115. Der Babelsberg.166

[110] Der Babelsberg soll einst noch eine dritte Kuppe gehabt haben, da wo er jetzt bei der Mühle nach der Stadtseite steil gegen die Havel zu abfällt, deren langsamer Lauf dort in eine kreisende Bewegung übergeht. Auf dieser Kuppe stand die Burg eines mächtigen Wendenritters, der Alles, was durch sein Gebiet zog, brandschatzte und von allen Schiffen, welche die Havel befuhren, einen hohen Zoll erhob. Zu diesem Zwecke hatte er auf den beiden Landzungen bei Sakrow und unterhalb des Babelsbergs zwei Thürme errichtet. Zuweilen dehnte er seine Raubzüge bis jenseits der Elbe aus und von einem derselben brachte er einst ein schönes sächsisches Ritterfräulein zurück, deren Stammsitz er gebrochen und deren Eltern und Verwandte er erschlagen hatte. Er zwang dieselbe seine Gattin zu werden, allein sonst war ihr ein trauriges Loos beschieden, denn nicht allein durfte sie unter den wilden Heiden nicht zu ihrem Gott beten, sondern sie war auch gezwungen, die rohen und schwelgerischen Gelage ihres verhaßten Gemahls zu theilen oder, wenn sie das nicht wollte, mit der Nadel und Spindel sich die einsamen Stunden zu verkürzen. Da kam die Zeit heran, wo sie Mutter werden sollte; ihr Mann war eben auf einem seiner Raubzüge abwesend, und in der Nacht, da sie eines holden Mädchens genas, war sie ganz allein in ihrem Gemach und[110] ohne Hilfe, denn ihre wendischen Dienerinnen verabscheuten sie als eine dem verhaßten Volke der Christen angehörige Person. Da öffnete sich der Boden und kleine Frauen, seltsam anzuschauen, stiegen aus der Erde herauf, standen ihr bei und pflegten sie, badeten dann das neugeborne Mädchen und bekleideten es mit buntem, sonderbar geschmückten Gewande, blieben auch bei der Wöchnerin, bis am Morgen die Diener kamen; als sie aber diese sich nahen hörten, stiegen sie eilig hinab in den Boden, der sich sogleich hinter ihnen schloß. Mechtildis, so hieß die arme Rittersfrau, entsetzte sich erst über diese wunderbaren kleinen Wesen mit den großen Köpfen; als sie aber sah, wie die sie freundlich anschauten und pflegten, faßte sie Vertrauen zu ihnen und trauerte, als sie sie nicht mehr sah. Dies waren die Frauen der kleinen Wichtelmänner, welche ihre Wohnungen in dem Berge hatten, auf welchem, die Burg stand. Diese hatten sonst mancherlei Verkehr mit den Menschen gehabt, allein seit der grausame Wende sich in der Burg angesiedelt, waren sie scheu geworden und ihr Fürst hatte ihnen jede Verbindung mit der Oberwelt untersagt, doch hatte er einige kluge Frauen heraufgeschickt, um der armen Mechtildis beizustehen. Dieselben kehrten auch in den folgenden Nächten wieder zurück, nahmen ihr aber das heilige Versprechen ab, Niemandem von diesem Besuche etwas zu sagen. Das Kind war fast einen Monat alt, als der Vater zurückkehrte. Statt sich aber über das holde Mägdlein zu freuen, zürnte er heftig, weil es kein Knabe sei, und machte seiner Gattin die bittersten Vorwürfe. Als er sie im heftigen Zorne verlassen hatte, kehrten die kleinen Frauen wieder zu ihr zurück, trösteten sie und führten sie hinab mit sich in das Innere des Berges, wo sie ihr alle die Herrlichkeiten des Erdreiches zeigten.

Zwei Winter darauf genas Mechtildis mit Hilfe der Zwerginnen wieder eines Kindes; als sie aber hörte, daß es wieder ein Mägdlein sei, fing sie bitterlich zu weinen und laut zu wehklagen an, so daß sie die kleinen Frauen gar nicht beruhigen konnten. Der Ritter aber, der das Jammern seiner Gattin in seinem Gemach vernahm, trat so plötzlich in das Schlafzimmer derselben, daß die Zwerge nicht mehr Zeit hatten, sich in den Boden zu verbergen, ehe er sie erblickte. Als der Bösewicht sah, daß seine Gattin ihm abermals ein Mädchen geboren, schalt er sie eine Zauberin, die Umgang mit bösen Geistern pflege und seine Kinder vertauscht habe gegen Wechselbälge. So ließ er sie ergreifen und sammt den Kindern hinabstürzen in den tiefen Brunnen auf dem Schloßhofe. Allein die Wichteln fingen sie mit ihren weichen Armen auf, richteten ihr eine freundliche Wohnung ein und pflegten sie wie vorher. Hier wohnte sie, bis das Eis auf der Havel borst und der Schnee an der Mittagsseite des Berges verschwand. Da bemerkte sie auf einmal eine große Unruhe und ein geschäftiges Treiben unter den kleinen Leuten; nicht mehr ward von ihnen gescherzt und gespielt, sondern sie hämmerten und gruben und pochten tief unten in den Eingeweiden des Berges. Auf ihre Frage, was dies zu bedeuten habe, erklärte ihr der Fürst der Zwerge, er sei genöthigt, mit allen seinen Leuten den Berg zu verlassen, weil der Ritter einen Zauberer zu ihrer Vertreibung in die Burg aufgenommen habe. Zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche werde er mit seinem Volke in das Land der Christen nach den Harzbergen ziehen und dorthin möge sie ihn mit ihren Kindern begleiten. Ueber die Ursachen, warum die Zwerge so tiefe Höhlen[111] und Gänge in den Berg trieben, sprach er sich nicht aus, ließ aber eine dunkle Andeutung fallen, daß sich hier bald eine große Veränderung zutragen werde. Als nun der Frühling eingezogen war, da senkten sich dichte Nebelballen über die ganze Gegend und aus ihnen fielen dicke Wassertropfen herunter auf die Erde. Dies hielt mehrere Tage an, dann hob sich der Nebel wieder und bald trieb ihn der Ostwind in langen Streifen aus einander; als aber der blaue Himmel wieder sichtbar ward, da war die dritte Kuppe mit der Burg verschwunden und steil fiel der Abhang des Babelsberges nach der Havel zu ab, welche sie verschlungen und sich an seinem Fuße zu einem weiten Becken ausgedehnt hatte. Die Stelle aber unterhalb der Babelsmühle in der Havel ist noch jetzt die tiefste weit und breit in ihrem Bette, und selten bedeckt hier das Eis den kreisenden Strom.

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Nach Reinhard S. 27 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 110-112.
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