angelegt. Dieses ward ihm schon damals von seinen Feinden vorgerückt, wie er den Vorredner zu der Comödie von zweenen Brüdern, sagen läßt.


NAM QUOD ISTI DICUNT MALEUOLI, HOMINES NOBILES

EUM ADIUTARE, ASSIDUEQUE VNA SCRIBERE;

QUOD ILLI MALEDICTUM VEHEMENS ESSE EXISTUMANT,

EAM LAUDEM HIC DUCIT MAXIMAM, CUM ILLIS PLACET,

QUI VOBIS VNIUERSIS ET POPULO PLACENT,

QUORUM OPERA IN BELLO, IN OTIO, IN NEGOTIO

SUO QUISQUE TEMPORE VSUS EST SINE SUPERBIA.


6. §. Indessen ist es wahr, daß Terenz nicht viel neue Fabeln gemacht; sondern die meisten aus Menanders griechischen Comödien entlehnet hat. Er gesteht solches selbst in den Vorreden, und also kann es ihm zu keinem Vorwurfe eines Diebstahls gereichen. Soviel ist gewiß, daß seine Sachen regelmäßig sind, und die artigsten Scherzreden voller Salz und Schärfe in sich fassen. Hat gleich Menage ihn wegen des Selbstpeinigers beschuldigen wollen, daß er mehr als 24. Stunden zu diesem Stücke genommen, und also wieder die Vorschrift Aristotels gehandelt habe: so hat ihn doch der Abt von Aubignac gelehrt vertheidigt. Die Charactere sind darinn unvergleichlich beobachtet; und die Natur ist überall so vollkommen nachgeahmet, daß man kein Bild davon, sondern sie selbst zu sehen glaubet, wenn man seine Personen reden hört. Es ist nichts unflätiges oder zweydeutiges darinnen; sondern ein ganz ehrbarer Ausdruck herrschet auch in dem Munde der geringsten Knechte und Mägde.

7. §. In neuern Zeiten haben sich die Italiener, Franzosen und Engeländer, so zu reden, um die Wette in Comödien hervor gethan. Eine jede Nation ist ihrem Geschmacke gefolget, und also sind auch verschiedene Arten dadurch zum Vorscheine gekommen; die entweder besser oder schlechter gerathen,[341] nachdem sie den alten Griechen oder Römern mehr oder weniger gefolget sind. Die ersten Italiener, die uns die freyen Künste im Occidente zuerst wieder hergestellet, haben freylich sich angelegen seyn lassen, der guten Spur der alten Griechen und Römer zu folgen. Riccoboni erzählt uns in seiner Historie der italienischen Schaubühne eine große Menge guter Comödien, die von verschiedenen Poeten des 15ten Jahrhunderts gemacht worden. Er setzt hinzu, daß man sie dazumal alle in Versen gemacht, und daß die Comödianten also genöthiget gewesen, sie von Wort zu Wort auswendig zu lernen. So lange diese Gewohnheit gedauret, wäre auch der gute Geschmack noch erhalten worden. Allein, so bald die Comödianten aus Faulheit und Unwissenheit das Auswendiglernen unterlassen hätten: so wären auch anstatt der vorigen guten Stücke, die abgeschmacktesten Possen auf der Schaubühne eingerissen. Denn es hätten sich erstlich einige mit prosaischen Stücken versuchet; die aber von nachläßigen Comödianten sehr wären verstümmelt worden. Hernach aber hätte man gar nur den Inhalt aller Scenen mit wenigen Worten entworfen, und es den spielenden Personen und ihrer natürlichen Fähigkeit überlassen, was sie dabey für Einfälle haben würden. Daraus wären nun die allerabgeschmacktesten Dinge entstanden, die nur zur Belustigung des untersten Pöbels hätten dienen können: und dieses wäre der Ursprung von dem Verfalle der welschen Schaubühne gewesen. Eben dieses bestätiget er noch ausführlicher in s. REMARQUES HISTOR. & CRITIQ. SUR TOUS LES THEATRES DE L'EUROPE. Siehe auch des Herrn Muratori Vorrede zu den zwölf italienischen Trauerspielen, die er unter dem Titel THEATRO ITALIANO, im Jahr 1728. zu Verona in drey Octavbänden herausgegeben hat.

8. §. Und in der That hat man aus der Erfahrung gesehen, daß das italienische Theater seit etlichen Jahrhunderten nicht viel kluges hervorgebracht hat. Ihre besten Comödien enthalten nichts, als Romanstreiche, Betrügereyen der Diener,[342] und unendlich viel abgeschmackte Narrenpossen. Harlekin und Scaramutz sind die ewigen Hauptpersonen ihrer Schaubühne: und diese ahmen nicht die Handlungen des gemeinen Lebens nach; sondern machen lauter ungereimte Streiche, die einem nicht so arg träumen könnten. Ein Mondenkaiser, ein SPIRITO FOLETTO, ein Lederhändler von Pergamo, und unzählige andre, davon das THEATRE ITALIEN voll ist, können uns diesen Geschmack sattsam bekannt machen. Sie binden sich an keine Einheit der Zeit und des Orts, ja oft ist nicht einmal eine rechte Haupthandlung in ihren Fabeln. Sie machen Parodien auf die ernsthaftesten Stücke, mitten zwischen ihren andern Scenen; und erfüllen alles mit Geistern, Zaubereyen und Gespenstern. Kurz, man kann von den unsinnigen Phantasien und Schwärmereyen ihrer Comödianten sagen:


VELUT AEGRI SOMNIA, VANAE

FINGUNTUR SPECIES, VT NEC PES, NEC CAPUT VNI

REDDATUR FORMAE.


Man ist auch dieser italienischen Art schon so gewohnt, daß man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermuthet: und wenn man in dergleichen Comödien lachet; so geschieht es nicht, sowohl über die Thorheiten der darinn aufgeführten Personen, als über die närrischen Einfälle des Verfassers solcher Spiele. Man lese nur, was St. Evremont von der Comödie der Welschen, in einer besondern Abhandlung für ein Urtheil gefället hat, welche in den eigenen Schriften der deutschen Gesellschaft zu finden ist. Indessen haben sich Herr Muratori in seiner POESIA PERFETTA ITALIANA, und der Marchese Maffei zu unsern Zeiten bemühet, auch die comische Bühne ihrer Nation wieder von dem Unwesen zu saubern, darein sie gerathen war: wiewohl es noch schlecht damit von statten gehen will.

9. §. Die Engelländer haben zwar auch kein regelmäßiges Theater, indessen sind sie doch den Italienern weit überlegen.[343] Sie rühmen vor andern ihren ETHEREGE, WICHERLEY und Congreve, in diesem Stücke; und Dryden selbst hat sich in Comödien versuchet. Sonderlich pralen sie mit ihrem HUMOUR, darinn sie alte und neue Nationen übertroffen zu haben glauben. Dryden beschreibt denselben: THE RIDICULOUS EXTRAVAGANCE OF CONVERSATION, WHEREIN ONE MAN DIFFERS FROM ALL OTHERS. d.i. Die lächerliche Art im Umgange, darinnen ein Mensch sich von allen andern unterscheidet. Da die englische Nation viel solche Originale von besondern Arten des Eigensinnes und der Phantasie aufzuweisen hat; wie aus dem Spectator erhellet: so ist es gewiß, daß diese sonderbare Thorheiten lächerliche Vorstellungen genug auf die Schaubühne verschaffen werden. Allein, da es das Werk der Comödie nicht ist, einzelne Persone zu spotten; sondern allgemeine Thorheiten lächerlich zu machen, wie hernach erwiesen werden soll: so sehen wir wohl, daß die Engelländer, nach ihrer Gewohnheit, von ihrer Nation zu großsprecherisch urtheilen. Ihr Johnson hat ihnen Regeln der Schaubühne geschrieben, daraus Dryden auch viel Werks macht: ob er gleich selbst in den Vorreden zu seinen Schauspielen die Regeln allezeit nach seinen Exempeln verdreht. So viel müsssen wir indessen mit St. Evremont und Voltairen gestehen, daß die englische Comödie sehr viel moralische lasterhafte Charactere lächerlich aufführet; und darinn an Reichthum und Nachdruck allen andern Nationen vorgeht: es wäre nur zu wünschen, daß nicht eine so wilde Verderbniß der Sitten auf ihrer Bühne herrschen möchte, die eher die Zuschauer anzustecken, als zu erbauen geschickt ist; wie der Zuschauer an vielen Orten Klage geführet hat.

10. §. Die Franzosen haben es wohl unstreitig, wie in der Tragödie, also auch in der Comödie, am höchsten gebracht. Moliere hat seine Stücke einestheils nach den Regeln und Exempeln der Alten eingerichtet, anderntheils aber auch den Italienern und Spaniern manche Erfindung abgeborget, wie Hr. Riccoboni, in seinen REFLEXIONS SUR MOLIERE entdecket[344] hat; so daß ihm also Terenz weit vorzuziehen ist. Er ist zwar daher viel reicher an Materien als Terenz; welches aber kein Wunder ist, weil dieser nur sechs, er aber wohl drey, viermal so viel Comödien geschrieben. Aber er ist gleichwohl von allen Fehlern nicht frey. Seine Schreibart, sonderlich die poetische, ist nicht allezeit so natürlich, als sie für Comödien wohl seyn sollte, wie ihm der Erzbischof Fenelon dieses mit Recht vorrücket, in seinen Gedanken über die Comödie, die vor meiner Schaubühne stehen. Er macht oft große Umschweife, sehr wenig damit zu sagen; und kömmt dem Galimatias sehr nahe. Hernach treibt er seine Charactere zuweilen, sehr hoch, so, daß sie endlich unnatürlich werden. Z.E. Er läßt seinen Geizhals so argwöhnisch werden, daß er einem Bedienten, der aus der Stube geht, nicht allein die Taschen und beyde Hände besucht; sondern auch fordert, daß er ihm die dritte Hand zeigen solle: gerade als ob jemals ein Mensch so närrisch seyn könnte, zu glauben, daß jemand drey Hände habe. Er hat dieses zwar aus dem Plautus gelernt, der auch einmal sagt: CEDO TERTIAM! Allein das entschuldigt seinen Fehler nicht. Noch mehr ist er deswegen zu tadeln, daß er oft das Laster gar zu angenehm, die Tugend aber gar zu störrisch, unartig und lächerlich gemacht hat. Die Galanterie junger Leute hat immer den Vorzug vor der sorgfältigen Aufsicht der guten Aeltern; die für ihrer Kinder Tugend besorgt sind: dahergegen jene entweder schon lasterhaft sind; oder es doch leicht werden können. Er spottet der betrogenen Männer oft ohn alle ihr Verschulden. Denn was kann doch in Frankreich ein guter rechtschaffener Ehegatte davor, daß sein Weib ausschweifet: da es eine galante Mode ist, die Ehe zu brechen, und neben einem Manne noch ein halb Dutzend Anbether zu haben. Endlich hat sich Moliere, dem Pöbel zu gefallen, gar zu tief herunter gelassen, wenn er, die italienischen Narrenpossen nachzuahmen, die Betrügereyen Scapins aufgeführet hat. Boileau selbst hat ihm dieses nicht vergeben können; ob er gleich sonst sein guter Freund war: indem er schreibt:[345]


DANS CE SAC RIDICULE OÙ SCAPIN S'ENVELOPPE,

JE NE RECONNOIS PLUS L'AUTEUR DU MISANTROPE.


ART. POET. CHANT. 3.


11. §. Bey uns Deutschen hat es vor und nach Opitzen an Comödienschreibern zwar niemals gefehlt: aber nichts destoweniger haben wir nichts rechtes aufzuweisen, was unsrer Nation Ehre machen könnte. Wir haben wohl ganze Fuder Comödien, die in Hans Sachsens Geschmacke geschrieben, und meistens aus der Bibel genommen sind. Wer hieran zweifelt, der lese nur das Verzeichniß davon nach, welches ich im II. und III. B. meiner deutschen Schaubühne davon gegeben habe. Aber sie sind auch mehrentheils so künstlich, wie dieses nürnbergischen Meistersängers seine Werke: der wohl gar Gott den Herrn zum Adam kommen, und mit seinen Kindern, deren er ihm ein halb Dutzend fromme, und ein halb Dutzend gottlose dichtet, ein Examen aus D. Luthers Catechismus halten läßt. Wie er nun den Abel und seine Kameraden im Vater Unser, Glauben und den zehn Gebothen wohl bewandert findet: also besteht Cain mit seinen bösen Brüdern sehr übel, wenn er sein Vater Unser so verstümmelt herbethet:


O Vater Himmel unser,

Laß uns allhier dein Reich geschehen,

In Himmel und in Erden sehen,

Gieb uns Schuld und täglich viel Brodt,

Und alles Uebel, Angst und Noth.


Eben so fein machts der andere, den er Dathan nennet, und der den Glauben hersagen soll. Es heißt:


Ich glaub an Gott, Himmel und Erden,

Und auch des Saamens Weib muß werden,

Und des heiligen Geistes Namen

Die Sünde, Fleisch und Leben. Amen.[346]


Man sieht aus diesen und andern Proben wohl, daß der ehrliche Mann kein übeles Geschicke zur Beobachtung der Charactere und zur Nachahmung der Natur gehabt: Allein die Regeln der Wahrscheinlichkeit sind ihm ganz unbekannt gewesen; sonst würde er keine solche Vermischung der Zeiten gemacht haben, als aus dem angeführten sattsam erhellen wird. Opitz selbst hat sich in Lustspielen gar nicht versuchet.

12. §. Andreas Gryphius hat es ohne Zweifel in Comödien bey uns im vorigen Jahrhundert am weitesten gebracht. Seine Säugamme, sein Horribilicribrifax und Peter Sqvenz sind ziemlich wohl gerathen, und stellen solche lächerliche Thorheiten vor, die dem Zuschauer viel Vergnügen und Nutzen schaffen können. Nur in dem Zusammenhange der Auftritte, in der Menge der spielenden Personen, und in der Einheit des Ortes, hat er es, auch Art aller unsrer Alten, sehr versehen. Dedekind hat fast lauter geistliche Stücke gemacht. Christian Weise hat jenem nachfolgen wollen; und kein übles Talent dazu gehabt: allein, wie ihm überhaupt die Regeln der alten Redekunst und Poesie unbekannt gewesen; so ist er auch bey seinem selbstgewachsenen Witze geblieben, und hat lauter unrichtige Stücke gemacht. Man will ihn mehrentheils damit entschuldigen, daß er sich genöthiget gesehen, allen seinen Schülern etwas zu thun zu geben: allein, wer nöthigte ihn dazu, sie alle in einer Comödie zu brauchen? Er hätte sie wechselweise in verschiedenen anbringen, und etwas rechtes machen können. Das war aber wohl die wahre Ursache nicht, warum er nichts regelmäßiges gemacht. Indessen ist es doch gut, wenn man ihn liest; um dadurch auf manchen guten Einfall zu kommen, der sich nach unsrer Art in der Comödie anbringen läßt. Was sonst von den besten deutschen Comödianten gespielet wird, das ist gemeiniglich aus dem Französischen übersetzt; welches auch so lange ganz gut ist, bis wir mit der Zeit eigene comische Poeten bekommen werden, die was gescheidtes machen können. Denn was manche Cömödianten selbst zusammen stümpeln, das ist nichts besser,[347] als die Geburten der italienischen Schaubühne, und zeigt so viele Proben von dem Mangel ihrer Einsicht, als Auftritte ein Schmarutzer, Kuchenfresser oder altenburgischer Bauer, nur aufzuweisen hat; der verwünschten Jungfer hier nicht zu gedenken, die vollends das Abgeschmackte aufs höchste treibt. Was aber die gemeinen Possenspieler aufführen, das ist entweder aus einem Roman zusammen gestümpelt; oder aus der Ollapatrida entlehnet. Daher ist es kein Wunder, daß man noch nichts gescheidtes vorstellen sieht, dafern es nicht irgend aus Molieren entlehnt, oder ganz übersetzet worden.

13. §. Die Comödie ist nichts anders, als ein Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. So hat sie Aristoteles beschrieben, und zugleich erkläret, was er durch das Lächerliche verstünde. Er sagt aber sehr wohl, daß es was ungestaltes oder ungereimtes sey, das doch demjenigen, der es an sich hat, keinen Schmerz verursachet: wobey er aus dem Homer das Gesicht des Thersites zum Exempel anführet. Es ist also wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte noch das Lächerliche für sich allein, in die Comödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend, ist aber mehr strafbar und widerlich, oder gar abscheulich, als lächerlich. Vieles ist auch lächerlich; wie zum Exempel die Harlekinspossen der Italiener: aber darum ist es doch nicht lasterhaft. Beydes gehört also nicht zum Wesen eines rechten Lustspiels: denn


OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUIT VTILE DULCI,

LECTOREM DELECTANDO PARITERQUE MONENDO.


Nun weis ich zwar, daß ein gelehrter Mann, in einer Einladungschrift neulich auch die Möglichkeit einer ganz tugendhaften Comödie hat behaupten wollen, die doch lustig seyn sollte. Allein seine Einwürfe gegen diese meine Erklärung der[348] Lustspiele, lassen sich gar wohl beantworten, wie ich im letzten Stücke des VII. Bandes, meiner critischen Beyträge gewiesen habe.

14. §. Nach dieser Regel ist es leicht, alle Comödien zu beurtheilen: wo man denn finden wird; daß eine große Menge nicht nach den Regeln der Vernunft gemacht ist. Z.E. Machiavellus hat die Mandragola gemacht; die zwar sonst ziemlich regelmäßig ist; aber weiter nichts, als einen durch viele Spitzfindigkeiten betrogenen Ehmann vorstellt. Der gute Kerl wird im höchsten Grade lächerlich gemacht; indem er seinen Nebenbuhler selbst zu seiner Frauen ins Bette führet, ihn nackt auszieht, hineinlegt, und in der Kammer verschließt: alles in der Absicht, daß selbiger das Gift von seiner Ehegattinn an sich ziehen möge, welches eine Wirkung der Arzeney bey ihr seyn sollte, die man derselben, ihrer Unfruchtbarkeit halber, eingegeben hatte. Allein, was fließt denn aus dieser lächerlichen Handlung für eine Lehre? Keine andere, als daß man keinen Galan zu seiner Frauen führen solle. Ich untersuche hier nicht einmal die Wahrscheinlichkeit der Fabel, die zwar auf der Schaubühne gut genug ausgekünstelt ist; aber gewiß im gemeinen Leben nicht angehen würde. Will man etliche molierische Comödien, auf diese Art untersuchen, so wird man eben diesen Fehler auch bey denenselben, sehr häufig und handgreiflich antreffen.

15. §. Zu einer comischen Handlung nun kann man eben so wenig, als zu tragischen, einen ganzen Character eines Menschen nehmen, der sich in unzähligen Thaten äußert; als z.E. einen Cartousche mit allen seinen Spitzbübereyen. Es muß eine einzige recht wichtige Spitzbüberey genommen werden, dazu viele Anstalten gehören, ehe sie ausgeführet werden kann; die aber, vieler Schwierigkeit ungeachtet, gelinget, und also eine Handlung ausmacht. Diesen Erfolg derselben lächerlich zu machen, dazu gehört, daß entweder Cartousche, oder der, so von ihm betrogen wird, auslachenswürdig werde. Dieses letztere zu versuchen, müßte man etwa dichten, es[349] hätte sich jemand in Paris so klug dünken lassen; daß ihn Cartousche mit aller seiner List nicht sollte betrügen können. Dieses hätte er sich in einer Gesellschaft gerühmet, wo dieser Räuber selbst, doch unerkannt, zugegen gewesen; und dadurch demselben Lust gemacht, seine Kunst an ihm zu erweisen. Man könnte nun einen von den listigsten Streichen dieses Spitzbuben wählen, und den so überklugen Mann, zum Ueberflusse, erst durch gewisse Leute warnen lassen, wohl auf seiner Hut zu stehen; endlich aber doch betrogen werden lassen. Hier würde nun freylich wohl die Comödie ein lustiges Ende nehmen; aber nicht die Spitzbüberey; sondern die eingebildete Klugheit des Betrogenen würde dadurch zum Gelächter werden; und die Morale würde heißen: Man solle sich nicht zu weise dünken lassen, wenn man mit verschmitzten Leuten zu thun hat; vielweniger mit seiner vorsichtigen Behutsamkeit pralen, weil dieses uns die Leute nur desto aufsätziger macht.

16. §. Die Fabeln der Comödie werden also auf eben die Art gemacht, als die tragischen; und können eben sowohl in schlechte, einfache und gemeine, dergleichen die obige ist; und in verworrene, die eine Entdeckung, oder doch einen Glückswechsel haben, eingetheilt werden. Ein Exempel von dieser giebt die Andria des Terenz ab, die für eines atheniensischen Bürgers Tochter erkannt, und also durch eine gute Heirath auf einmal glücklich wird. In meiner Schaubühne, haben der politische Kanngießer, der deutsche Franzose, das Gespenste mit der Trummel, und der poetische Dorfjunker, solche Entdeckungen unbekannter Personen in sich. Der Menschenfeind aber, die Spielerinn, der Bramarbas, der Verschwender, u.a.m. sind Fabeln von der ersten Art. Dem ungeachtet haben doch alle ihren gewissen Knoten, der sich im Anfange der Comödie einwickelt, und hernach geschickt und wahrscheinlich auflöset. Dieses ist nun die ganze Kunst. Die Italiener machen gemeiniglich gar zu viel unnatürliche Künsteleyen. Sie verkleiden sich unzähligemal. Bald ist der Liebhaber[350] eine Seule, bald eine Uhr, bald eine Trödelfrau, bald ein Gespenste, bald gar eine Baßgeige; um nur zu seinem Zwecke zu gelangen. Denn weiter ist bey ihren Comödien ohnedieß, an nichts zugedenken; als an Liebesstreiche, da man entweder die Aeltern oder die Männer betrüget. Diese Materie aber ist schon so abgedroschen, daß ich nicht begreifen kann, wie man sie nicht längst überdrüßig geworden. Eben so kömmt es mir vor, wenn sich alle Stücke mit dem Heirathen endigen. Ist denn weiter nichts in der Welt, als das Hochzeitmachen, was einen frölichen Ausgang geben kann? Moliere selbst hat sich dieses Kunstgriffes zu oft bedienet: da er doch fähig gewesen wäre, hundert andere Verwickelungen und Auflösungen seiner Fabeln zu erfinden. Wir erwarten itzo ein Tractat von dem Herrn Riccoboni, darinn er zu einer gänzlichen Verbesserung der Schaubühne, Vorschläge thun, und Mittel an die Hand geben wird, sie mit der Vernunft, Politik und Religion in eine völlige Uebereinstimmung zu bringen.

17. §. Die Personen, die zur Comödie gehören, sind ordentliche Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stande, dergleichen auch wohl zur Noth Barons, Marquis und Grafen sind: nicht, als wenn die Großen dieser Welt keine Thorheiten zu begehen pflegten, die lächerlich wären; nein, sondern weil es wider die Ehrerbiethung läuft, die man ihnen schuldig ist, sie als auslachenswürdig vorzustellen. In Griechenland machte sich zwar Aristophanes nichts daraus, den Xerxes mit einer Armee von 40000 Mann auf einen ganz güldenen Berg marschieren, und ihn also in einer königlichen Pracht seine Nothdurft verrichten zu lassen. Allein, das war ein republikanischer Kopf, der wohl wußte, daß die Griechen am liebsten über die Könige lachten: zu geschweigen, daß er auch die Thorheit des Xerxes auf eine unnatürliche Weise vergrößert hat. Plautus hat seinen Amphitryon eine Tragicomödie genennt; weil er glaubte, daß königliche Personen allein für die Tragödie gehöreten. Allein eine Tragicomödie giebt einen so ungereimten Begriff, als wenn ich sagte, ein lustiges[351] Klagelied. Es ist ein Ungeheuer; und da der Ausgang seines Amphitryons lustig ist: so hätte ers nur immer schlechtweg eine Comödie nennen dörfen. Eben das ist von des Boursault Aesopus bey Hofe zu sagen, den derselbe aus gleicher Ursache COMEDIE HEROIQUE betitteln wollen; aber auch eben darum, ohne alle Noth einen neuen Namen ersonnen hat.

18. §. Die ganze Fabel einer Comödie muß, ihrem Inhalte nach, die Einheit der Zeit und des Ortes, eben so wohl, als die Tragödie, beobachten. Ein Haus oder ein Platz auf öffentlicher Straße muß der Schauplatz werden, wenn sie in der Stadt vorgeht: sonst könnte es auch wohl ein adelicher Pallast, ein Garten, oder bey Schäferstücken ein Wäldchen seyn. Aber wie er einmal ist; so muß er das ganze Stück durch bleiben, wie oben schon erwiesen worden. In diesem Stücke nun ist Herr Prof. Hollberg in seinem Kannengießer, deutschen Franzosen, und Bramarbas nicht gar zu genau bey der Regel geblieben; indem einige Auftritte vor, andere aber in den Häusern vorgehen. Die Zeit darf auch nicht länger, als etliche Stunden, nicht aber ganze Tage und Nächte dauren. Die Eintheilung derselben muß eben sowohl, wie oben in Trauerspielen, in fünf Aufzügen geschehen, ungeachtet die Italiener nur dreye zu machen pflegen: denn sonst wer den sie gemeiniglich gar zu lang, und bekommen so viel Auftritte hinter einander, daß man sich verwirret. Man zählt aber die Scenen nach dem Auf- und Abtritte einer Person. So bald eine kömmt, oder eine weggeht, so rechnet man einen neuen Auftritt: und nachdem sie kurz oder lang gerathen, nachdem müssen auch viele oder wenige zu einem Aufzuge seyn. Das merke ich hier abermal an, daß die Schaubühne niemals ganz leer werden muß, als bis der Aufzug aus ist. Es läßt häßlich, wenn hier ein Paar Personen davon laufen, und dort ein Paar frische hervor treten, die mit einander kein Wort zu wechseln haben: und da kann es leichtlich kommen, daß die Zwischenfabeln nicht recht mit der Hauptfabel zusammen hängen. Wenn also jemand auftritt, so muß er allezeit jemanden finden, mit dem er redet:[352] und wenn jemand weggeht, so muß er einen da lassen, der die Bühne füllet, es wäre denn, daß er mit Fleiß dem Neuankommenden ausweichen wollte. Das heißt beym Boileau:


ET LES SCENES TOUJOURS L'UNE À L'AUTRE LIÉES.


19. §. Da ich von Auftritten handle, so muß ich auch der einzelnen gedenken, wo nur eine Person auftritt. Bey den Alten zwar hatten diese mehr Wahrscheinlichkeit, als bey uns; weil nämlich damals der Chor allezeit auf der Bühne stund, und mit für eine Person anzusehen war: und also redete da die einzelne Person nicht mit sich selbst. Bey uns aber ist die Bühne leer; und die Zuschauer gehören nicht mit in die Comödie: folglich hat die Person niemanden, den sie anreden könnte. Kluge Leute aber pflegen nicht laut zu reden, wenn sie allein sind; es wäre denn in besondern Affecten, und das zwar mit wenig Worten. Daher kommen mir die meisten einzelnen Scenen sehr unnatürlich vor; und außer der ersten im Geizhalse des Moliere, wüßte ich fast keine zu nennen, die mir gefallen hätte. Eben darum habe ich auch aus des Herrn Prof. Hollbergs Bramarbas den ersten Auftritt, den der Schlaukopf allein hatte, und der ziemlich lang war, ganz weggelassen; auch in dem Kannengießer an einigen Stellen solche kleine Fehler zu vermeiden gesucht. Man hüte sich also davor, so viel man kann; welches auch mehrentheils angeht, wenn man dem Redenden noch sonst jemand zugiebt, der das, was er sagt, ohne Gefahr wissen und hören darf. Eben so übel steht es, wenn jemand für sich auf der Schaubühne redet, doch so, daß der andre, der dabey steht, es nicht hören soll; gleichwohl aber so laut spricht, daß der ganze Schauplatz es verstehen kann. Was hier für eine Wahrscheinlichkeit stecke; das habe ich niemals ergründen können: es wäre denn, daß die anwesende Person auf eine so kurze Zeit ihr Gehör verlohren hätte. Siehe von beyden Stücken des Abts Hedelin von Aubignac Buch von Ausübung der theatralischen Dichtkunst, nach des Herrn von Steinwehr Uebersetzung.[353]

20. §. Von den Characteren in der Comödie ist weiter nichts besondres zu erinnern; als was bey der Tragödie schon vorgekommen ist. Man muß die Natur und Art der Menschen zu beobachten wissen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte, und jedem Volke solche Neigungen und Gemüthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt sind. Kömmt ja einmal was außerordentliches vor; z.E. daß etwa ein Alter nicht geizig, ein Junger nicht verschwenderisch, ein Weib nicht weichherzig, ein Mann nicht beherzt ist: so muß der Zuschauer vorbereitet werden, solche ungewöhnliche Charactere für wahrscheinlich zu halten; welches durch Erzählung der Umstände geschieht, die dazu etwas beygetragen haben. Man muß aber die lächerlichen Charactere nicht zu hoch treiben. So bald der Zuschauer glauben kann, so gar thöricht würde wohl kein Mensch in der Welt seyn: so bald verliert der Character seinen Werth. Darinn verstoßen es zuweilen auch die besten Poeten; wie oben von dem Geizhalse des Moliere bemerket worden. Terentius ist hierinn überaus geschickt gewesen. Alle seine Bilder leben: Boileau schreibt davon:


CONTEMPLEZ DE QUEL AIR UN PERE DANS TERENCE,

VIENT D'UN FILS AMOUREUX GOURMANDER L'IMPRUDENCE.

DE QUEL AIR CET AMANT ÉCOUTE SES LEÇONS,

ET COURT CHEZ SA MAITRESSE OUBLIER CES CHANSONS.

CE N'EST PAS UN PORTRAIT, UNE IMAGE SEMBLABLE,

C'EST UN AMANT, UN FILS, UN PERE VERITABLE.


Siehe auch in dem ersten Theile der eigenen Schriften der deutschen Gesellschaft, des Herrn von Brück sein Gedicht von der Dichtkunst an verschiedenen Orten, sonderlich auf der 20. und folgenden Seite, wo von der Comödie gehandelt wird.

21. §. Von den Affecten ist hier ebenfalls nichts neues zu sagen; als daß man die tragischen, nemlich die Furcht, das Schrecken und Mitleiden zu vermeiden habe. Daher hat Destouches[354] viel gewagt, da er in seinem Verschwender diesen Affect zu erregen gesucht, doch so, daß er sich wieder in Freude verwandelt. Siehe der deutschen Schaubühne III. Theil. Alle übrige finden in der Comödie auch statt. Ein zorniger Chremes, ein verliebter Pamphilus, ein stolzer Thraso, ein lustiger Davus, u.d.m. das sind solche Gemüthsbewegungen, die eben kein Schrecken, auch keine Verwunderung erwecken. Der Menedemus im Terenz ist indessen so beschaffen, daß er gleich ein Mitleiden bey uns erwecket: doch da solcher Affect nur gelinde bleibt; so ist es eben kein Fehler. Von der Liebe und Lustigkeit darf man wohl keine Regeln geben: denn darauf verfallen die gemeinsten Comödienmacher von sich selbst. Sie mögen sich nur in acht nehmen, daß sie in der ersten, nicht die Gesetze der Schamhaftigkeit und Zucht, in der andern die Ehrbarkeit nicht aus den Augen setzen. Das will Boileau:


LE COMIQUE, ENNEMI DES SOUPIRS & DES PLEURS,

N'ADMET POINT EN SES VERS DE TRAGIQUES DOULEURS.

MAIS SON EMPLOI N'EST PAS D'ALLER DANS UNE PLACE,

DE MOTS SALES & BAS CHARMER LA POPULACE.

IL FAUT QUE SES ACTEURS BADINENT NOBLEMENT.


Diese Regel ist um desto nöthiger zu wiederholen und einzuschärfen, da auch Leute, die sich einer verbesserten Schaubühne rühmen, und sich selbst für die Verbesserer derselben ausgeben, mit solchen Fratzen aufgezogen kommen; und durch das niedrigste Zeug ihre Zuhörer zu belustigen suchen. Ja sie mengen wohl in solche Stücke Zoten ein, die von ihren Verfassern aufs ehrbarste abgefasset worden, wie es in dem Gespenste mit der Trummel gegangen, welches im II. Theile der deutschen Schaubühne steht.

22. §. Und dieses führet mich auf die Schreibart der Comödien. Sie besteht aus den Gedanken und Ausdrückungen derselben, und hierinn ist die Comödie von der Tragödie sehr[355] unterschieden. Das macht, daß dort fast lauter vornehme Leute; hier aber Bürger und geringe Personen, Knechte und Mägde vorkommen: dort die heftigsten Gemüthsbewegungen herrschen, die sich durch einen pathetischen Ausdruck zu verstehen geben; hier aber nur lauter lächerliche und lustige Sachen vorkommen, wovon man in der gemeinen Sprache zu reden gewohnt ist. Es muß also eine Comödie eine ganz natürliche Schreibart haben, und wenn sie gleich in Versen gesetzt wird, doch die gemeinsten Redensarten beybehalten.. Hierinn ist Terentius abermal unvergleichlich. Molieren hat Fenelon in seinen REFLEX. SUR LA RHETORIQUE & LA POETIQUE deswegen getadelt; wie ich oben aus ihm bereits angeführet habe. Siehe die deutsche Uebersetzung davon vor dem ersten Theile der deutschen Schaubühne. Es ist also kein Zweifel, ob man auch in Versen Comödien schreiben könne? Menander, Terenz, und Moliere habens gethan; warum sollte es im Deutschen nicht angehen? Wir haben auch im Deutschen schon etliche Exempel davon erlebet, die nicht übel gerathen sind. Nur es muß keine poetische Schreibart darinnen herrschen, und außer dem Sylbenmaaße sonst nichts gleißendes oder gekünsteltes dabey vorkommen. Es schicken sich aber nach dem Muster der Alten keine andere, als jambische Verse dazu, und zwar lange sechsfüßige, oder gar achtfüßige, mit ungetrennten Reimen; oder welches noch besser wäre, ohne alle Reime, wie auch die Italiener des XV. Jahrhunderts sie gemacht haben, und die Engländer sie noch diese Stunde machen. Man sehe, was davon im VI. und VII. Bande der critischen Beyträge für Streitschriften gewechselt worden.

23. §. Von der Lustigkeit im Ausdrucke möchte mancher fragen, wie man dazu gelangen könne? Ich antworte, das Lächerliche der Comödien muß mehr aus den Sachen, als Worten entstehen. Die seltsame Aufführung närrischer Leute, macht sie auslachenswürdig. Man sehe einen Bramarbas und Stiefelius, einen deutschen Franzosen und politischen Kannengießer in unsrer Schaubühne an: so wird man sich des Lachens[356] nicht enthalten können; obgleich kein Wort an sich lächerlich ist. Imgleichen des Racine Comödie von der Proceßirsucht macht die Liebhaber der Zänkereyen, imgleichen die französischen Advocaten lächerlich, die in ihren Klag- und Schutzreden eine übel angebrachte Gelehrsamkeit zeigen wollen. Dieses ist nun das wahre Belustigende in der Comödie. Allein kleine Geister, die keine Einsicht in die Moral besitzen, und das ungereimte Wesen in den menschlichen Handlungen weder wahrnehmen noch satirisch vorstellen können, haben sich auf eine andre Art zu helfen gesucht. Sie haben das Lächerliche nicht in den Sachen, sondern in närrischen Kleidungen, Worten und Geberden zu finden gemeynet. Daher hat Harlekin und Scaramutz die Hauptperson ihrer Lustspiele werden müssen. Diese müssen durch bunte Wämser, wunderliche Posituren und garstige Fratzen, den Pöbel zum Gelächter reizen. Von diesen allen haben die Alten nichts gewußt; und es gehört mit unter die phantastischen Erfindungen der Italiener, die jemand in der Vorrede zu einer französischen Comödie, HARLEQUIN AUX CHAMPS ELISÉES, verspottet hat. Siehe des Pater Poree Rede; ob die Schaubühne eine Schule guter Sitten seyn kann? so, wie Herr Professor May dieselbe übersetzet, und mit einer feinen Abhandlung vermehret hat.

24. §. Terenz hat seine Comödien ohne eine lustige Person lächerlich genug zu machen gewußt: das neue französische Theater hat gleichfalls bisher keinen Harlekin nöthig gehabt, die Zuschauer zu belustigen, obgleich Moliere darinn ein böses Exempel gegeben hatte. Destouches, und einige andere nämlich, haben sich gar wohl ohne diese phantastische Person behelfen können: und ein Poet setzet sich wirklich in Verdacht, als verstünde er sein Handwerk, das ist, die Satire nicht; wenn er ohne die Beyhülfe eines unflätigen Possenreißers, nichts lustiges auf die Schaubühne bringen kann. Boileau hat diese schmutzige Zoten seinen Schülern ernstlich untersagt; und den Moliere selbst nicht geschont, der sich auch oft dem Pöbel in diesem Stücke bequemet hatte.[357]


ETUDIEZ LA COUR, & CONNOISSEZ LA VILLE,

L'UNE & L'AUTRE EST TOUJOURS EN MODÉLES FERTILE.

C'EST PAR LÀ QUE MOLIERE, ILLUSTRANT SES ECRITS,

PEUT-ÊTRE DE SON ART ÊUT REMPORTÉ LE PRIX;

SI MOINS AMI DU PEUPLE, EN SES DOCTES PEINTURES,

IL N'EUT POINT FAIT SOUVENT GRIMACER LES FIGURES;

QUITTÉ POUR LE BOUFFON, L'AGREABLE & LE FIN,

ET SANS HONTE À TERENCE ALLIÉ TABARIN.


Hieraus ist nun leicht zu schließen, was von dem THEATRE ITALIEN und THEATRE DE LA FOIRE, wo lauter abgeschmacktes Zeug vorkömmt, für ein Werks zu machen sey: darüber ein Kluger entweder gar nicht lacht; oder sich doch schämt, gelachet zu haben; imgleichen was von allen deutschen Narren zu halten sey, sie mögen nun von alter Erfindung seyn, wie Hans Wurst oder Pickelhering, dessen sich Weise noch immer bedienet hat; oder auch von neuer Art, wie der sogenannte Peter, oder Crispin, oder wie sie sonst heißen mögen. Eben die Gründe, die wider jene streiten, sind auch allen diesen Geschöpfen einer unordentlichen Einbildungskraft zuwider, die kein Muster in der Natur haben.

25. §. Maschinen müssen in Comödien nicht vorkommen: weil die Götter sich in die thörichten Handlungen schlechter Leute nicht mischen. Eben darum ist Timon der Misanthrope nicht zu billigen, der in dem dritten B. der eigen. Schr. der deutschen Gesellschaft übersetzt ist; weil hier der Gott Merkur mit auftritt. Die Zaubereyen oft anzubringen, das ist auch nichts schönes; weil es nicht mehr wahrscheinlich ist. Es wäre denn auf diese Art, wie es in dem Gespenste mit der Trummel geschehen ist. Die Kleidungen der Personen müssen nach ihrem Character und Stande eingerichtet seyn: nur der Harlekin hat hier, ich weis nicht warum, eine Ausnahme. Er soll zuweilen einen Herrendiener bedeuten: allein, welcher Herr würde sich nicht schämen, seinem Kerle eine so buntscheckigte Lieberey zu geben? Der Scapin hat eine spanische[358] Tracht; und das kann man in einem spanischen Stücke schon gelten lassen; allein bey uns schickt sichs nicht. Den Scaramutz, Pantalon, Anselmo, Doctor und Capitain, Pierrot und Mezetin, und wie die närrischen Personen der italienischen Comödien mehr heißen, können wir auch entbehren. Denn warum soll man immer bey einerley Personen bleiben? Die Namen dörfen auch in einer Comödie nicht aus der Historie genommen werden. So bald die Personen neue Charactere haben, müssen sie auch neue Namen bekommen: um die Verwirrung zu vermeiden, die sonst bey dem Zuschauer vieler Comödien entstehen könnte. Die Verzierungen der Schaubühne stellen den Ort vor, wo die ganze Fabel gespielet wird. Gemeiniglich ist es ein Bürgerhaus, oder eine Gasse der Stadt, da man an beyden Seiten verschiedene Häuser sieht. Die Musik anlangend, so wissen wir, daß in der neuen Comödie und bey den Römern keine Chöre gebraucht worden. Indessen steht doch auf den terenzischen Comödien: MODOS FECIT FLACCUS CLAUDII F. TIBIIS PARIBUS DEXTRIS ET SINISTRIS. Was das zu bedeuten habe, das mögen die Liebhaber der Alterthümer untersuchen. Vermuthlich hat man zwischen den Handlungen, an statt der vormaligen Oden, eine kleine Musik damit gemacht: denn daß die ganze Comödie abgesungen, und mit einer Instrumentalmusik wäre begleitet worden; davon findet man nicht die geringsten Spuren.

26. §. Wir Deutschen müssen uns so lange mit Uebersetzungen aus dem Französischen behelfen, bis wir werden Poeten bekommen, die selbst etwas regelmäßiges machen können. In meiner Schaubühne habe ich ihnen nunmehr zehn Muster von der guten Art vorgeleget; wenn sie sich den Geschmack nach diesen bilden, so werden sie auf keinen unrechten Weg gerathen. Es sind auch bereits verschiedene Proben von guten Köpfen gemacht worden, die ich in den folgenden Theilen ans Licht stellen werde. Es kömmt nur darauf an, daß unsre große Herren sich endlich einen Geschmack von deutschen Schauspielen beybringen lassen: denn so lange sie[359] nur in ausländische Sachen verliebt sind, so lange ist nicht viel zu hoffen. Etliche von unsern Comödianten haben ihre Schaubühne allbereit bey vielen Kennern durch die ordentlichsten und auserlesensten Stücke beliebt gemacht; und wenn sie fortfahren, so wird auch mit der Zeit in diesem Stücke Deutschland den Ausländern nichts nachgeben dörfen.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 335-360.
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