39. Der Todeswürfel.83

[48] Unter dem großen Churfürsten hat in Berlin ein reicher Waffenschmied gelebt, der nur ein einzig Kind, ein wunderschönes Mädchen, besaß. Um[48] diese bewarben sich zwei Leib-Trabanten des Churfürsten, Heinrich und Rudolph, beide bei ihrem Herrn sehr beliebt, und obwohl sie gleich außer ihrer Stelle dem Mädchen nicht viel zu bieten hatten, wagte doch der Vater derselben sie wegen der Gunst, in der sie bei dem Churfürsten standen, nicht zurückzuweisen. Die Jungfrau selbst entschied sich anfangs für keinen, allein endlich fühlte sie sich doch mehr zu dem stillen Heinrich hingezogen, als zu dem heftigen Rudolph. Als nun Ersterer eines Abends den alten Waffenschmied aus den Händen roher Gesellen, die ihn mißhandeln wollten, befreit hatte und überdieß auch gleichzeitig durch eine Erbschaft zu Gelde gekommen war, da gab ihm auch der Vater den Vorzug vor seinem Cameraden, und dieser räumte zwar nothgedrungen demselben das Feld, beschloß aber, bittere Rache zu nehmen. Er schlich nun den Liebesleuten auf Tritt und Schritt nach und als er sie eines Abends im Schatten der Häuser versteckt am Brunnen belauert hatte, ward er durch die Liebkosungen, welche das Mädchen ihrem Liebhaber zu Theil werden ließ, so zur Wuth entflammt, daß, als jener sich von ihr entfernt, er auf sie losstürzte und ihr sein Schwert in die Brust stieß. Er entfernte sich unbemerkt, und als das Mädchen in ihrem Blute gefunden ward, fiel natürlich der Verdacht nicht auf ihn allein, den Niemand gesehen hatte und auf den man eben nur darum denken konnte, weil seine Eifersucht bekannt war, sondern auch auf Heinrich, den mehrere Zeugen noch ganz kurz zuvor mit dem Mädchen hatten sprechen sehen. Der unglückliche Vater flehte den Churfürsten um Bestrafung des Verbrechers an und dieser ließ beide Trabanten verhaften, weil nur einer von ihnen es gewesen sein konnte. Beide leugneten entschieden und auch die Tortur brachte aus ihnen kein Geständniß heraus, so daß der Churfürst nicht wagte ein Urtheil zu fällen, sondern die Entscheidung Gott anheimstellte. Er befahl nämlich, jene zwei sollten um den Tod würfeln, dergestalt, daß wer den höchsten Wurf gethan, für unschuldig zu erachten sey, der andere aber hingerichtet werden sollte.

Sämmtliche Trabanten mußten aufmarschiren, vor der Front ward eine Trommel hingestellt, dabei stand ein Geistlicher und unsern davon ein Sarg. Beide Angeklagten schritten fest zu dem furchtbaren Gottesgerichte, Heinrich forderte noch einmal, indem er seine Unschuld betheuerte, seinen Kameraden auf, sich schuldig zu bekennen, allein umsonst; derselbe nahm die Würfel, schüttelte sie und warf zwei Sechsen, so daß sonach eigentlich seines Gegners Loos entschieden war. Allein dieser ließ sich nicht beirren, gläubig sah er gen Himmel und flehte zu Gott, er möge ein Zeugniß seiner Unschuld ablegen. Und siehe, was geschah, als er die Würfel auf die Trommel warf, zersprang der eine, der andere zeigte eine Sechs und die zwei Seiten des zersprungenen eine Sechs und eine Eins, so daß er dreizehn, also eins mehr als sein Gegner geworfen hatte. Letzterer aber ward von diesem offenbaren Gericht Gottes so ergriffen, daß er seine Schuld nicht mehr leugnete, sondern ehrlich gestand, wie die Sache zugegangen war. Der Churfürst aber wagte auch nicht, die Hinrichtung des Schuldigen zu befehlen, sondern verurtheilte ihn, um ihm Zeit zur Reue zu lassen, zu ewigem Gefängniß, jener Todeswürfel aber kam in die Kunstkammer des königlichen Schlosses zu Berlin als ein Wahrzeichen von des Schicksals wundersamen Fügungen und der ewigen Gerechtigkeit des Himmels.

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Romantisch bearbeitet von Al. Cosmar Bd. II. S. 33 etc. und in Versen von Ziehnert Bd. I. S. 81 sq.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 48-49.
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