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[602] Die einst mächtigen Grafen von Reinstein und Blankenburg hatten im 13. Jahrhundert bedeutende Besitzungen in Halberstadt; auf der Stelle, wo jetzt das Franziskanerkloster steht, prangte einst ihr Schloß, wo sie wohnten und gab den naheliegenden Straßen den Namen Klein-Blankenburg. Graf Heinrich der Jüngere von Reinstein, aus dem Hause Hainburg, stiftete das erste Franziskanerkloster auf der Stelle, wo jetzt der Rathskeller steht und verlegte es 1309 dorthin, wo wir es noch jetzt erblicken. Die gräfliche Familie hielt sich zu verschiedenen Zeiten hier auf und so geschah es denn auch, daß einst zwei Gräfinnen von Reinstein in den waldigen Umgebungen auf der Nordseite der Stadt lustwandelten, sich ermüdet an einer frischsprudelnden[602] Quelle niedersetzten und sich der zahllosen Blümchen freuten, die am feuchten Rande entsprossen. Der Spaziergang hatte die schon altwerdenden Gräfinnen ermüdet und nach erquicklicher Ruhe genossen sie vom Krystalltrunke der sprudelnden Quelle. Wunderbar erfrischt und ohne große Anstrengung beendeten sie den Heimweg. Sie wiederholten den Spaziergang öfter und da ihr siecher Körper sich wohler dabei befand als früher, so tranken sie mit Behagen das heilbringende Wasser des Quells. Endlich entschlossen sie sich, an diesem Platze ein Haus zu erbauen, das ihnen zur Stätte der Ruhe würde, wenn die Herbst- und die Winterstürme ihnen nicht mehr erlaubten, sich im Freien aufzuhalten. Ihre Wohlthätigkeit gedachte aber auch der siechen Armen und bald war auch für diese ein freundlicher Aufenthaltsort beschafft. Die Umgegend erhielt bald Kunde vom wohlthätigen Beginnen der Gräfinnen und von dem Heilquell, der der Leiden schon viele gestillt. Viele sieche Frauen kamen, baten um Obdach und willig ward ihnen dasselbe gewährt. Auch eine kleine Kapelle erhob sich in der Nähe des Krankenhauses und ihr helltönendes Glöckchen rief vom Thurme die siechen Bewohner zur Andacht und zum Dankgebet gegen den Höchsten. Der Bischof Hermann, ein Graf von Blankenburg, ertheilte im Jahre 1301 der milden Stiftung des Siechenhofes Statuten, die auf einen besondern Convent schließen lassen, und viele Schenkungen erhoben diese einst kleine Stiftung zum Heile für kranke Frauen und Männer zu dem jetzt noch bestehenden reichen Hospitale.
759 | S. Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 407. |
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
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