119. Der alte Jäger.170

[114] In dem halbverfallenen einsamen Plantagenhause im Walde an der Saarmunder Straße hat lange ein alter Heideläufer gelebt, der durch seine scharfen, tief eingegrabenen Züge seines vertrockneten Gesichts Jedermann auffiel und selbst durch seine in Wind und Wetter verblichene Kleidung etwas Unheimliches hatte. Vor ihm war kein Holzdieb oder Wildschütz sicher, er fand sie alle heraus und der Volksmund erzählte, er könne an mehreren Orten zugleich im Walde sein. Er sprach nur wenig, und wenn ihn Jemand, der sich verlaufen, im Dickicht begegnete und um den Weg fragte, da gab er fast immer kurze und barsche Antworten. Allein bei bösartigen Wunden und Geschwüren, bei Krämpfen der Kinder, bei Krankheiten der Hausthiere nahm[114] man seine Zuflucht zu ihm, denn er wußte immer den besten Rath, und wenn ihm dann einer aus der mitgebrachten Feldflasche zutrank, wurde er gesprächig und erzählte wunderbare grausige Geschichten von Wölfen und Füchsen und Hirschen, die keine Kugel treffe, und vom Festmachen und andern wunderlichen Dingen. Unter andern erzählte er, er sei einst in der Nacht auf die Fährte von Wilddieben ausgezogen, zwar sei der Himmel ganz schwarz und mit Regenwolken dicht überdeckt gewesen, allein es habe sich doch kein Blatt bewegt. Da sei auf einmal vom Brauhausberge eine große dunkle Masse mit schaurigem Geräusche durch die Luft geflogen gekommen und es sei ihm gewesen, als zögen große dunkle Flecken, einer hinter dem andern, durch die Luft, wie Vögel und doch auch wieder nicht so; er habe die Büchse angelegt und auf gut Glück darauf zu geschossen, und siehe, da habe er etwa in der Entfernung von zwanzig Schritt einen harten Fall auf die Erde gehört, aber nicht gesehen, sondern nur etwas über das Feld nach den Mühlen zu laufen hören, aber mit Schritten, wie sie etwa ein Hinkender so ungleich thue. Er habe sich nun an jener Stelle ein Zeichen gemacht, und als er am andern Morgen wieder hingekommen, habe er auf der Erde Splitter von einem Besenstiel und ein Geflecht von verblühten Pflanzen mit langen grauen Samenfedern, einem Daunenball ähnlich gefunden. Es müßten dies wahrscheinlich Hexen gewesen sein, die von einem ihrer Sabbathe zurückgekehrt seien. Seit jener Zeit wachse nun auf jener Stelle, es war dies der Exercierplatz, der sogenannte Hexenbart, die Brockenanemone171, die sonst nirgends in dieser Gegend gefunden wird.

170

Nach Reinhard S. 205 etc.

171

Es ist dies eine Verwechselung der Pulsatilla Alpensis mit der Pulsatilla pratensis.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 114-115.
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