636. Die Sage vom Staufenberg.749

[591] Bei Zorge, einem Braunschweigischen Dorfe auf dem Harz, liegt der Staufenberg, auf dem ehemals eine Burg stand. Jetzt besuchen ihn Neugierige nur wegen einer Klippe, in der sich eine Vertiefung zeigt, die einem Menschenfuß gleicht. Zur Erklärung dieser Fußtapfe erzählt das Volk: Diese Fußtapfe drückte einst die Tochter eines der alten Burgherren dem Felsen ein, auf dem sie oft lange stand, da es ihr Lieblingsplätzchen war. Noch jetzt zeigt sich dort von Zeit zu Zeit das verzauberte Fräulein auf dieser Klippe, in ihren goldgelben geringelten Haaren.

Man sagt, sie lasse sich nur alle sieben Jahre sehen. Nun kam einmal der Hirt früh Morgens aus der Zorge und hatte da seine Trift hindurch. Da stand die Jungfrau auf der Klippe, wo ihr Fuß eingedrückt sein soll, und sang mit heller, fröhlicher Stimme. Sie kam von der Klippe herunter auf ihn zu und fragte ihn, ob er sie erlösen wolle? Er aber antwortete: »wenn er es könne, wolle er es thun.« »Dann solle er am andern Morgen wieder hierher kommen, so wolle sie wieder hier erscheinen. Da würde sie zuerst so wie heute aussehen, dann aber müsse er ihr als Schlange einen Schlangenkuß geben.« Das versprach er. Als er aber am andern Morgen hinkam, stand sie auf der Klippe und sang vor wie nach. Als nun sein Vieh vorbei war, kam sie als Schlange herunter, sprang an ihm in die Höhe, daß er sie küssen sollte, er aber kam nicht dazu, sondern wendete sich hin und her. Da war sie verschwunden, hat aber dabei einen solchen Kreisch gethan, daß der Schäfer von der Zeit an taub gewesen ist.

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Nach Otmar S. 37.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 591.
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