278. Die heilige Leichnams-Kapelle zu Magdeburg.343

[230] Im Jahre des Herrn 1515 brach ein böser Bube, genannt Franz Theilig, des Nachts in die St. Paulskirche zu Magdeburg und stahl daselbst die Büchse mit den Hostien oder Oblaten, so man zum Sacrament braucht, und ging damit des Morgens in die St. Petrikirche, willens, dasselbe allda auf den Altar zu legen, ward aber andern Sinnes und warf das h. Sacrament, wie es von den Scribenten genannt wird, hinter den Kirchhof daselbst zwischen die Steine in einen Pfuhl und versetzte die Büchse an die Juden. Da soll es sich begeben haben, daß einer mit einer Kufe, womit man das Wasser zum Bierbrauen fährt, von der Elbe her gefahren kam, und da er an den Ort, wo das Sacrament lag, gelangte, sollen die Pferde stehen geblieben sein und nicht fortgewollt haben. In dem Augenblicke ist der Kufenführer das Sacrament, welches dort lag, gewahr geworden, und dasselbe ist von einem Müller, Namens Jonathan Krenz, der von Ohngefähr dazu gekommen, mit seinem Schwerte aufgehoben worden. Indeß ist aber der Dieb von den Juden auf dem Kleiderhofe ergriffen und hernach geschleift worden. Auch sollen die Bürger auf der Stätte, wo sich das Sacrament wieder gefunden hatte, eine Kapelle gebaut und sie die des heiligen Leichnams geheißen und zum Gedächtniß die Geschichte hineinmalen, auch das Schwert, womit das Sacrament war aufgehoben worden, dorthin haben hängen lassen. Diese Kapelle stand noch zu Ende des 16. Jahrhunderts hinter dem St. Marien-Magdalenenkloster unten am St. Peters-Kirchhof, und man konnte sowohl vom Kloster als vom Kirchhofe aus in die Kapelle gehen. Es befand sich auch in der Kapelle ein Brunnen mit einem eisernen Eimer, womit man Wasser schöpfen konnte. Auf der Stelle, wo damals die Hostie gefunden ward, steht jetzt das Magdalenenstift, ein Asyl für betagte Jungfrauen. Das Krenz'sche Haus am Breitenwege hieß der Regenbogen (ein Regenbogen, der viele Tage damals über jenem Hause stand und die Unschuld des Mannes, der der Mitschuld an jenem Verbrechen bezüchtigt worden war, an den Tag brachte) und jenes des Diebes der Mühlstein.

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Nach Pomarius F.N. (verso) und Gengenbach S. 30. Anders bei Relßieg Th. I. S. 113 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 230.
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