644. Der Sarg in der Kirche zu Gundersleben.757

[601] Im Jahre 1390 wählten die Domherren zu Halberstadt den Grafen Ernst von Hohenstein, bisherigen Propst zu Goslar, zum Bischof, allein sie hatten eine unglückliche Wahl getroffen, denn derselbe war ein wilder, herrschsüchtiger Mann, der mit Niemandem in Frieden lebte und gleichzeitig auch ein höchst verschwenderisches, unchristliches Leben führte. Darüber machte ihm einst der Domprobst von Hardenberg bei einer Kapitelversammlung scharfe Vorwürfe, die den Jähzorn und die Rachsucht des Bischofs so reizten, daß derselbe bei einer am nächsten Tage abgehaltenen Prozession besagten Propst mitten aus den Reihen der Betenden entführen und auf sein Schloß zu Gröningen, wo die Bischöfe von Halberstadt Hof zu halten pflegen, bringen ließ. An der dicken Mauer des Kellers ward der unglückliche Mann mit Ketten fest angeschlossen, als sollte er hier ewig gefangen gehalten werden, der Bischof aber ließ einige Bürger aus Halberstadt kommen und befahl ihnen, ein Faß Bier aus dem Keller zu ziehen. Die Schwerarbeitenden, nicht ahnend die List und Grausamkeit ihres geistlichen Oberhauptes, müheten sich, einander ermunternd, mit Ziehen ab, bis aus des Kellers Oeffnung der blutende Kopf des Dompropstes vom Rumpfe getrennt, die Haare mit dem Seile verschlungen, zu ihrem größten Schrecken zum Vorschein kam. Mit einem Schrei des Entsetzens entflohen die unschuldigen Handlanger dieser Greuelthat und verkündeten dieselbe in Gröningen. Da erhoben sich die Bürger und der Bischof sah sich genöthigt, nach seiner Burg Wegeleben zu entfliehen. Zwar vermochte ihm die Wuth seiner Unterthanen hinter den festen Mauern nichts anzuhaben, allein dafür that ihn der Papst in den Bann und das böse Gewissen, welches das blutende Haupt des Propstes jede Stunde vor seine Augen führte, ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. So ward jede Minute seines Lebens ihm zur langsamen Hinrichtung und endlich machte am 6. December 1400 der Tod seinem qualvollen Leben ein Ende. Da begegnete ihm etwas Unerhörtes. Er war noch nicht wieder aus dem Banne gelöst; da nun einem Gebannten ein Grab in geweihter Erde versagt war, so wollten die Ritter von Wegeleben seine Leiche weder in der Burg noch im Erbbegräbnisse aufnehmen, die Wegeleber verschlossen ihm Kirche und Friedhof und die Halberstädter wollten ihn nicht in die Thore lassen. Die Gemeinde in Gundersleben (ein Ort, welcher nahe bei Wegeleben liegt) entschloß sich endlich, die Leiche im bleiernen Sarge so lange zu sich zu nehmen, bis es den Verwandten des Bischofs gelungen wäre, beim Papst die Befreiung vom Bannstrahle zu bewirken. Man hängte nun in der Kirche zu Gundersleben den Sarg oben an dem Gewölbe mit Ketten wohl befestigt auf und so hing er sieben Jahre daselbst. Papst Gregor XII. nahm endlich 1407 den Bannfluch zurück und nun ward die Leiche in Halberstadt mit einer Prozession in der Stiftskirche beigesetzt.

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S. Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 286 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 601.
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