645. Der Lange Matthies zu Halberstadt.758

[601] Am 23. November 1423 brach in Halberstadt in der Nacht ein gewaltiger Volksaufstand aus. Ein früherer Krämer, der Lange Matthies genannt, der schon einmal wegen Anstiftung zum Unfrieden der Stadt verwiesen, dann aber wieder begnadigt worden war, hatte den Pöbel gegen den Rath aufgehetzt, man erbrach die Häuser der Rathsherren und schlug außer andern Greuelthaten dem Bürgermeister Lohbeck, dem Kämmerer Alsleben und den beiden Zinsherren Bertram und Querstedt die Köpfe ab und der Lange Mathies und seine Spießgesellen wurden von dem bethörten Volke in die Aemter der Gemordeten eingesetzt. Allein der Bischof von Halberstadt Johann von Hoym, der damals der Stadt nicht hatte zu Hilfe kommen können, sammelte ein Heer, welches namentlich durch die Bürger der benachbarten Städte verstärkt ward, und belagerte die Stadt (am 29. Juli 1425) und setzte ihr so zu, daß der Lange Matthies und seine Anhänger bald merkten, sie würden sich nicht halten können. Sie entschlüpften also in Bauerkleidern, allein sie wurden ergriffen und zum Grafen von Reinstein gebracht. Kaum waren aber die Bürger davon unterrichtet, daß ihre Peiniger zum Theil entflohen seien, so öffneten sie dem Bischof die Thore und lieferten zwei der Hauptübelthäter, den neuen Bürgermeister Reinike und des Langen Matthies Bruder Hans aus und beide wurden sammt dem schon gefangenen Matthies und dem Sohne desselben enthauptet und ihre Körper an verschiedenen Stellen auf freiem Felde verscharrt und zum Gedächtniß an diesen Stätten lange Steine aufgerichtet, welche noch heute zu sehen sind und »lange Matthiese« genannt werden. Die Bürgerschaft mußte eine bedeutende Geldbuße bezahlen, die Körper der gemordeten Rathsmitglieder wurden aus der Grube auf dem Martinikirchhofe, wo sie der Lange Matthies hatte verscharren lassen, herausgenommen und in der Martinikirche selbst beigesetzt und über ihrer Grabstätte ein Altar errichtet, der mit 5 Mark Halberst. Währung dotirt ward, welche dem Besitzer einer hierzu eigens gestifteten Vicarie jährlich aus der Kämmerei gezahlt werden sollten. Die Urkunden hierüber sind noch im Rathsarchiv vorhanden, sowie auch das Richtschwert, welches das Haupt der Schuldigen getroffen hatte, noch heute in der Klausur verwahrt wird.

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S. Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 308 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 601-602.
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