585. Das heilige Blut zu Wasserleben.683

[532] Es haben im Dorfe Wasserleben um 1230 zwei Schwestern gewohnt, die eine reich, die andere arm; die arme hieß Armgart; selbige fragte ihre Schwester, wie es doch kommen möchte, daß, ob sie sich schon es sauer werden ließe, sie dennoch immer sehr arm bliebe, sie aber hingegen reich würde und doch nicht halb so sehr arbeite, worauf die reiche geantwortet und gesagt hat, sie hätte unsern Herr-Gott im Kasten. Wie nun diese Armgart am heil. Ostertage zum Sacrament ist gegangen und die Hostie in ein rein Tüchlein ausgespeit mit sich nach Hause genommen, und in selbigem Tüchlein in ein klein Schränklein gethan und in einen großen Kasten verschlossen, hernachmals aber zu einer Zeit darnach sehen wollen, hat sie die Hostie mit dem Tüchlein ganz blutig befunden und sich dafür entsetzt, es ober ihrem Mann gezeiget, der sich denn noch mehr darüber erschreckt, es auch sofort an den Pfarrherrn geklagt, welcher sich nicht wenig mit Schrecken darüber verwundert und vorher dem Bischof Friedericus zu Halberstadt hinterbracht. Worauf derselbe mit aller seiner Geistlichkeit in einer großen Prozession nach Wasserleben gekommen, Gott zu Lob und Ehren allerhand geistliche Lobgesänge, unter andern auch diesen gesungen: »Christe, Du bist mild und gut, hilf uns durch Dein theures Blut, durch Deine heiligen fünf Wunden, daß wir im rechten Glauben stets werden erfunden. Kyrie Eleison.« Und wie die ersten zu Wasserleben ankamen, waren die letzten noch zu Halberstadt im Thum. Als nun der Bischof Friedrich das wunderbarliche Sacrament mit dem blutigen[532] Tüchlein in aller Ehrverbietung und mit gebogenen Knieen empfing, legte er es in einen silbernen vergüldeten Kelch und wollte solches mit der Prozession nach Halberstadt in den Thum tragen; wie er aber zu Heudeber (oder Hausler) in die Kirche kommt, daselbst man etliche Lobgesänge gesungen, und den Kelch vom Altar wieder aufnehmen und nach Halberstadt tragen wollte, hat das Blut im Kelche angefangen zu quellen, als wollte es gar übergehen, worüber der Bischof und seine Klerisei sammt dem Volke sehr erschrocken, und vermahnte sie alle mit Thränen, Gott um seine Gnade zu bitten und daß er ihnen hierin seinen Willen offenbaren wollte, wie sie sich in diesem großen Mirakel und Wunderwerke verhalten sollten, damit sie selbigem recht nachkommen möchten. Da nun solches geschehen, sprach der weise Meister Johannes Semeca Thumprobst zu dem Bischof: »Lieber Vater, es dünkt mich billig zu sein, wenn dies Wunderblut an dieser Stätte bleibe, da Gott also sein Wunder gezeiget und erwiesen hat zu seinem ewigen Gedächtniß.« Ließen es also da und ward hernach solche große Wallfahrt und Zulauf des Volkes aus allen Landen, daß daselbst geopfert wurden sechs Himten Pfennige, wovon der Bischof das Jungfrauenkloster zu Wasserleben zu bauen angefangen, welches nach dessen Tode von Bischof Ludolpho größer gemacht und vollends ausgebaut worden. Es mißfiel aber Johanni Semecä dieser Concurs des gemeinen Volkes allezeit und hätte ihn gerne gestillet, darum mußte noch ein Priester die blutige Hostie sumiren, den Kelch aber ließ er im angefangenen neuen Thum zu Halberstadt in einen Pfeiler vermauern und sprach: »Es ist der Leichnam und das Blut Christi uns zu einem andern Gebrauch verordnet und eingesetzt.« Das blutige Tuch aber blieb zu Heudeber (oder Hausler) und Wasserleben als Heiligthum, doch kriegten die Braunschweigischen Herren mit dem Grubensegen etwas davon, welches sie nach Eimbeck in St. Alexanders Münster brachten und allda in großen Ehren hielten in einer sonderlichen Kapelle.

683

S. Abel, Sammlung etlicher alter Chroniken. Braunschw. 1732. S. 328.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 532-533.
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