354. Der Schellenmoritz in der Moritzkirche zu Halle.436

[315] Der Schellenmoritz ist ein in der St. Moritzkirche zu Halle am dritten Pfeiler vom Altar her an der Kanzelseite angebrachtes Standbild, welches[315] aus dem 15. Jahrhundert stammt und den heil. Mauritius, den uns schon bekannten Obersten der Thebanischen Legion, darstellt, eine Figur, von deren Panzerschurze große Schellen herabhängen. Der Bildhauer und Steinmetz Conrad von Einbecke, der sich noch an der Postamentplatte dieses Steinbildes durch die Inschrift: »An. M.CCCC.XI. CONRADVS DE EINBECKE ME FECIT IN. VIG. MAT I IIII AEI« verewigte, hat dasselbe ganz in der Rittertracht seiner Zeit ausgeführt, den Heiligen mit einem Kürasse und Plattenharnische nebst darunter hervorragendem Kettenhemde und Schurze, mit einem gekräuselten Halskragen, weitem Reitermantel, spanischem Baretthute, doch einem geschweiften Schilde und alterthümlichem, zur Zeit defect gewordenen Paniere versehen und noch zum Ueberfluß gegen alle Geschichtswahrheit an die südliche oder Vorderseite des Piedestals den Kaiser Maximianus, wie die Inschrift am Sockel besagt, in völlig spanischem Kostüme und zwar in der verrenktesten demüthigsten Stellung und die Krone auf eine höchst ungeschickte Weise abnehmend angebracht. Wie man nun aber im spätern Mittelalter nicht so leicht etwas ohne des Teufels Hinzuziehung ausführte, so hat der Bildhauer auch noch an der hintern oder Nordseite des Würfels eine diabolische Gestalt eingehauen, welche mit den Krallen nach der Figur des Heiligen emporlangt. Das Volk hat selbigen nun wegen seines demselben ungewöhnlich erscheinenden Gürtels mit den nicht klingenden Schellen den Schellenmoritz genannt und sich dazu folgende Sage zurecht gemacht.437

Dieser Moritz war der Erbauer der Moritzkirche und so jähzornig, daß wenn er auf den Bauplatz kam und ein Arbeiter eben ausruhte, er denselben sogleich todtschlug. Nachträglich bereute er den Mord stets und um sich ferner vor solchem Unrecht zu schützen, ließ er sich einen Stock mit Schellen machen und bat die Arbeiter, daß wenn sie an den Schellen hörten, daß er komme und gerade feierten, sie gleich an die Arbeit gehen möchten, damit er keinen von ihnen zu strafen genöthigt sei.

In dem Dorfe Lettewitz bei Wettin heißt es, Schellenmoritz habe bei einem vornehmen Herrn, welcher das Dorf erbaute, als Aufseher gedient, und weil er die Arbeiter, wenn er sie müßig traf, immer gleich erschlug, habe ihm sein Herr die Schellen angehängt, so daß ihn die Arbeiter von fern kommen hörten und sich vorsehen konnten.438

Um nun aber auch den Namen der von dem 1476 zum Coadjutor und bald darauf zum Erzbischof des Stifts Magdeburg erwählten Herzog Ernst von Sachsen erbauten und nach dem Schutzpatron des Hochstifts Magdeburg genannten Moritzburg zu Halle einigermaßen in Harmonie zur Moritzkirche und dem Schellenmoritz zu bringen, schuf sich das Volk folgende Doppelsage, wozu ihm noch das an der östlichen Ecke zur Moritzburg in einer altgothischen Nische mit Baldachin aufgestellte weibliche Heiligenbild, welches scheinbar einen Dolch in der Brust hatte, neuen Stoff gab.

Man erzählt sich nämlich, daß gleichzeitig, als Schellenmoritz die Moritzkirche erbaute, seine Schwester den bei Weitem umfangreicheren Bau der Moritzburg ausgeführt habe. Während nun Moritz gegen seine Bauleute gewüthet,[316] habe seine Schwester sich stets gegen dieselben sehr liebreich gezeigt. Sie soll nun mit ihrem jähzornigen Bruder die Wette gemacht haben, daß sie bei ihrer Geduld und Sanftmuth weit eher mit ihrem größern Bau fertig sein werde, als er bei seiner Strenge. Nun erst soll Moritz mit seinem von dem Vexillum noch übrigen Stabe gegen die Arbeiter gewüthet haben, weshalb seine Schwester ihm den Schellengürtel natürlich mit seiner Genehmigung habe fertigen lassen. Wiewohl nun die Moritzburg ein weit stattlicherer Bau als die Kirche war, so ward sie doch eher vollendet als letztere, und nun schließt dieselbe Sage damit, daß, als die leutselige Schwester ihrem unmenschlichen Bruder ihr vollendetes Werk gezeigt habe, Letzterer vor Neid über den herrlich gelungenen Bau sich plötzlich zum Morde seiner Schwester habe hinreißen lassen.

Gewöhnlich erklärt man freilich die Statue an der Nordwestseite der Moritzburg für die heilige Katharina, was allerdings sehr möglich ist, da diese die zweite Schutzheilige des Stiftes Magdeburg gewesen sein soll, obwohl die Siegel des Stiftes stets nur den heil. Mauritius und den Erzmärtyrer Stephanus, aber keine heil. Katharina zeigen. Da nun aber diese Figur einen Dolch in der Brust gehabt haben soll und weder von einem Rade noch von einem Schwerte in den allerdings defecten Armen sich irgend eine Spur zeigt, so möchte man dieses durch den Zahn der Zeit und namentlich bei der gewaltsamen Zerstörung des schönen Schlosses sehr verunstaltete Bildwerk wohl eher für eine heilige Agnes oder Bibiana halten. Zwar könnte man annehmen, daß, da einige ältere Topographien der Stadt Halle die Statue ausdrücklich als die der heil. Katharina bezeichnen, sie in einer der abgeschlagenen Hände das durch einen eisernen Bolzen an die Brust befestigte Zackenrad gehalten habe, während sie in der andern den Palmzweig trug, allein von dem andern Attribute derselben Heiligen, dem Schwerte, ist geradezu gar keine Spur zu sehen.

436

Nach Schäfer in der Illustr. Zeitung 1858, Bd. I. S. 114, mit Abbildung, und Ziehnert Bd. I. S. 191 etc.

437

Nach Sommer S. 74 etc. und Ziehnert Bd. I. S. 191.

438

Davon schreibt sich nach Sommer S. 153 etc. in demselben Dorfe der Gebrauch her, daß am dritten Pfingstfeiertage im Dorfe zwei Knechte, als Bischof und Schellenmoritz verkleidet, in den Häusern herumziehen und Geschenke einsammeln.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 315-317.
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