117. Der faule See zu Potsdam.168

[113] In der alten Stadt Potsdam lag einst außerhalb der alten Stadt in der Mitte des jetzigen Wilhelmsplatzes ein tiefer, trüber Wasserpfuhl, der faule See genannt. Diesen benutzte man zu der Zeit, wo man noch auf Hexen und Zauberer fahndete, dazu, auf seiner Oberfläche bei angeblichen Hexen die sogenannte Wasserprobe anzuwenden. Man legte sie gebunden auf das Wasser, und wenn sie untersanken, galten sie für der Zauberei überführt und man verdammte sie zum Feuertode. Die ganze Gegend um den Pfuhl bestand aber aus einem trügerischen, morastigen Boden und oft sank während der Nacht eine scheinbar feste Stelle mit allem, was darauf war, ein. Nun trug es sich einmal zu, daß eine alte Frau zu Potsdam von einem Landstreicher, der ihr hatte Geld abschwindeln wollen und von ihr abgewiesen worden war, aus Rache von diesem beschuldigt wurde, sie habe ihm versprochen, ihn stichfest zu machen, wenn er ihr ein dreijähriges Kind bringen würde, dessen Zunge, Herz und Finger sie zu ihrem Zauber gebrauche. Trotz ihren Betheuerungen, daß sie unschuldig sei, ward ihr nicht geglaubt, sie ward zur Wasserprobe verurtheilt und von dem Henker nach der Wiese am faulen See geführt; derselbe schnürte ihr Hände und Füße fest zusammen, und der Ketzerrichter forderte den anwesenden Ankläger der alten Frau auf, noch einmal seine Anklage zu wiederholen. Derselbe trat auch bereitwillig auf eine etwas erhöhte Stelle in die Nähe des Sees und rief Gott zum Rächer auf, wenn er nicht die Wahrheit spräche, und siehe, plötzlich sank die Stelle, wo er stand, mit ihm in die Erde und der schwarze Moorschlamm schlug über ihm zusammen. Das Volk aber schrie Wunder über Gottes weises Gericht, die alte Frau ward losgebunden und freigesprochen und in feierlicher Prozession zur Kirche geführt, um dem Herrn zu danken. Später ward dieser Pfuhl durch einen Kanal, der in ähnlicher Richtung, wie der jetzt durch die Stadt fließende, geführt war, mit der Havel verbunden; als sich aber Potsdam[113] unter Friedrich Wilhelm bis an das Bassin erweiterte, ließ der König den faulen, die Luft verpestenden Sumpf ausfüllen und seine jetzige Gestalt geben, was aber nur erst nach langer Arbeit gelang, denn der Morast schien unergründlich und oft versank in einer Nacht, was an Steinen und Erde während mehrerer Monate aufgebaut worden war. Endlich kam man aber doch zu Stande, allein noch jetzt senkt sich an manchen Stellen die Fläche des Platzes, der fast alljährlich neu geebnet werden muß.

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Nach Reinhard S. 90 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 113-114.
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