217. Die alte und die neue Stadt Gardelegen.280

[197] Die Stadt Gardelegen hat vormals nicht an demselben Platze gelegen, wo sie jetzt liegt, sondern eine gute Strecke davon, nahe bei, wo jetzt die Isenschnibbe ist. Hier hat noch vor 300 Jahren ein altes steinernes Kreuz gestanden, an welchem eine unleserliche Inschrift gewesen; zu demselben, welches dem heiligen Petrus zu Ehren soll aufgerichtet gewesen sein, ist damals alle Jahre am Sonntage Exaudi die ganze Stadt mit Singen und Spielen in einem großen Aufzuge herausgefahren und gegangen, und hat sich sonderlich lustig gemacht. Der Ort, wo das jetzige Gardelegen liegt, ist ein Sumpf, Morast und dickes Holz und Buschwerk gewesen, dadurch die Milde und Lausebeck geflossen, und darin haben Buschklepper und Räuber genistet, von welchen dem Lande großer Schade zugefügt worden ist. Es hat sich aber zugetragen, daß die Gardeleger einen von diesen Räubern gefangen genommen und vermittelst scharfer Frage von ihm die Nachricht bekommen, wo sie ihr Raubnest hätten, welcher den Busch bekannt und sehr gerühmt, daß es ein bequemer und guter Ort wäre, eine Stadt dahin zu bauen und darin sicher zu leben. Diese Rede hat man wohl in Acht genommen, den Busch untersucht und Alles angezeigter Maßen befunden. Ueberhaupt haben die Häuser des alten Gardelegen (oder Olden Gardelef) aus einander auf dem Felde nahe bei dem nächsten Dorfe Lüffing gelegen und sind von dem jetzigen Neuen Gardelegen etwa eine halbe Viertelmeile entfernt gewesen. Man hat also den Beschluß gefaßt, eine neue Stadt anzulegen, und so ist denn damit an dem jetzigen Markte, der damals der geraumste Ort gewesen, angefangen und das erste Haus errichtet und von selbigem herunter nach dem alten Gardelef die Stendalische Straße gebauet worden, weil man solche am Meisten reisen und fahren müssen. Nach derselben wäre von dem Markte an die große Gasse nach S. Niclas-Kirchen hinab, darauf vom Markte hinab nach dem Magdeburgischen Thore zu die lange Magdeburgische Straße, sodann aus der Stendalischen Straße hinunter eine Gasse gebaut, die man die Burgstraße nennt. Die Sandstraße ist die letzte gewesen, die man angelegt, als die Stadt erweitert werden mußte, und weil es hier einen niedrigen und sumpfigen Grund gegeben, so hat der Ort mit Sand erhöht werden müssen, welches der Gasse den Namen der Sandstraße gegeben hat. Die Gasse hinter der St. Marienkirche ist die Ritterstraße geheißen worden, weil die Ritter und Edelleute dieselbe bewohnt haben, ist aber sehr kothig gewesen und es haben daselbst große Steine gelegen, da man von dem einen auf den andern springen müssen. Es ist aber dieses nicht in einem oder etlichen Jahren verrichtet worden, sondern nachdem sich die Bürgerschaft vermehrt, allmählich fortgesetzt und der Ort endlich zu einer vollkommenen Stadt geworden.

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Nach Beckmann Th. V. Bd. I. Cap. IV. S. 5, und Temme S. 23 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 197-198.
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